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Band, worin uns der V. .die Briefe der"deutschen Künstler des
16. Jahrhunderts zu geben verspricht, recht bald erhalten werden.
Zwanzig Turncr'sche Landschaften in Marldormigh-Aouse.
Turner ist auf dem Continente außer bei den Kunstverwandten
kaum den Namen nach gekannt und seine Bilder kennen nur jene
wenigen, die zu ihren Künstlerfahrten nach Ron: und Paris einen
flüchtigen Besuch an der Themse gesellt haben.
Turner hat nur lokalen Ruhm, aber an Ort und Stelle ist
es ein ganzer und unbestrittner Ruhm. Wie immer hat sein Tod,
der vor vhugefähr zwei Jahren erfolgte, das Maaß voll gemacht.
Man hat ihn in St. Paul's begraben und der Neid und die Kritik
schweigen, seitdem die Staffelei des alten Herrn leer steht. Denn
er war ein alter Herr, sehr alt. 1797 erregten seine ersten Sachen
bereits Aufsehen, so daß er in den letzten Jahren seines Lebens un-
ter den englischen Künstlern dastand, wie etwa Alexander v. Hum-
boldt (dessen Ruhm noch ein Jahr früher beginnt, 1796) unter den
Gelehrten aller Zonen. Wie viel zu dem inuner wachsenden Ruhme
Turners ein Vermächtniß von 60,000 <£ zur Begründung, wenn
ich nicht irre, einer Malerschule, bcigetragen hat, vermag ich
nicht zu sagen. Nur so viel weiß ich' daß Einem die öffentliche
Meinung in England eine Summe von 60,000 auch noch im
Grabe gut schreibt und ihr eine rückwirkende Kraft giebt, vor der
die strengste Kritik sich beugt. Solch ein Mann muß gut gemalt
haben; wenigstens ist das Gegentheil undenkbar. Ich zweifle, daß
über den Dichter und Banquier Rogers (der vor einem Jahre
ebenfalls in hohem Alter starb) jemals eine absprcchende Kritik er-
schienen ist.
Turner ist nun aber wirklich ein Maler. Die Vernon-Galle-
rie besaß seit lange einzelne seiner charakteristischsten Landschaften
und hier war es, wo mir seine völlig abweichende Art zu inalen
schon vor Jahren auffiel und trotz einer gewissen Manier und eines
unverkennbaren Zuweitgehens, ebenso imponirte wie zum Nachdenken
Stoff bot. Jetzt sind (in derselben Gallerie) zwanzig weitere Bil-
der von ihm ausgestellt und einen Zeitraum von beinahe 50 Jahren
umfassend, geben sie eine treffliche Gelegenheit, die Entwicklung dieses
Malers zu verfolgen und nachzuweisen, wann und wie seine Eigen-
thütnlichkeiten entstanden sind.
