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„Herr Lübke hat ja eine Fregatte vom Stapel lausen lassen, die
in gewisser Beziehung mich an die „Deutschland" oder „Barba-
rossa" der weiland Reichsflotte erinnert. Ich habe zwar bis
jetzt noch nicht weit in die Kajüten und den Raum eindringen
können, sondern mich meist nur am Vorder- und Hinterdeck
aufgehalten, beides aber nicht in sonderlichem Stand gefunden.
Seit der Publikation seines Werkes über die westphälischen
Monumente scheint mir der Verfasser weder an Bescheidenheit
noch an Tiefe gewonnen zu haben. Die Tendenz eines Passus
im letzten Abschnitte, daß der Protestantismus erst seine Mission
begonnen habe, ist mir nicht recht klar geworden, obgleich ich
dem Satz schon öfter in Journalen begegnet bin. Naiv ist die
Wahl der Illustrationen. Zweifelsohne hat der Verlegers die
Holzstöcke zu Romberg's „Konversationslexikon der bildenden
Künste" billig erworben und tischt nun die Abklatsche nochmals
auf. Freilich sind die Zeiten jetzt schlecht und die Kartoffeln
theuer. Ich fürchte nur, daß, wenn in solcher Weise etwas zu
machen ist, Herr Meyer in Hildburghausen und New-Iork
über Nacht auch mit einer Geschichte der Architektur auftritt
und der Lübke'schen den Markt streitig macht."
Selbst Schnaase flndet kaum Gnade vor seinen Augen.
Er bemerkt noch einmal über Lübke: „Recht gestellt habe ich
mich, vor einiger Zeit im „Organ" die Berichtigung der Ar-
beiten des Herrn Lübke zu lesen. Jndeß wäre es leicht, dem-
selben noch weit ärgere Fehler nachzuweisen; praktisch kommt
aber nicht viel dabei heraus und den Herrn von der „reinen
Wissenschaft, die lediglich um ihrer selbst willen da ist", ge-
nügen jene Arbeiten vollkommen. So arg wie mit Lübke ist
es mit Herrn Schnaase bei weitem nicht, obschon auch er gar
Manches auf Grund der Divination konstruirt. Ich habe wirk-
lich die Wahrnehmung gemacht, daß die meisten der von mir
untersuchten Monumente, soweit sie nicht allgemein im Detail
bekannt sind, eine unrichtige Beurtheilung finden. Am übelsten
aber kommen unsere hessischen frühgothischen Werke fort, na-
mentlich die Kirchen zu Haina und Wetter, die doch eben wegen
ihres frühen Datums eine besondere Rücksicht verdient hätten.
So giebt er den Diensten von Haina Ringe, von denen doch
keine Spur vorhanden ist, unentwickeltes Maaßwerk, während
nach meiner Ansicht kaum irgendwo anders sich schöneres fin-
det; den Chor zu Wetter dahingegen, mit Ringen an den
Diensten und völlig primitiven Details, versetzt er saus gene
in das 14. Jahrhundert, und so weiter. Auch bei den fran-
zösischen Werken verfehlt er nicht selten die Scheibe, wie ich
auf meiner neulichen Reise nach Frankreich gesunden habe, was
übrigens bei der Ungeheuern Masse, die er in seinem Werke zu
bewältigen hatte, sehr entschuldbar ist und letzterem immer noch
einen hohen Werth beläßt. Es wäre nicht uninteressant, eine
Zusammenstellung der verschiedenen Jrrthümer, wenigstens so
weit es sich um deutsche Monumente handelt, zu versuchen; eine
solche dürfte indeß dem Herrn Schnaase gegenüber ebenso übel
vermerkt werden und ebenso wirkungslos bleiben, wie die vor
einiger Zeit von dem biederben Sebastian Brunner gegen
Alexander v. Humboldt gerichtete Kritik. In solchen Sonnen
darf Niemand einen Flecken wahrnehmen, wenn er nicht sofort
als Obskurant in den Bann gethan werden will."
*) Herr Seemann in Leipzig.
