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Eggers, Friedrich [Editor]
Deutsches Kunstblatt <Stuttgart>: Zeitschrift für bildende Kunst, Baukunst und Kunsthandwerk ; Organ der deutschen Kunstvereine &. &. — 6.1855

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https://doi.org/10.11588/diglit.1199#0464
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den Formen den künstlerischen Ausdruck für die mannigfaltigen Be-
dürfnisse des Lebens gefunden haben. Für die praktische Entwicklung
der Baukunst vermögen daher solche Anlagen fruchtbringender zu
werden, als alle Kathedralen jener Zeit.

Doch zurück in unfern Kreuzgang. Der an der Kirche hin-
laufende südliche Flügel desselben muß ungefähr gleichzeitig mit dem
Paradies erbaut sein. Er zeigt denselben eleganten, reichen Ueber-
gangsstyl, eine Menge schlanker Säulchen mit Ringen, scharf pro-
filirten Basen uud reich verzierten Kapitalen. An den Gewölben
treten aber die im nördlichen Frankreich so beliebten sechstheiligen
Kappengewölbe auf, die dadurch entstehen, daß in beiden gegenüber-
liegenden Mauern noch je eine Stütze mit einer Rippe zwischen den
beiden Hauptstützen angebracht wird. Die Fenster sind theils im
Rundbogen, cheils in kaum merklichem Spitzbogen geschlossen. Das
Aeußere hat die Konsolengesimse und die einfachen Strebepfeiler, die
wir auch am Paradies fanden.

Entschieden späterer Zeit gehören die übrigen drei Flügel des
Kreuzganges an, da ihre älteren Theile den frühgothischen Styl zei-
gen. Hier sind Kreuzgewölbe und weitgesprengte Bogenösfnungen
bei einfachen Strebepfeilern herrschend. Diese Theile gehören in
baugeschichtlicher Hinsicht zu den interessantesten des ganzen Klosters,
denn es läßt sich an ihnen deutlich die fortschreitende Entwicklung
des Styles verfolgen. Man begann offenbar mit dem westlichen
Flügel, und durch eine Inschrift an einer Konsole daselbst ist fest-
gestellt, daß dieser Theil um 1309 unter dem Prior Walther durch
einen Laienbaumeister Rosenschöphelin, dessen Kopf sammt drei
Rosen an der Konsole dargestellt ist, errichtet wurde. Hier tritt der
gothische Styl in primitivster Art der Entfaltung vor uns; die
Maueröfsnungen werden durch gruppirte Säulchen eingerahmt, deren
schlanke Schäfte die Ringe abgestreift haben, aus fein profilirten
Sockeln ausschießen, die nicht mehr die Energie der Uebergangszeit
kennen, und mit glockenförmigen Kapitälen enden, deren Leib ein
dürftiges gothisches Blattwerk fast schüchtern bekleidet. Von aus-
gebildetem Maßwerk ist noch nicht die Rede; wohl aber zeigen sich
interessante, noch unbehülfliche Versuche, ein solches zu bilden. Ein
sechsfacher Rundpaß durchbricht zur Noch das von einem Spitzbogen
eingerahmte Mauerstück, welches über den beiden kleineren Spitz-
bögen jedesmal entsteht. Die Profilirung der Bogenlaibungen ist
noch unentschieden.

Einen weiteren Fortschritt bezeichnet der nördliche Flügel, doch
ebenfalls noch in den Gränzen strenggothischen Styles. Hier ist die
Mauer bereits kühner, luftiger durchbrochen, denn statt der zweige-
theilten Oesfnungen mit kräftigen Säulenbündeln zeigt sie weite vier-
theilige Oeffnungen mit schlanken Zwischenstäben. Letztere sind frei-
lich noch in Form von Rundstäben gebildet, die sich nach außen und
nach innen an einen schmalen Steiupfosten lehnen; allein die kom-
plicirte Bildung ihrer Sockel und das Fortfallen der Kapitäle spricht
klar genug den Uebergang von der gebundenen Säulenform zu der
freien Pfostenbildung aus. Auch das Maßwerk ist etwas entwickel-
ter, obwohl es noch nicht zu einem festen Prinzip gekommen zu sein
scheint und man die Drei-, Vier-, Fünf- und Sechspässe je nach
Gutdünken anwendet. Am meisten macht jedoch dieser Charakter des
Ungewissen sich an den beiden östlichsten Systemen geltend, wo auch
die Entwicklung der Wandfläche noch am mangelhaftesten erscheint.
Den letzten Theil bildet offenbar der östliche Flügel, dessen Fenster
bereits eine etwas nüchterne und gleichmäßig feststehende Behandlung
des Maßwerkes zeigen und dessen Vollendung wohl um die Mitte
des vierzehnten Jahrhunderts fallen möchte.