Seine ersten Sachen, zum Theil vortrefflich, bieten nichts Cha-
rakteristisches; sie würden seinen Namen in künstlerischen Kreisen
geachtet, aber nicht im ganzen Lande gekannt gemacht haben. Jenes
begeisterte Lob und jener entrüstnngsvolle Tadel, die sich ein Vier-
teljahrhundert hindurch in unzähligen Artikeln bekämpften, würden
nie laut geworden sein. Unter den besten Bildern jener ersten Epoche
befinden sich zwei besonders nennenswerthe: „Ein Schiffbruch" aus
dem.Jahre 1805 und „Abingdon in Berkshire" aus dem Jahre
1810. Beide existiren im Kupferstich.
Das Jahr 1817 bildet den Wendepunkt in dem künstlerischen
Leben Turner's. Es scheint, daß er um diese Zeit, sei es durch
Freund oder Feind, darauf hingewiesen wurde, daß selbst das Beste
was er geschaffen habe, keinen Vergleich mit den Landschaften
Claude's ertragen könne und daß die Werke des letzteren nach wie vor
ein unerreichbares Vorbild seien. Verzehrt von einem brennenden Ehr-
geiz (der bis zum höchsten Alter des Künstlers aushielt) und begierig
nach dem ersten Preis, nahm Turner den hingeworfenen Handschuh
auf und erschien aus den zwei nächsten Ausstellungen mit Tableaux,
die berechtigte Seitenstücke zum Claude Lorrain oder richtiger ins
Turnersche übersetzt. Claude's sein sollten. Es waren „der Ver-
fall Carthago's" und „die Bucht von Bajä." Er hatte in
diesen beiden Bildern nicht nur vor, den Claude zu imitiren, son-
dern, wohl fühlend, daß alles Imitiren ein Schleppetragen des
Meisters sei, ihn zu übertreffen. Man kann nicht leugnen, daß
i er ihm in manchen Stücken ebenbürtig war; ein seines poetisches
: Empfinden und eine bewundernswerthe Gabe der Perspektive.hatte
er mit ihm gemein und an Gedanken war er reicher, oft nur allzu
reich. Aber dies reichte nicht aus und um so weniger, als er sich
selbst in seinen eitelsten Stunden*) nicht verhehlen konnte, daß er
unfähig sei, eine nur einigermaßen correcte inenschliche Gestalt zu
! zeichnen. Dieser Mangel mußte durch irgend etwas ausgeglichen
^ werden und er wählte dazu — die Farbe. Eigenthümliche Mi-
! schnngen, abweichend.von allem Hergebrachten, sollten wunderbare
>Farben- und Licht-Effekte hervorbringen und dadurch das Urtheil
!zn seinen Gunsten bestechen. Ein Beleuchtungs-Raffinement, das
j wir in Deutschland, wenigstens auf dem Gebiete der Laudschafts-
! Malerei, von unserem genialen Hildebrandt an zu datiren pflegen,
!war hier 1817 schon in vollem Schwünge, wie sich jeder überzeu-
gen kann, der einen Blick aus den „Verfall Carthago's" wirst. Es
ist, um deutschen Lesern das Bild mit wenig Worten zu veran-
schaulichen, ein Claude Lorrain mit einer Hildebrandt'schen Beleuch-
tung. Als solches erweist es sich noch jetzt, wo alte Amateurs
aus den zwanziger Jahren dieses Jahrhunderts unisono beklagen,
daß es nicht annähernd mehr das sei, was es war. Diese Klage
hört man in Bezug auf alle Turner'schen Bilder. Er nahm zu
Farben seine Zuflucht, von denen er wußte, daß sie nicht dauern
würden, aber sein Hang nach jährlichen und rasch wiederkehrenden
Triumphen war so groß, daß er nicht Anstand nahm, seinen Nach-
ruhm dem Ruhm des Tages zu opfern.
Ich habe gezeigt, wie sein Feuereifer den Claude zu überflügeln,
zu dem führte, was sich erst späterhin zu einer Turner'schen Eigen-
thümlichkeit ausbildete. Es liegt auf der Hand, daß man über
diese Peknliarität nicht in Bausch und Bogen aburtheilen kann; je-
der einzelne Fall will erwogen sein. Nicht nur, daß er im Maaß
verschieden war und die Scala vom Unglaublichen bis zum wenig-
stens Möglichen durchspielte, auch die jedesmalige Lokalität will bei
Beurtheilung seiner Bilder in Betracht gezogen sein und was für
Venedig gilt, gilt nicht für Portsmouth und umgekehrt. So kommt
es denn, daß der Eindruck, den seine Bilder Hervorrufen, obschon
sie sammt und sonders eine große Familienähnlichkeit haben, doch
ein sehr verschiedener ist. Einige, besonders die figurenreichen (ich
nenne nur Phryne als Venus, zu den öffentlichen Bädern gehend)
machen einen wenig erquicklichen, zum Theil einen lächerlichen Ein-
druck. Andere, wo die Figuren ganz oder beinah fehlen und wo
der südliche Himmel jede Extravaganz der Farbe gestattet, befriedi-
gen mehr und zeigen die Bedeutendheit seines Talents in ungestör-
terer Weise. Sie müssen für Maler vom höchsten Interesse sein.
Ich nenne an dieser Stelle „die Ankunft vor Venedig." Nicht als
ob das Bild mich besonders erbaut hätte, aber es ist wunderbar
zu sehen, wie die technische Meisterschaft des Malers ausgereicht
hat, eigentlich nur mit 2 Farben und zwar mit gelb und weiß
■*) Als Beweis für seine außerordentliche Eitelleit mag Folgendes dienen.
Man hat nur ein einziges zureichendes und nennenswerthes Portrait von ihm,
wiewohl er hundertmal darum angegangen wurde, zu einem solchen zu sitzen.
Er verweigerte es siets und zwar seinen Freunden gegenüber mit dem Bemer-
ken, daß das Ungeschlachte und Aufgedunsene seiner bäurischen Erscheinung
der Poesie seiner Bilder Abbruch thun und den Glauben an die Wahrheit und
Tiefgefühltheit derselben untergraben würde. Jenes obengenannte Portrait wurde
natürlich heimlich gemacht und war das endliche Produkt eines förmlichen Com-
plotts. Turner wurde zu Tische geladen, erschien und der berühmte Portrait-
maler Linnell skizzirte die Züge Turners, den man in eifrigem Gespräch erhielt,
auf dem Daum-Nagel. Dies wurde wiederholt, um eine inzwischen angefertigte
größere Skizze zu rectificiren und so entstand endlich ein schönes Oelgemälde,
das für 200 Guineen an einen Turner-Verehrer in der Nähe Birminghams
verkauft wurde.
