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Die Dioskuren: deutsche Kunstzeitung ; Hauptorgan d. dt. Kunstvereine — 2.1857

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https://doi.org/10.11588/diglit.15340#0099
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Lassen wir nun die bedeutsamsten seiner Werke in strengster Auswahl
mit einigen kritischen Bemerkungen folgen.

Eines seiner geistvollsten, poesiereichsten und ergreifendsten Gemälde ist
zugleich eines seiner frühesten, nämlich „die Barke des Dante", vom Jahre 1822.
Delacroix hat die Stelle der göttlichen Komödie zur Darstellung gebracht,
in welcher Dante und Virgil auf dem Nachen des Phlegias über den See
fahren, welcher die Höllenstadt umgiebt. Der Himmel ist von langgezogenen,
düster aufwallenden Flammen geröthet, mühsam schleppt sich das Boot durch
die schwere, dicke Fluth, aus welcher die Verdammten auftauchen, sich mit
Händen und Zähnen festklammernd an die morschen Planken, um diesen
finstern, höllischen Gewässern und Mächten zu entrinnen. Dante erkennt
unter den Verdammten, die sich mühsam und verzweifelnd fortzuschleppen
suchen, mit Entsetzen befreundete Florentiner. — Das Gemälde erinnert der
allgemeinen Auffassung und Behandlung nach an Gericault's „Medusa",
welche im Jahre 1819 zur Ausstellung kam. Die tief-ernste, poetische Stim-
mung in Geist und Kolorit ist in lebendigstem Einverständnisse mit dem tra-
gischen Geiste der Dichtung. Hier zeigt sich in hohem Grade seine Begabung
für dramatischen Effekt und Gesammtharmonie der Farbe.

„Der 29. Juli 1830", vom Jahre 1831, trägt dieselben Grundzüge.
Wenn auch keinesweges eine künstlerische Verherrlichung der Revolution und
Revolutionsidee an sich, ist es doch ein Kunstwerk von seltener Originalität
und erschütternder Gewalt. Die „Freiheit" selbst ist zu allegorisch auf-
gefaßt, um wirklick,, — zu materiell, um poetisch zu sein. Was in diesem Ge-
mälde die Kritik höchst lobend anzucrkennen hat, ist das innere, flammende
Feuer der Begeisterung, die mächtige Drastik der lebendigen Schilderung.

Sein „massacre de Scio“, vom Jahre 1824, lehnt sich an die „Pest-
tranken zu Jaffa" von Gros, sowohl in Beziehung auf einzelne Gestalten,
als auf den Gesammtton des Kolorits. Die Scene fällt in den Juni des
Jahres 1822. CanariS mit Georg Pipinos, von Psara ausgegangen, hatte
sich inmitten der Nacht zwischen die türkische Flotte geschlichen und das Ad-
micalschiff des Kapitain-Paschah Karah-Ali in die Luft gesprengt. Die Insel
Scio mußte diesen Verlust mit Blut und Verwüstung bezahlen. Eine Episode
dieser allgemeinen Schreckenssccne bildet das vorliegende Sujet. Ein meer-
bespültes Vorgebirge, ein brennendes Dorf, kämpfende Türken und Hellenen
bilden den Rahmen zu einer griechischen Familie, welche von den rachedür-
sterden Türken dem Tode geweiht wird. Auch hier, wie in Allem, eine feu-
rige Phantasie, ein allgemeiner dramatischer Effekt, eine lebendige, auf das
Ganze und Große gerichtete Charakterschilderung, eine mehr malerische als
naturwahre Harmonie des Kolorits. Sind auch einzelne Gestalten, z. B. ein
sterbender Palikare und eine alte, in Schmerz und Jammer erstarrte Griechin,
von höchst ergreifendem Ausdrucke, das Ganze ist mehr ein Gebilde der schwär-
merischen Phantasie, als des ruhigen, klaren Kunstbewußtseins. Alle drei
genannten Werke befinden sich in dem kaiserlichen Museum Hierselbst.