Ueber die von dem Architekten Gilbert Scott veranstaltete
Abbildung seines Entwurfs zum Hamburger Rathhause, dem bei
der Preis-Bertheilung der erste Preis zuerkannt worden war,
äußert er sich: „Daß gegen die Ausführung agitirt und intri-
guirt wird, war mir bekannt. Der Leibarchitekt des Herrn I.,
ein Herr Meuron, wird wohl oben bleiben, oder doch Herrn
Scott nicht weichen. — Die von ihm zur Konkurrenz gegebene
brillante Aquarelle, soll von einem Hamburger Maler L. her-
rühren. Schon zur Zeit meiner Anwesenheit in Hamburg wur-
den allerhand Geschichtchen ä la Boccaccio erzählt, welche zu
dieser Konkurrenzgeschichte und deren Resultatlosigkeit wohl in
einer gewissen Beziehung stehen könnten.-- — Ganz ab-
gesehen von meiner Hochachtung für den mir persönlich unbe-
kannten Herrn Scott, würde ich es lebhaft bedauern, wenn das
in pekuniärer Beziehung so blühende Hamburg, nachdem es durch
die Nicolaikirche seinen Sinn für die echte Kunst in so glän-
zender Weise bethätigt hat, da wo es so recht eigentlich um
seine bürgerliche Größe sich handelt, wieder als eine ordinäre,
moderne Philisterstadt sich darstellte und vor einem Prachtbaue
im Style seiner — und des gemeinsamen Vaterlandes — großen
Vergangenheit scheu zurückträte."
Wir schließen diese „Aphorismen" mit einer interessanten
Bemerkung Ungewitter's über die „Renaissance", aus einem
Briefe an Hrn. T. O. Weigel, welcher, wie es scheint, Un-
gewitter über die Zweckmäßigkeit der Herausgabe eines „Muster-
Buchs der Renaissance" um Rath gefragt hatte: „Zuvörderst
will ich auf die von Ihnen ausgesprochene Ansicht fußen, daß
die Renaissance der Gothik, als einer selbstständigen, nationalen
Kunstweise, eben wegen des Mangels dieser Eigenschaften nach-
stehen müsse. Sie ist von Haus aus in Wirklichkeit nichts An-
deres als eine Mischung der gothischen Tradition mit der wieder
aufgenommeuen Antike, gewissermaaßen einer Vermählung des
Faust mit der Helena entsprossen. Nun war der Faust zur
Zeit dieser Vermählung schon etwas stark über die Jugendsrische
hinaus. Es variirt demnach ihr Charakter je nach dem Ueber-
wiegen der väterlichen oder der mütterlichen Eigenschaften; ebenso
auch die Schätzung, welche sie bei dem Einen oder Anderen findet.
Einen eigentümlichen Reiz aber gewinnt sie durch den so feinen
Geschmack, der bei der Zusammensetzung ihrer älteren Werke
wenigstens sich kundgiebt. Die Bestandteile der Renaissance
sind übrigens schon in einer ziemlichen Zahl von Werken dar-
gestellt und ich möchte zweifeln, ob das Bindemittel des seinen
Geschmackes für sich allein hinreichenden Stoff zu einem neuen
Werke liefern könnte."
„Weiter kommt in Betracht, daß in den schönsten Werken
der Renaissance die Konstruction, die Knochen und selbst die
Muskeln, noch gothisch und nur die Bekleidung, das Fett und
die Haut, antik sind, daß die Renaissance, im großen Ganzen,
nie eine selbstständige Konstruction erschaffen hat, daß sonach
das von Ihnen projektirte Werk doch im Wesentlichen nur eine
dekorative Richtung verfolgen würde. So dürste es z. B. kaum
möglich sein, der Renaissance angehörige Profilirungen aufzu-
führen, da selbst diese entweder antik oder spätgothisch sind."
