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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 31,2.1918

DOI issue:
Heft 7 (1. Januarheft 1918)
DOI article:
Rittelmeyer, Friedrich: In Sachen Rudolf Steiners
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https://doi.org/10.11588/diglit.14372#0029
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breten dazu wahrhaftig Gelegenheit in Fülle. Gar nicht um Verehrung
ist es ihm zu tun — so viel ihm Verehrung entgegengebracht werden mag
von eifrigen Anhängern, so wenig Interesse hat er daran —, sondern um
Wahrheit. Wie, wenn sich hier gerade zur entscheidenden Stunde eine
Möglichkeit auftäte, den Materialismus, der so tief in unserm ganzen
gegenwärtigen Wissenschaftsbetrieb steckt, von Grund auf und gerade auf
seinem eigensten Gebiet, dem des „Naturerkennens", zu überwinden?
Wenn sich hier eine Aussicht erösfnete, vergangene religiöse Zeiten — und
zwar vielleicht von ihren eigenen Voranssetzungen aus — neu zu verstehen,
zum Beispiel das alte Wunderland Indien, dem gegenüber sich jeder hilf-
los fühlt, der wirklich in seine verborgenen Tiefen einzudringen sucht?
Wie, wenn etwa hier die Morgenröte leuchtete zu einer neuen Zeit des
„Geistes", gerade auch des „deutschen Geistes"? Die Fragen sind wahr»
haftig ernst genug, um nicht einfach verlacht oder verachtet zu werden.
Sollten sich nicht Menschen finden, die ihre wissenschaftliche Gewissen-
haftigkeit auch auf dieses Gebiet anzuwenden für ihre Pslicht halten, die
es sich nicht zn leicht machen, die den eigenen Bedingungen und Gesetzen
dieser „Geisteswissenschaft" gründlich prüfend nachgehen? Der dies schreibt,
hat Steiners Schriften in die Hand genommen unter dem Eindruck der
günstigen Wirkung, die diese Lehre auf einige Freunde hatte, und sie zu-
nächst nicht ohne starkes Widerstreben in der Meinung gelesen: wenn dies
alles auch nicht wahr sein sollte, so kann es doch nichts schaden, einmal
gründlich zu fragen, ob die Welt nicht ganz anders ist, als du sie dir
bisher vorgestellt hast; das wäre eine Art Befreiung von der gewohn-
heitsmäßigen Weltbetrachtung, die ein vorsichtiger Mensch wohl wagen
darf. Er bekennt, daß er sich nach fünfjähriger eingehender Beschäftigung
mit diesen Schriften keineswegs in allen Punkten mit Steiner einig weiß,
sondern vieles nennen könnte, wo ihm Steiners Behauptungen nicht nur
fremd und unzugänglich, sondern unwahrscheinlich, ja kaum erträglich ge°
blieben sind. Hält man Steiner solche Einwendungen entgegen, so kann
man wohl von ihm hören, daß er sich nicht im leisesten für unfehlbar halte
und allen Gegengründen vollkommen offen stehe, so große Gewissenhaftig«
keit er auch in seinen Forschungen aufzubieten gesucht habe. Allmählich
wird man — bei aller unbefangenen Selbständigkeit, die man sich be°
wahren mag — Steiner gegenüber vorsichtiger und vorsichtiger. Vieles
beginnt merkwürdig einzuleuchten, ja geradezu als eins geniale Lösung
zu erscheinen. Anderes bestätigt sich überraschend und verwandelt sich in
natürliche Wirklichkeit. Die Kenntnis des Seelenlebens und der Welt-
geschichte, die sich hier offenbart, erscheint einem größer und größer. Da°
zu fügen sich alle Einzelheiten in bewunderungswürdiger Weise zu einem
Ganzen zusammen, obwohl keineswegs etwa Lehren in systematischer Weise
nach allen Seiten ausgebaut, sondern die lebendigen Wirklichkeiten von
immer wieder neuen Seiten lebendig beschrieben werden. Allerdings muß
man dazu außer den veröffentlichten Schriften Steiners, die allein schon
eine kleine Bibliothek darstellen, auch noch die mindestens zehnmal so
große geistige Arbeit kennen, die in den bisher unveröffentlichten Vor°
trägen vorliegt, wie sie in den Schatzkammern der Anthroposophischen Ge°
sellschaft ruhen. Da sieht man erst, wie gründlich alles überlegt ist und
wie genau es übereinstimmt. Man fragt sich immer wieder, ob auf rein
denkerischem Wege diese Arbeit überhaupt hätte geleistet werden können,
die hier geleistet ist, besonders wenn man in Betracht zieht, wie Steiners
 
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