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Beilage zum Diözesan-Archiv von Schwaben — 1889

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https://doi.org/10.11588/diglit.20707#0002
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der sich für die Geschichte des Menschengeistes mich in
seinen Jrrgängen interessiert, besonders auch Aerzte werden die
überzeugenden Ausführungen Geigers mit einer von Abschnitt
zu Abschnitt steigenden Teilnahme lesen. Das arme Mädchen,
das mit 14 Jahren wider den Willen seiner Eltern ins Kloster-
gedrängt wird, endet nach langem hysterischen Leiden sein
kurzes Leben von nur 34 Lenzen im Jahre 1420 und legt
noch sterbend ein Bekenntnis ab, das ein- für allemal der
Wnndersucht einen Strich durch die Rechnung macht. Dr.
Geiger darf auf den Dank der gesamten gebildeten Welt
ohne Unterschied des Bekenntnisses rechnen, denn er hat der
W ahrh eit einen Dienst gethan." Dies war der erste Trom-
petenstoß, der den evangelischeil Ausritt und Allsflug des
Dr. Geiger in Tübingen in das katholische Oberschwabeir an-
kündigte. Bevor wir uns gestatten, die Töne dieses Trom-
petenstoßes zu beurteilen, erlauben wir uns auf den zweiten
aufmerksam zu machen, um darauf unser Urteil über beide
abzugeben.

Der „Schwäbische Merkur", das angestammte Leibblatt
der protestantischen Pastoren sowie der liberalen Bourgeoisie
ohne Unterschied des Bekenntnisses, die aufgeklärten katholischen
Beamten des Landes eingerechllet, trompetete wie folgt: „Es
handelt sich in der Geigerschen Schrift liicht um eine abge-
thane, vor jedermann als Kindermärchen abgethane, Legende,
sondern um einen typischen Fall einer ebell jetzt wieder weit ver-
breiteten krankhaften Frömmigkeit, um einen lehrreichen, nieder-
schlagenden Erweis, was ein großer Teil unseres Volkes in
unserer, wie man sagt, aufgeklärten Zeit sich von seinen so-
gellannteli Führern bieten läßt, um eine weitgehende, keines-
wegs harmlose, religiöse Verirrung, welche von den Förderern
einer versinnlichten Frömmigkeit unserm Volke neuerdings
wieder mit großem Erfolg als himmlische Offenbarung nahe
gebracht wird. Die Verehrung der im Jahre 1385 (falsch:
1386) geborenen Elisabeth« Achler, welche im Jahre 1420 als
arme Dulderin (Bona!) nach langer Krankheit und
völliger Zerrüttung anLeib und Seele gestorben,
aber im Jahre 1767 nach langen Bemühungen selig gespro-
chen worden ist, hat erst in neuester Zeit wieder einen ganz
gewaltigen Aufschwung genommen."

Ehe es uns gelang, das Geigersche Buch zu bekommen,
sagten uns schon diese Trompetenstöße, daß man es von nun
an gar nicht wagen dürfe, den erwünschten Heiligsprechuugs-
prozeß der guten Betha einzuleiten, daß man sich von jetzt ab
keiner Hoffnung mehr hingeben könne, einen Sachwalter (Pro-
curator causae) oder Referenten (Ponens) für den Prozeß
zu finden, weil beide befürchten müssen, so bald sie nur den
Mund aufthnn, von dem Glaubensanwalt (promotor fidei),
dem sogenannten Advokaten des Teufels, mit dem neuesten
Beweismaterial des Dr. Geiger totgefchlagen zu werden. Der
Trompetenstoß der Heilbrouuer „Neckarzeitung" rief es, ehe
wir noch die religiös-radikale Offenbarung des Tübinger Uni-
versitätsbibliothekars zu lesen gewürdigt wurden, laut in die
Welt hinaus, daß das hl. Leben der Elisabeth« Bona Lug
und Trug, sie selbst eine von ihrem Beichtvater künstlich ge-
machte Heilige, ein hysterisches Mädchen gewesen sei, dessen
absichtlich zerrüttetes Nerven- und Gemütsleben es dem ver-
schmitzten Klosterbeichtvater leicht machte, mit den religiösen
Anschauungen seines Opfers sein Gaukelspiel zu treiben, die
Jungfrau zur Visionärin und zum Wunderkind zu stempeln
und ihre Seele mit dem Wahne des innigsten Verkehrs mit
Gott zu erfüllen. Der Trompetenstoß verkündete uns jetzt schon,
daß die gute Betha Heuchlerin, bis zum Tode von Gewissens-
gual gefoltert, auf dem Sterbebette das Geständnis abgelegt