Band, worin uns der V. .die Briefe der"deutschen Künstler des
16. Jahrhunderts zu geben verspricht, recht bald erhalten werden.
Zwanzig Turncr'sche Landschaften in Marldormigh-Aouse.
Turner ist auf dem Continente außer bei den Kunstverwandten
kaum den Namen nach gekannt und seine Bilder kennen nur jene
wenigen, die zu ihren Künstlerfahrten nach Ron: und Paris einen
flüchtigen Besuch an der Themse gesellt haben.
Turner hat nur lokalen Ruhm, aber an Ort und Stelle ist
es ein ganzer und unbestrittner Ruhm. Wie immer hat sein Tod,
der vor vhugefähr zwei Jahren erfolgte, das Maaß voll gemacht.
Man hat ihn in St. Paul's begraben und der Neid und die Kritik
schweigen, seitdem die Staffelei des alten Herrn leer steht. Denn
er war ein alter Herr, sehr alt. 1797 erregten seine ersten Sachen
bereits Aufsehen, so daß er in den letzten Jahren seines Lebens un-
ter den englischen Künstlern dastand, wie etwa Alexander v. Hum-
boldt (dessen Ruhm noch ein Jahr früher beginnt, 1796) unter den
Gelehrten aller Zonen. Wie viel zu dem inuner wachsenden Ruhme
Turners ein Vermächtniß von 60,000 <£ zur Begründung, wenn
ich nicht irre, einer Malerschule, bcigetragen hat, vermag ich
nicht zu sagen. Nur so viel weiß ich' daß Einem die öffentliche
Meinung in England eine Summe von 60,000 auch noch im
Grabe gut schreibt und ihr eine rückwirkende Kraft giebt, vor der
die strengste Kritik sich beugt. Solch ein Mann muß gut gemalt
haben; wenigstens ist das Gegentheil undenkbar. Ich zweifle, daß
über den Dichter und Banquier Rogers (der vor einem Jahre
ebenfalls in hohem Alter starb) jemals eine absprcchende Kritik er-
schienen ist.
Turner ist nun aber wirklich ein Maler. Die Vernon-Galle-
rie besaß seit lange einzelne seiner charakteristischsten Landschaften
und hier war es, wo mir seine völlig abweichende Art zu inalen
schon vor Jahren auffiel und trotz einer gewissen Manier und eines
unverkennbaren Zuweitgehens, ebenso imponirte wie zum Nachdenken
Stoff bot. Jetzt sind (in derselben Gallerie) zwanzig weitere Bil-
der von ihm ausgestellt und einen Zeitraum von beinahe 50 Jahren
umfassend, geben sie eine treffliche Gelegenheit, die Entwicklung dieses
Malers zu verfolgen und nachzuweisen, wann und wie seine Eigen-
thütnlichkeiten entstanden sind.
