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Die Dioskuren: deutsche Kunstzeitung ; Hauptorgan d. dt. Kunstvereine — 18.1873

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https://doi.org/10.11588/diglit.12974#0016
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naturwahrer Charakteristik, denn die Kinder werden fast immer,
selbst bis in die spätere Zeit der griechischen Kunstblüthe (z. B-
im Laokoon), nur als verkleinerte erwachsene Menschen dargestellt.

Die Natur also, als Objekt subjektiv-poetischer Empfindung,
und im Besonderen das Thier als Gegenstand charakteristischer
Kunstdarstellung gehören ausschließlich der modernen Kunst an.
Im ornamentalen Sinne freilich wurde das Thier auch im
Alterthum, und zwar zuweilen in groteskester Formenverbindung,
häufig und mit großem Geschmack benutzt. Davon ist aber hier
nicht die Rede, sondern von dem Leben und Treiben des wirk-
lichen Thiers, sei es im Zusammenhänge mit der Natur oder
isolirt, sei es in seinem Verhältniß zum Menschen oder ohne
solche Beziehung. Dies ist der eigentliche Gegenstand unsrer
Betrachtung.

Zuvor eine kurze Bemerkung über die Stellung, welche die
Thiermalerei —- denn diese haben wir zunächst im Auge — in
der Reihe der andern Gattungen der Malerei einnimmt. Denn
es kann wohl von vornherein keinem Zweifel unterliegen, daß
von der großen monumentalen und historischen Malerei bis herab
zum miuiaturartigeu Stillleben und Blumenstück es eine Stufen-
und Rangfolge von Motiven giebt, deren ideelles Gewicht sehr ver-
schieden ist. Wenn wir bei unseren kritischen Besprechungen über
größere Kunstausstellungen diese Rangstufenfolge stets beobachteten,
so hat dies seine volle Berechtigung; andrerseits aber schließt
dies keineswegs aus, daß ein Werk einer beliebigen Gattung in
seiner Art ein ebenso großes oder größeres Meisterwerk sein
kann und auch oft ist als ein Werk, das seinem gewählten
Motiv nach einer höheren Stufe angehört. Aber es kommt da-
bei noch ein andrer wichtiger Punkt in Betracht, der für die
Behandlung eines bestimmten Motivs von maaßgebender Be-
deutung ist, nämlich der nothwendige Zusammenhang, welcher
zwischen der ideellen Größe eines Motivs und seiner dimensio-
nalen Ausdehnung obwaltet. Um sogleich die Extreme iu's Auge
zu fassen, so wird Niemand, der sich sein unbefangenes Gefühl
in ästhetischen Dingen bewahrt hat, in Zweifel darüber sein,
daß ebensowenig wie Schlachten- oder überhaupt Historiengemälde
in kleinstem Format zu ihrer vollen Wirkung gelangen können,
es geeignet scheint, Stilllebenmotive in kolossalem Maaßstab zu
behandeln. Zwischen diesen Extremen herrscht nun aber eine
ebenso gesetzmäßige Stufenfolge wie zwischen den Motiven selbst,
so daß man mit vollem Recht den Satz aufstellen kann, daß
jedes gegebene Motiv in der That nur in einer ganz bestimmten,
seinem Jdeen-Jnhalt adäquaten, Dimension zur vollsten Wirkung
gelangen kann. Der Maaßstab ruht allerdings dabei in der
Empfindung des Künstlers; — freilich läßt gerade nach dieser
Seite hin den Künstler die Empfindung am häufigsten im Stich,
und zwar darum, weil jedem das einmal gewählte Gattungs-
gebiet als besonders wichtig und interessant und darum auch für
größere Dimensionen berechtigt erscheinen wird. Deshalb sehen
wir grade in den unteren Gattungen der Malerei meist den
Fehler begehen, daß zu große Formate gewählt werden. Grade
diejenigen, welche sich speciell einer bestimmten Sphäre widmen,
z. B. der Thiermalerei oder dem Stillleben, leben sich allzuleicht
dermaaßen in dieselbe hinein, daß sie den richtigen Maaßstab
für ihre relative Berechtigung gegenüber andern Sphären ver-
lieren. Hieraus erklärt sich der nur allzuhäufige Fehler, daß

