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Eggers, Friedrich [Hrsg.]
Deutsches Kunstblatt <Stuttgart>: Zeitschrift für bildende Kunst, Baukunst und Kunsthandwerk ; Organ der deutschen Kunstvereine &. &. — 8.1857

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https://doi.org/10.11588/diglit.1201#0158
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142

bühne anzuschließen scheinen. Carstens seinerseits war bekanntlich
auf Vasenbilder und ihre Bewunderer nicht sonderlich zu sprechen;
nur an den edelsten und vollendetsten Schöpfungen, die uns das
Alterthum hinterlassen, an ihren Statuen wollte er lernen und sich
begeistern, und von ihnen kommt denn auch jene plastische Rundung,
die seinen Gestalten auch im leichtesten Umriß eigen zu sein Pflegt.
Dieses Plastische, wir möchten sagen dieser Realismus im edelsten
Sinn, blieb ihm ebenfalls treu, wenn er aus dem antiken Gebiet in's
Phantastische, von Göttern zu Dämonen hinüberschweifte. Und er
hat das Letztere mehr als einmal gethan.

Wie der derbe Ausdruck unsres Volkes von großen und un-
wahrscheinlichen-Dingen (wie vor Alters von umher geschleuderten
Felsen und verwegnen Brückenbauten) wohl heute noch vermuthet,
es möge „mit dem Teufel zugegangen sein", so könnte man, wäre
anders in so hoher und ernster Sache das niedre Wort erlaubt,
auch bei der Wiedergeburt der deutschen Kunst in mehr als Einem
Sinne von einem dergleichen dämonischen Beistände sprechen. Es
war ein Sturz der „bösen Engel," der dem modernen Hellenen
vom cimbrischen Chersones*) die Berliner Akademie eröffnete, und
wenn auch düstre Gewölle gleich einer Rache des beleidigten Dä-
mons jenem Sonnenblick erster Anerkennung folgen sollten, wird
doch Niemand die Wichtigkeit des letztern für den Künstler, wie für
die gesammte Kunst leugnen können- Beiläufig, wo mag das merk-
würdige Blatt geblieben sein? Die genannte Akademie besitzt
es nicht.

— Zwar nicht an den Wohnort der bösen Geister, aber wenig-
stens auf den Weg dahin führen uns die berühmten Compositionen,
die nach Lucians Erzählung den gestorbnen Wüstling Megapenthes,
hier von den Abgesandten des Seelenführers Hermes wieder einge-
fangen, dort aus Charons Nachen zur Sicherheit au den Mast ge-
schnürt zeigen (die letztere en Gouache im Besitz der Berliner Aka-
demie), und ob zwar, dem Stofs gemäß, das-antike Element vor-
herrscht, die gaffenden und alla mora spielenden Kahninsassen wie
billig mehr von heidnischer Leichtfertigkeit zeigen, als von den Schrecken
einer solchen Fahrt, dennoch spricht uns, sei es aus ihren muskel-
vollen Gestalten, sei es aus der des greisen Fährmanns oder aus dem
Colorit des Ganzen noch ein anderer Geist an, der weniger an
Griechen und Römer, als an die beiden größten Florentiner, den
Dichter wie den Bildner erinnert. Sodann aber versetzt uns eine
andre, minder gekannte Darstellung (leider anscheinend des Künstlers
einzige aus diesem Kreis) wirklich in die christliche Unterwelt nicht
nur, sondern auch in die Schilderung ihres größten Dichters. Wir
erblicken das Schlangenthal der Diebe (Inferno C. XXV), den
dräuenden Centauren, auf dessen Schultern der feuerspeiende Drache
sich eingekrallt hat, die nackten Verdammten in den Ringeln des
höllischen Gewürms, und umnebelt von seinem giftigen Hauch; wir
sehen die beiden Wanderer bang von der Felsenbrücke in die grauen-
volle Tiefe hinab spähen**). Völlig zurückgetreten ist hier das antike
Element, aber dafür tritt mächtiger, als sonst je bei Carstens, ein
malerisches hervor, im Gegensatz fast aller andern modernen Dar-
steller, die sich mit den gewaltigen Bildern des Inferno nur in
Umrissen abfinden.

Eine wundervolle Federzeichnung im Besitz des Königlichen
Kupferstichcabinets zu Berlin, läßt uns äußerlich auf antikes Gebiet
zurückkehren ***). Wir sehen des Styx traurige Gewässer, und des
Danaus zahlreiche Töchterschaft beim hoffnungslosen Werk, die einen

*) ,.Ex Chersoneso cimbrico“ bezeichnet sich Carstens unter einigen seiner
Blätter.