Seine ersten Sachen, zum Theil vortrefflich, bieten nichts Cha-
rakteristisches; sie würden seinen Namen in künstlerischen Kreisen
geachtet, aber nicht im ganzen Lande gekannt gemacht haben. Jenes
begeisterte Lob und jener entrüstnngsvolle Tadel, die sich ein Vier-
teljahrhundert hindurch in unzähligen Artikeln bekämpften, würden
nie laut geworden sein. Unter den besten Bildern jener ersten Epoche
befinden sich zwei besonders nennenswerthe: „Ein Schiffbruch" aus
dem.Jahre 1805 und „Abingdon in Berkshire" aus dem Jahre
1810. Beide existiren im Kupferstich.
Das Jahr 1817 bildet den Wendepunkt in dem künstlerischen
Leben Turner's. Es scheint, daß er um diese Zeit, sei es durch
Freund oder Feind, darauf hingewiesen wurde, daß selbst das Beste
was er geschaffen habe, keinen Vergleich mit den Landschaften
Claude's ertragen könne und daß die Werke des letzteren nach wie vor
ein unerreichbares Vorbild seien. Verzehrt von einem brennenden Ehr-
geiz (der bis zum höchsten Alter des Künstlers aushielt) und begierig
nach dem ersten Preis, nahm Turner den hingeworfenen Handschuh
auf und erschien aus den zwei nächsten Ausstellungen mit Tableaux,
die berechtigte Seitenstücke zum Claude Lorrain oder richtiger ins
Turnersche übersetzt. Claude's sein sollten. Es waren „der Ver-
fall Carthago's" und „die Bucht von Bajä." Er hatte in
diesen beiden Bildern nicht nur vor, den Claude zu imitiren, son-
dern, wohl fühlend, daß alles Imitiren ein Schleppetragen des
Meisters sei, ihn zu übertreffen. Man kann nicht leugnen, daß
i er ihm in manchen Stücken ebenbürtig war; ein seines poetisches
: Empfinden und eine bewundernswerthe Gabe der Perspektive.hatte
er mit ihm gemein und an Gedanken war er reicher, oft nur allzu
reich. Aber dies reichte nicht aus und um so weniger, als er sich
selbst in seinen eitelsten Stunden*) nicht verhehlen konnte, daß er
unfähig sei, eine nur einigermaßen correcte inenschliche Gestalt zu
! zeichnen. Dieser Mangel mußte durch irgend etwas ausgeglichen
^ werden und er wählte dazu — die Farbe. Eigenthümliche Mi-
! schnngen, abweichend.von allem Hergebrachten, sollten wunderbare
>Farben- und Licht-Effekte hervorbringen und dadurch das Urtheil
!zn seinen Gunsten bestechen. Ein Beleuchtungs-Raffinement, das
j wir in Deutschland, wenigstens auf dem Gebiete der Laudschafts-
! Malerei, von unserem genialen Hildebrandt an zu datiren pflegen,
!war hier 1817 schon in vollem Schwünge, wie sich jeder überzeu-
gen kann, der einen Blick aus den „Verfall Carthago's" wirst. Es
ist, um deutschen Lesern das Bild mit wenig Worten zu veran-
schaulichen, ein Claude Lorrain mit einer Hildebrandt'schen Beleuch-
tung. Als solches erweist es sich noch jetzt, wo alte Amateurs
aus den zwanziger Jahren dieses Jahrhunderts unisono beklagen,
daß es nicht annähernd mehr das sei, was es war. Diese Klage
hört man in Bezug auf alle Turner'schen Bilder. Er nahm zu
Farben seine Zuflucht, von denen er wußte, daß sie nicht dauern
würden, aber sein Hang nach jährlichen und rasch wiederkehrenden
Triumphen war so groß, daß er nicht Anstand nahm, seinen Nach-
ruhm dem Ruhm des Tages zu opfern.
Ich habe gezeigt, wie sein Feuereifer den Claude zu überflügeln,
zu dem führte, was sich erst späterhin zu einer Turner'schen Eigen-
thümlichkeit ausbildete. Es liegt auf der Hand, daß man über
diese Peknliarität nicht in Bausch und Bogen aburtheilen kann; je-
der einzelne Fall will erwogen sein. Nicht nur, daß er im Maaß
verschieden war und die Scala vom Unglaublichen bis zum wenig-
stens Möglichen durchspielte, auch die jedesmalige Lokalität will bei
Beurtheilung seiner Bilder in Betracht gezogen sein und was für
Venedig gilt, gilt nicht für Portsmouth und umgekehrt. So kommt
es denn, daß der Eindruck, den seine Bilder Hervorrufen, obschon
sie sammt und sonders eine große Familienähnlichkeit haben, doch
ein sehr verschiedener ist. Einige, besonders die figurenreichen (ich
nenne nur Phryne als Venus, zu den öffentlichen Bädern gehend)
machen einen wenig erquicklichen, zum Theil einen lächerlichen Ein-
druck. Andere, wo die Figuren ganz oder beinah fehlen und wo
der südliche Himmel jede Extravaganz der Farbe gestattet, befriedi-
gen mehr und zeigen die Bedeutendheit seines Talents in ungestör-
terer Weise. Sie müssen für Maler vom höchsten Interesse sein.
Ich nenne an dieser Stelle „die Ankunft vor Venedig." Nicht als
ob das Bild mich besonders erbaut hätte, aber es ist wunderbar
zu sehen, wie die technische Meisterschaft des Malers ausgereicht
hat, eigentlich nur mit 2 Farben und zwar mit gelb und weiß
■*) Als Beweis für seine außerordentliche Eitelleit mag Folgendes dienen.
Man hat nur ein einziges zureichendes und nennenswerthes Portrait von ihm,
wiewohl er hundertmal darum angegangen wurde, zu einem solchen zu sitzen.
Er verweigerte es siets und zwar seinen Freunden gegenüber mit dem Bemer-
ken, daß das Ungeschlachte und Aufgedunsene seiner bäurischen Erscheinung
der Poesie seiner Bilder Abbruch thun und den Glauben an die Wahrheit und
Tiefgefühltheit derselben untergraben würde. Jenes obengenannte Portrait wurde
natürlich heimlich gemacht und war das endliche Produkt eines förmlichen Com-
plotts. Turner wurde zu Tische geladen, erschien und der berühmte Portrait-
maler Linnell skizzirte die Züge Turners, den man in eifrigem Gespräch erhielt,
auf dem Daum-Nagel. Dies wurde wiederholt, um eine inzwischen angefertigte
größere Skizze zu rectificiren und so entstand endlich ein schönes Oelgemälde,
das für 200 Guineen an einen Turner-Verehrer in der Nähe Birminghams
verkauft wurde.