Am nördlichen Flügel des Kreuzganges tritt ein im Anfang des
16. Jahrh. erbautes Quellhaus nach dem innern Hofraum hervor.
Seine Mitte bildet eine mächtige Schale, über deren Rand ein jetzt
versiegter Brunnen ehemals sein Wasser ausgoß. Dieser zierliche

Bau ist regelmäßig aus dem Neuneck konftruirt, bei einem Durch-
messer von 21 Fuß mit einem eleganten Rippengewölbe auf schlan-
ken Diensten und mit Fenstern ausgestattet, deren Maaßwerk sich den
edlen Formen früherer Zeit anschließt. Ueber dem Gewölbe erhebt
sich ein Obergeschoß im Fachwerkbau.

Gerade auf die Axe dieses zierlichen Gebäudes ist ein andrer,
an die Außenseite desselben Kreuzgangflügels gelehnter Bau gerich-
tet, dessen'imposante Wirkung der des ungefähr gleichartigen Para-
dieses durchaus gleich kommt. Es ist das sogenannte Rebenthal,
vermuthlich ehemals der Kapitelsaal, dann das Refektorium des Klo-
sters. In einer Länge von 90 Fuß erstreckt sich dieser Prachtsaal
von Süden nach Norden, bei einer lichten Breite von 40 Fuß,
die durch eine Säulenstellung in zwei gleich breite Schiffe getheill
wird. Von den sieben Säulen haben drei stärkeren Umfang, als
die übrigen. Sie zerlegen den ganzen Raum in acht ziemlich qua-
dratische Abtheilungen. Um aber für die mächtigen Gewölbgurte
eine Vermehrung der Stützen zu gewinnen, sind in den Zwischen-
räumen jene dünneren Säulen angebracht, welche, sammt den ent-
sprechenden Konsolen in den Umfaffungmauern, die Zwischengurte
der wiederum sechstheiligen Gewölbe ausnehmen. Die Struktur ist
hier, wie überall an den wichtigsten Gebäuden dieses Klosters von
bewundernswürdiger Gediegenheit und Eleganz. Die Anlage der
Gewölbe stützt sich noch wesentlich auf den Rundbogen; doch wurde
bei einer so complicirten Aufgabe der Architekt zu den eigenthüm-
lichsten Auskunftsmitteln, zu elliptischen Kreuzrippen, spitzbogigen
Schildgurten und dreifachen Kämpferhöhen genöthigt. Alles dies kann
man nicht schön nennen, allein es trägt das Gepräge energischen
Wollens, eifrigen Suchens und freien Schaltens mit den noch eng
begränzten technischen Mitteln so deutlich zur Schau, daß dies allein
dem Bau den fesselndsten Reiz verleiht. Dazu kommt aber noch die
Macht und Würde der Verhältnisse, der Reichthum der plastischen
Ausstattung, die hier auf einer seltenen Höhe freier Aufnahme und
Reproduktion antiker Motive steht, Eigenschaften, die diesen Räum-
lichkeiten einen ausgezeichneten Rang in der Bauentwicklung ihrer
Zeit vindiciren. Es ist in diesen vielfach ungelenken Denkmalen
der Uebergangszeit eine solche Fülle künstlerischer Energie, männlicher
Würde und jugendlicher Frische vereint, wie kaum in den Werken
einer anderen Zeit. Wie richtig übrigens hier die ästhetische Wir-
kung berechnet ist, beweisen die hohen Sockel und Basen, die kräf-
tigen Ringe und Säulenschäfte, und die reich gegliederten Deckplatten
der Kapitäle. Die Kämpferhöhe beträgt vom Boden 20 Fuß, also
die ungefähre Grundlinie der Gewölbquadrate; die Gewölbe aber
steigen von da bis zum Scheitel noch 15 Fuß.

Von schönster Wirkung ist der Blick aus diesem geöffneten
Saale durch den Kreuzgang und das Quellhaus auf die gegenüber-
liegenden älteren Theile des Kreuzganges und die dahinter aufra-
genden ernsten Mauern der Kirche. Eine später vermauerte Oeff-
nung an der westlichen Seite des Saales verband denselben mit
einem gewölbten Raume, den der Volksmund Doctor Faust's Labo-
ratorium nennt, wie auch einer der Mauerthürme den Namen jenes
berühmten Doctors trägt, dessen Wirksamkeit eine Lokalsage hierher
verlegt; in Wahrheit war es die Küche des Klosters? An die ent-
gegengesetzte Seite derselben stößt ein vom westlichen Kreuzgangs-
flügel zugänglicher Raum, der vielleicht das frühere Refektorium
war. Er hat die beträchtliche Länge von 120 Fuß bei einer Breite
von 35 Fuß, die durch eine Reihe paarweis gekuppelter Säulen, sie-
ben an der Zahl, halbirt wird. Eine große Menge von paarweis
geordneten Rundbogenfenstern erhellt ihn von drei Seiten. Seine
Kreuzgewölbe haben keine Rippen. Der Styl dieses Bautheiles
weist ihm eine Entstehungszeit zwischen der Kirche und der Vorhalle,
sowie dem „Rebenthal" an. In seiner nächsten Umgebung finden
wir auch eine bestimmte Jahreszahl. Die westliche Umfaffungs-
 
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