**) Ruscheweyh hat das Blatt gestochen.

***) Vielleicht scheint dies Folgende nicht streng zu unserm Thema zu gehören.
Aber wir nahmen es aus, .weil man niemals die Qualen der Hölle moderner
im besten Sinn, innerlicher nämlich und zugleich individueller dargestellt hat.

in ängstlicher Hast, die andern in stumpfer Verzweiflung sich schlep-
pend mit den unbarmherzig sprudelnden Urnen; — in der einfachsten
Handlung der reiz- und lebensvollste Wechsel der körperlichen Be-
wegung, im gemeinsamen Leid den reichsten Stufengang der geistis
gen! In der Ferne leiden Tantal und Sishphus, fliegt Hermes
mit weit ausholendem Götterschritt einem neuankommenden Geister-
gewölk voran. Was aber bedeutet der geflügelte Greis, mit einem
Schlangenreif gekrönt, der über den Wasserträgerinnen so energisch
den Schaft einer Hippe über's Knie bricht? Antik ist er sicher nicht,
aber dafür sagt er uns um., so deutlicher, ,daß den .Künstler kein
alter Grieche, sondern, wenn er nicht selber erfand, ein deutscher
Landsmann, ein geistesverwandter Zeitgenoß, mit einem Worte —
Schiller begeisterte. „Gruppe aus dem Tartarus" heißt des Letz-
tern Gedicht, und endet mit den folgenden Zeilen:

Fragen sich einander ängstlich leise,

Ob noch nicht Vollendung sei? —

Ewigkeit schwingt über ihnen Kreise
Bricht die Sense des Saturns entzwei.*)

Es war uns eine eigenthümliche Freude, als wir die beiden
großen deutschen Geister — wenigstens im Hades Zusammentreffen
sahen, und wir hoffen auf einen und den andern Leser, der diese
Freude versteh en kann.

Endlich aber läßt uns nun eine andre merkwürdige Zeichnung
von Carstens Hand unmittelbar an den Dichter des Faust, ja an
diesen selbst und den Gefährten, den er „nicht entbehren kann", her-
antreten. Und damit wir nicht zweifeln, ob wir nur Gestalten der
Volkssage, oder ob wir wirklich die Göthe'scheu vor uns haben**)-
umgiebt sie die Hexenküche mit allem den Lesern wohlbekannten Ap-
parat, schaut der Doktor staunend in den magischen Spiegel, fehlt
selbst die zerbrochne Krone nicht, die der Meerkater lvieder zusammen-
geflickt haben möchte.

Wunderlich genug steht dem klassischen Genius des Zeichners
das mittelalterliche Kleid, und fast nur in den nackten Dämonen,
die im Hintergrund schreckend und äffend aus dem dampfenden Kessel
steigen, erscheint er ganz wie wir ihn sonst kennen. So sieht sein
Faust, obwohl trefflich im Charakter des Stubengelehrten, mit Stock
und Pelzhandschuh doch beinah gar zu wagner- und philistermäßig
drein. Mephisto aber bietet noch nicht entfernt den scharfen, ver-
dorrt italienischen Typus, den wir Späteren von seinen Darstellern
gewohnt sind. Mit der gedrungenen Figur, dem finstern Gesicht
und breitem buschigen Bart, selbst der bauschigen soldatischen Tracht
erscheint er vielmehr (sonderbar genug) fast in derjenigen Gestalt,
unter der unsre Bühnen den Geßler, unsre Maler den wilden Jäger
vorzuführen pflegen. In andrer Umgebung, ohne Huf und Hahnen-
feder würden wir so wenig, als die Hexe des Gedichts, ihn erkannt
haben.

Als habe aber der Erzschall (denn gleichwohl ist er's) mit seiner
ersten modernen Darstellung ein wenig, wie er pflegt, sein Spiel
treiben wollen, tritt uns plötzlich bei näherer Betrachtung ein histo-
risches Bedenken verwirrend in den Weg ***). Ging der „Morgenstern

*) Das Gedicht ist 1782 geschrieben, die Zeichnung trägt kein Datum, doch
scheint uns ihre spätere Entstehung nicht zu bezweifeln. Schiller hätte andernfalls
die Danaiden mindestens erwähnt.

**) Weniger Gewicht, als Andre gethan, möchten wir für diese Frage auf
den Pferdefuß legen, den Mephisto hat und nicht haben sollte (vergl. unten).
Auch in: Gedicht kann er ihn bekanntlich „nicht missen," und cachirt ihn nur,
wir wissen nicht recht wie, durch „falsche Waden;" aber davon abgesehen, scheint
uns der bildende Künstler vollkommen berechtigt, dies Attribut beliebig aufzuneh-
men oder wegzulassen, zumal in einem — Bleistiftentwnrf.

***) Vergleiche: „Zeichnungen von Asmus Jacob Carstens in der Großher-
zoglichen Kunstsammlung zu Weimar, in Umrissen gestochen und heransgegebcn
von W. Müller (Weimar), VI. Heft, und die beigegebenen Erläuterungen von
Ehr. Schnchardt.
 
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