„Ich persönlich und, wie ich glaube, eine nicht geringe An-
zahl Gleichgesinnter würden uns über das Erscheinen eines
derartigen, sachkundig redigirten und gut ausgestatteten Werkes
„Herr Lübke hat ja eine Fregatte vom Stapel lausen lassen, die
in gewisser Beziehung mich an die „Deutschland" oder „Barba-
rossa" der weiland Reichsflotte erinnert. Ich habe zwar bis
jetzt noch nicht weit in die Kajüten und den Raum eindringen
können, sondern mich meist nur am Vorder- und Hinterdeck
aufgehalten, beides aber nicht in sonderlichem Stand gefunden.
Seit der Publikation seines Werkes über die westphälischen
Monumente scheint mir der Verfasser weder an Bescheidenheit
noch an Tiefe gewonnen zu haben. Die Tendenz eines Passus
im letzten Abschnitte, daß der Protestantismus erst seine Mission
begonnen habe, ist mir nicht recht klar geworden, obgleich ich
dem Satz schon öfter in Journalen begegnet bin. Naiv ist die
Wahl der Illustrationen. Zweifelsohne hat der Verlegers die
Holzstöcke zu Romberg's „Konversationslexikon der bildenden
Künste" billig erworben und tischt nun die Abklatsche nochmals
auf. Freilich sind die Zeiten jetzt schlecht und die Kartoffeln
theuer. Ich fürchte nur, daß, wenn in solcher Weise etwas zu
machen ist, Herr Meyer in Hildburghausen und New-Iork
über Nacht auch mit einer Geschichte der Architektur auftritt
und der Lübke'schen den Markt streitig macht."
Selbst Schnaase flndet kaum Gnade vor seinen Augen.
Er bemerkt noch einmal über Lübke: „Recht gestellt habe ich
mich, vor einiger Zeit im „Organ" die Berichtigung der Ar-
beiten des Herrn Lübke zu lesen. Jndeß wäre es leicht, dem-
selben noch weit ärgere Fehler nachzuweisen; praktisch kommt
aber nicht viel dabei heraus und den Herrn von der „reinen
Wissenschaft, die lediglich um ihrer selbst willen da ist", ge-
nügen jene Arbeiten vollkommen. So arg wie mit Lübke ist
es mit Herrn Schnaase bei weitem nicht, obschon auch er gar
Manches auf Grund der Divination konstruirt. Ich habe wirk-
lich die Wahrnehmung gemacht, daß die meisten der von mir
untersuchten Monumente, soweit sie nicht allgemein im Detail
bekannt sind, eine unrichtige Beurtheilung finden. Am übelsten
aber kommen unsere hessischen frühgothischen Werke fort, na-
mentlich die Kirchen zu Haina und Wetter, die doch eben wegen
ihres frühen Datums eine besondere Rücksicht verdient hätten.
So giebt er den Diensten von Haina Ringe, von denen doch
keine Spur vorhanden ist, unentwickeltes Maaßwerk, während
nach meiner Ansicht kaum irgendwo anders sich schöneres fin-
det; den Chor zu Wetter dahingegen, mit Ringen an den
Diensten und völlig primitiven Details, versetzt er saus gene
in das 14. Jahrhundert, und so weiter. Auch bei den fran-
zösischen Werken verfehlt er nicht selten die Scheibe, wie ich
auf meiner neulichen Reise nach Frankreich gesunden habe, was
übrigens bei der Ungeheuern Masse, die er in seinem Werke zu
bewältigen hatte, sehr entschuldbar ist und letzterem immer noch
einen hohen Werth beläßt. Es wäre nicht uninteressant, eine
Zusammenstellung der verschiedenen Jrrthümer, wenigstens so
weit es sich um deutsche Monumente handelt, zu versuchen; eine
solche dürfte indeß dem Herrn Schnaase gegenüber ebenso übel
vermerkt werden und ebenso wirkungslos bleiben, wie die vor
einiger Zeit von dem biederben Sebastian Brunner gegen
Alexander v. Humboldt gerichtete Kritik. In solchen Sonnen
darf Niemand einen Flecken wahrnehmen, wenn er nicht sofort
als Obskurant in den Bann gethan werden will."
*) Herr Seemann in Leipzig.