Eines seiner gelungensten Bilder ist die „rasende Medea", in der er sich
mehr der klassischen Schule nähert und namentlich durch das Studium des
Correggio begeistert zu sein scheint. In eine hochgelegene Felscngrotte ge-
flüchtet, starrt Medea bebend hinaus mit glühendem Auge, ob ihre Verfolger
sich nahen. Man fühlt mit ihr den Kampf der Verzweiflung, welcher ihre
Seele dnrchwühlt. Krampfhaft hat sie den Dolch erfaßt, welcher ihre Kinder
durchbohren soll. Ihre Pulse beben. Ihr Entschluß wankt. In Schmerz
und Angst preßt sie die Kinder an sich. — Hier steckt etwas Gewaltiges,
Tiefes, Tragisches, hier zeigt sich der Künstler in seiner ganzen eigenthüm-
lichen Größe. Das Kolorit ist kräftig, glühend, kühn, wie die Phantasie des
Künstlers. Das Bild ist vom Jahre 1838 und Eigenthum der Stadt Lille,
woselbst cs im Museum aufgestellt ist.

Bon untergeordneterem ideellen Werthe, jedoch von hohem koloristischen
Verdienste in der Gesammtwirkung, die etwas Rubens'sches hat, ist „die
Gerechtigkeit des Trajan", nach einigen Versen Dante's. Trajan, auf seinem
Siegeseinzuge durch einen Triumphbogen Roms begriffen, wird von einem
jungen, schönen Weibe, das sich zu seinen Füßen niederwirft, um Gerechtig-
keit angefleht. Ein Priester will sie zurückreißen, wird aber durch einen ge-
bieterischen Wink des Cäsar davon abgehalten. Diese „Gerechtigkeit" ist
reine Nebensache, die Hauptsache ist der pomphafte Einzug des trinmphiren-
den Imperators., Delacroix entfaltet hier sein reiches Farbentalent in

Kunst-

, Berlin. — Das Thonmodell zu Beuth's Statue von Professor Kiß
streitet seiner Vollendung entgegen und soll in einigen Wochen, bevor es
i, ^ Guß im königl. Gewerbe-Institut übergeben wird, für einen kleinen Kreis
" Kunstfreunden zur Ansicht ausgestellt werden. Aus besonderer Pietät
auü . Begründer des königl. Gewerbe-Instituts erfolgt dort dessen Statuen-
3 o zu x^em dauernden Monument.

großartigstem Maaßstabe. Trotz des etwas zu rosafarbigen Jsabellenrosses,
welches der Kaiser reitet, sowie manch' anderer Nachlässigkeiten in der Fär-
bung und Modellirung, ist doch die Idee des Jmperatorischen und Triumpha-
torischen, auf deren Schilderung es dem Künstler vor Allem ankam, zu vollem,
lebenskräftigem, imponircndem Ausdrucke gelangt. Delacroix behandelt die
Farben wie Noten. Was in den einzelnen Partien als Dissonanz erscheint,
rundet sich im Ganzen zu einer wohlklingenden Harmonie ab. Das Werk
schmückte im Jahre 1840 die Ausstellung und wanderte von dieser in das
Museum von Rouen, in dem es sich noch befindet.

Ungleich romantisirender, d. h. subjektiver, phantastischer, willkürlicher
sind seine „Kreuzfahrer, den Grafen Baudouin von Flandern an der Spitze,
bei der Einnahme von Konstantinopel." Baudouin, der Heerführer der Fran-
zosen, erscheint hoch zu Roß, von seinen Rittern umringt, vor einem Säulen-
palaste, aus dem die vornehmen Byzantiner herausstürzen, um die kühnen
Eroberer um Gnade zu bitten. — Auch hier offenbart sich der poetische,
auf das Große und Ganze gerichtete Farbensinn des Künstlers, der seine
Malereien gleichsam wie Symphonien behandelt in verschiedenen Tonarten.
Der Grundton ist hier ein ernstes, tiefes Blau, welches sich von dem Azur
der südlichen Luft und des prächtigen Bosphorus aus über die reiche poetische
Landschaft, über die architektonische Staffage, über die sigurenreichcn Gruppen
ergießt und sie gleichsam in ein mystisch-romantisches Dunkel hüllt. Hatte
seine „Med?a" dem allgemeinen Farbenton nach etwas Correggieskes,
bot sein Trajan Reminiscenzen an den Prunkstil und Farbenschmelz des
Rubens, seine „Kreuzfahrer" tragen das ernste, würdevolle, imponirende
Gepräge des großen Veronesers. Das Bild ward im Jahre 1841 voll-
endet und befindet sich im kaiserlichen Museum.