meist solche Motive viel zu umfangreich behandelt werden. In
der Reihe der Kunstdarstellungen von der Historienmalerei herab
stehen das Stillleben und die Thiermalerei rücksichtlich der
Motive auf den untersten Stufen; denn die Landschaft ist schon
deshalb über die Thiermalerei, geschweige über das Stillleben
zu setzen, weil in ihr das subjektive Element künstlerischer
Koneeption, die Stimmung, mehr zur Geltung kommt. Wenn
nun schon die große Mehrzahl der Landschaften zu groß gemacht
wird, so findet dies noch viel mehr in der Thiermalerei und
im Stillleben statt.

Wir möchten es deshalb nicht für überflüssig halten, an
einer von diesen Kunstsphären und zwar au der Thiermalerei,
welche übrigens wieder sehr verschiedene Richtungen und Stufen-
folgen in sich zuläßt, diese Frage nach dem Zusammenhang
zwischen dem ideellen Gewicht und dem räumlichen
Umfang der Darstellung praktisch zu erörteru und nachzu-
weisen, daß die Berufung auf die alten Meister, in diesem Falle
Snyders, Paul Potter u. A., welche sich oft in der Größe
vergriffen haben, für diese rein ästhetische Frage nicht immer
zulässig ist.

Die erste, niedrigste Stufe der Thiermalerei betrachtet das
Thier als Portraitmotiv und geht in seiner Darstellung
fast stilllebenartig zu Werke. Es giebt Maler wie z. B. Ver-
boeckHoven, welche fast weiter nichts als Kühe und Schafe
malen und oft eine einzelne Kuh, stehend oder liegend, als Motiv
für ein Bild wählen, welches sie mit einem unglaublichen Auf-
wand von technischer Kunstfertigkeit ausführen. Was solch' ein
Kuhportrait ideell gewährt, ist natürlich sehr wenig. Der Ge-
nuß, der dem Beschauer daraus (mit Absetzung dessen, was eben
nur der Bewunderung der technischen Kunstfertigkeit angehört und
für das Motiv als solches nicht in Betracht kommt) entspringt,
beschränkt sich etwa aus die Freude an der getreuen Nachahmung
des Stofflichen und des kuhmäßigen Charakters des Gegenstandes.
Die ideelle Ausbeute bei solchen Thierportraits — namentlich bei
wenig intelligentem Vieh, wie Kühen, Schafen, Schweinen, Gänsen,
Enten und dergl. — ist also nur sehr gering. Wenn daher
Rosa Bonheur ihren Lieblingsstier oder Hoguet seine be-
kannte Trappe lebensgroß malten, so sind sie nicht deshalb
sondern trotzdem große Künstler; Mißgriffe bleiben die Werke
deshalb doch, oder sagen wir, da es sich dabei auch um eine
Dame handelt, Capricen.

Wenn man dergleichen ästhetische Bedenken gegen einen
Künstler äußert, dann empfängt man oft die Antwort: „Warum
sollte nicht auch einmal dergleichen gemalt werden?" — „Der
Künstler wollte nun einmal auch so etwas malen u. s. f." Als
ob die Wahl und Behandlung von Motiven lediglich von dem
subjektiven Ermessen abhiuge; als ob kein inneres Gesetz für
alles Geschaffene — sei es in der Natur oder der Kunst —
existirte! — Wenn einmal die Natur einen Zwerg oder einen
Riesen schafft, so wird das Gesetz der für die menschliche Ge-
stalt bestimmten mittleren Größe dadurch nicht umgestoßen; im
Gegentheil: es sind Mißschöpfungen und als solche ihrer Selten-
heit wegen vielleicht merkwürdig, aber nie als berechtigte Ver-
treter menschlicher Schönheit gültig. Wie mit diesen Capricen
der Natur, so verhält es sich auch mit den Capricen der Kunst:
sie sind und bleiben Mißschöpsungen, die dem ästhetischen Princip
 
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