habe: ich weiß von mir nichts anderes, als daß ich eine arB
Sünderin bin. Wer ist wohl, nachdem er diesen Trompetew
stoß und den des „Schwäbischen Merkurs" vernommen, nich
zu der Ueberzeugung gekommen, daß ihr geistlicher Führer das
arme Mädchen zu einer etenben Sünderin gemacht, daß e*
sie gezwungen hat, das elterliche Hans in schwerem Ungehm''
sam gegen ihre Eltern zu verlassen, daß er schuldig war an
der Armut, an der Not und dem Eleude, das über sie ka>n
außer dem elterlichen Haus, weil er sie genötigt hat, ms
Kloster zu gehen, wo sie hysterisch und das Opfer sein)1
seelenmörderischen Künste wurde, die einen beständigen WechP
von körperlichen und seelischen Krankheiten und eine völlige
Zerrüttung an Leib und Seele herbeiführten, infolge bereit
ihr Leben in jugendlichem Siechtum endete? Wer wird nia)
auf diese Trompetenstöße hin sich überzeugt haben, daß ihr geip
licher Führer die arglose Jnngfrau nicht nur um die top
barsten leiblichen Güter, um ihr elterliches Vermögen, 11111
ihre blühende Gesundheit und um ihr jugendliches Leben,
sondern auch um die unschätzbaren Güter des Geistes, um den
klaren Verstand, um den selbstbestimmenden Willen, um den
Frieden und die Rnhe der Seele gebracht habe? Wer wird p)
ferner die Augen verschließen können, um nicht deutlich zu sehen,
daß ihr geistlicher Führer seine Vorgesetzten, den Propst von WcstP
see und den Bischof von Konstanz, die von den ungewöhnlichen
Vorkommnissen im Kloster in Reute wußten, daß er den PE
vinzial der Straßburger Ordensprovinz, der jedjährlich zur Vip
tativn ins Kloster kam, daß er all die Personen, mit denen er p
über das Leben seines Beichtkindes besprach und die zumeist
selbst es sahen und beobachteten, getäuscht und betrogen habe-
Wem wird nicht jetzt das Narrenseil auffallen, an dem weh1
als 500 Jahre lang Päpste und Kardinäle, Bischöfe um
Prälaten, Kaiser und Herzoge, Fürsten und Grafen und uw
zählbares Volk so blindlings gelaufen sind, daß sie nicht wahm
nahmen, wie sie von ihm in die Irre geführt wurden, bis da-,
kritische Tübinger Messer das Seil an mehreren Stellen zsw
schnitt und den Zauber löste? Jetzt wissen wir Katholikeit
Württembergs doch einmal, wie wir daran sind, was wir a11
thnn, wem wir zu folgen haben. Nicht der katholischen Kirche,
nicht dem Papsttum, das ein hysterisches Mädchen selig {P
sprechen, nicht dem Bischof unseres Bistums, der in jeincit
Hirtenbriefen die Nachahmung der Tugenden der guten Betha
empfohlen, nicht unseren geistlichen Führern, die uns zu1
Frömmigkeit anleiten und den Weg zum Himmel uns zeigen,
sondern dem Licht, das in Tübingen auf- und der Wahrheit,
die von dort ausgegangen ist. Jetzt wissen wir Katholiken
Württembergs, wohin wir in Zukunft wallfahren müssen, niäst
in die stille, traute Kapelle zum Grabe der guten Betha, PN
dort Trost und Hilfe in mancherlei Not zu suchen und i>n
Glauben uns zu stärken, sondern zum Lichte auf den Tübingen
Schloßberg, um dort die Finsternis des Geistes, die uns be-
schwert, abzulegen und aus dem Brunnen neuheidnische1
Wahrheit zu trinken, damit wir befähigt werden, die Geschichte
des Menschengeistes auch in seinen Jrrgängen zu lernen, und
in die rechte Stimmung kommen, für das von Dr. Geiget'
angezündete Licht und für den von ihm der Wahrheit geleisteten
Dienst mit der gesamten gebildeten Welt ohne Unterschied des
Bekenntnisses mit den Worten Dank zu sagen: O Gott, ich
danke dir, daß ich nicht so dumm bin, wie die übrigen Mew
scheu. Daß wir Katholiken dumm seien, das wußten wir wohl
und hörten es schon öfters sagen, auch können wir es jeden
Tag gedruckt lesen, daß wir aber so stockdumm seien, daß wir
den Menschengeist selbst in seinen Jrrgängen preisen und ihm
sonstigen Kult erweisen, daß wir solchen geistlichen Führern
 
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