Daß eine solche Originalität, wie Delacroix, sich für die religiös-
kirchliche Historie nicht qualificirt, versteht sich ganz von selbst. Sein „Christus
auf dem Oelberge" z. B., in der Kirche „8t. Paul et St. Louis“ hieselbst,
möchten wir eher für eine Prosanation, als für eine Verherrlichung Christi
ansehen.

In sachlicher Beziehung gehören der romantischen Richtung vorzugsweise
an: „König Johann in der Schlacht von Poitiers", „die Schlacht von Nancy",
„der Tod Karls des Kühnen, Herzogs von Burgund", „Marino Faliero",
„die beiden Foscari", „der Bischof von Lüttich", nach Walter Scott's Quentin
Durward, „der Gefangene von Chillon", Malereien, die im Vergleich zu den
beurtheilten zu unbedeutend sind, um hier des Weiteren besprochen werden
zu können. Nur eines ganz vorzüglichen Werkes sei schließlich noch gedacht,
der „jüdischen Hochzeit in Marokko." Die Hochzeitsgesellschaft befindet sich
in einem Hofraume, Mauren und Juden in bunter Reihe. Liebreizende Mäd-
chen enthüllen die Gluth ihrer Phantasie in leichten, dramatischen Tanzvor-
stellungen. Wie sich dieses geistvolle, meisterhafte Bild im Allgemeinen durch
die lebendigste Charakterschilderung auszeichnet, so im Besonderen durch die
meisterhafte Durchführung des Beleuchtungsmotives. Die Kleinheit und die
Masse der Figuren nöthigte den Künstler, der Charakteristik wie der Zeich-
nung mehr Sorgfalt zu widmen. Das Bild gehört zu den geistvollsten und
trefflichsten Schilderungen des Orients, an denen die französische Schule so
überaus reich ist. Auch dieses Gemälde befindet sich in dem kaiserlichen Museum.

So ist denn Delacroix nach fast allen seinen Malereien der Haupt-
romantiker der französischen Schule. Wenn ihn auch die Kritik nicht als
einen „chef d’ecole“ hinstellen und verehren darf, so muß sie doch den Hohn
von ihm abwehren, der in dem Ausdrucke „chef d’emeute“ liegt, mit wel-
chem ihn einzelne bezopfte Akademiker herabzusetzen suchten. Seinem glän-
zenden Talente für dramatische Gesammtwirkung und poetische Farbenstim-
mung muß die Kritik die vollste Gerechtigkeit widerfahren lassen. Aller
Schwächen ungeachtet, wird er als dichtender Maler stets eine der ersten
Stellen einnehmen, stets eins der ersten Häupter der französischen Malerei
bleiben. — Obgleich er viele Verehrer unter den Künstlern, namentlich den
Romantikern und Koloristen, zählt, eine eigentliche Schule hat er nicht ge-
gründet. Für die Schwache», wie Chasseriau, wurde er verhängnißvoll,
die Starken haben ihm viel zu verdanken. Wollen wir ihn annähernd ver-
gleichen mit einigen älteren italienischen Künstlern, so müssen wir einen So-
limena, Luca Giordano und Tiepolo nennen.

(Fortsetzung folgt.)

Chronik.

-Die „Zeit" bringt folgende interessante Mittheilung: Seit einigen

Jahren schon beschäftigt sich der Dom-Bausecretair Schnerder Hierselbst
mit Anfertigung von Blätter- und Pflanzen-Abgüssen in krystallisirtem Gyps
nach der Natur, auf welche die allgemeine Aufmerksamkeit zu lenken eine Pflicht
sein möchte, da Alles, was in diesem Genre von hiesigen Händlern als von
Paris bezogen angepriesen und verkauft wird, seine Entstehung dem kleinen

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