Ueber die von dem Architekten Gilbert Scott veranstaltete
Abbildung seines Entwurfs zum Hamburger Rathhause, dem bei
der Preis-Bertheilung der erste Preis zuerkannt worden war,
äußert er sich: „Daß gegen die Ausführung agitirt und intri-
guirt wird, war mir bekannt. Der Leibarchitekt des Herrn I.,
ein Herr Meuron, wird wohl oben bleiben, oder doch Herrn
Scott nicht weichen. — Die von ihm zur Konkurrenz gegebene
brillante Aquarelle, soll von einem Hamburger Maler L. her-
rühren. Schon zur Zeit meiner Anwesenheit in Hamburg wur-
den allerhand Geschichtchen ä la Boccaccio erzählt, welche zu
dieser Konkurrenzgeschichte und deren Resultatlosigkeit wohl in
einer gewissen Beziehung stehen könnten.-- — Ganz ab-
gesehen von meiner Hochachtung für den mir persönlich unbe-
kannten Herrn Scott, würde ich es lebhaft bedauern, wenn das
in pekuniärer Beziehung so blühende Hamburg, nachdem es durch
die Nicolaikirche seinen Sinn für die echte Kunst in so glän-
zender Weise bethätigt hat, da wo es so recht eigentlich um
seine bürgerliche Größe sich handelt, wieder als eine ordinäre,
moderne Philisterstadt sich darstellte und vor einem Prachtbaue
im Style seiner — und des gemeinsamen Vaterlandes — großen
Vergangenheit scheu zurückträte."
Wir schließen diese „Aphorismen" mit einer interessanten
Bemerkung Ungewitter's über die „Renaissance", aus einem
Briefe an Hrn. T. O. Weigel, welcher, wie es scheint, Un-
gewitter über die Zweckmäßigkeit der Herausgabe eines „Muster-
Buchs der Renaissance" um Rath gefragt hatte: „Zuvörderst
will ich auf die von Ihnen ausgesprochene Ansicht fußen, daß
die Renaissance der Gothik, als einer selbstständigen, nationalen
Kunstweise, eben wegen des Mangels dieser Eigenschaften nach-
stehen müsse. Sie ist von Haus aus in Wirklichkeit nichts An-
deres als eine Mischung der gothischen Tradition mit der wieder
aufgenommeuen Antike, gewissermaaßen einer Vermählung des
Faust mit der Helena entsprossen. Nun war der Faust zur
Zeit dieser Vermählung schon etwas stark über die Jugendsrische
hinaus. Es variirt demnach ihr Charakter je nach dem Ueber-
wiegen der väterlichen oder der mütterlichen Eigenschaften; ebenso
auch die Schätzung, welche sie bei dem Einen oder Anderen findet.
Einen eigentümlichen Reiz aber gewinnt sie durch den so feinen
Geschmack, der bei der Zusammensetzung ihrer älteren Werke
wenigstens sich kundgiebt. Die Bestandteile der Renaissance
sind übrigens schon in einer ziemlichen Zahl von Werken dar-
gestellt und ich möchte zweifeln, ob das Bindemittel des seinen
Geschmackes für sich allein hinreichenden Stoff zu einem neuen
Werke liefern könnte."
„Weiter kommt in Betracht, daß in den schönsten Werken
der Renaissance die Konstruction, die Knochen und selbst die
Muskeln, noch gothisch und nur die Bekleidung, das Fett und
die Haut, antik sind, daß die Renaissance, im großen Ganzen,
nie eine selbstständige Konstruction erschaffen hat, daß sonach
das von Ihnen projektirte Werk doch im Wesentlichen nur eine
dekorative Richtung verfolgen würde. So dürste es z. B. kaum
möglich sein, der Renaissance angehörige Profilirungen aufzu-
führen, da selbst diese entweder antik oder spätgothisch sind."
„Ich persönlich und, wie ich glaube, eine nicht geringe An-
zahl Gleichgesinnter würden uns über das Erscheinen eines
derartigen, sachkundig redigirten und gut ausgestatteten Werkes