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Eggers, Friedrich [Hrsg.]
Deutsches Kunstblatt <Stuttgart>: Zeitschrift für bildende Kunst, Baukunst und Kunsthandwerk ; Organ der deutschen Kunstvereine &. &. — 8.1857

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https://doi.org/10.11588/diglit.1201#0246
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Gestaltung des Kunstwerks, als das Höhere gerichtet; und zuletzt
bei dem Erkalten dieser Richtung wurde fast nur noch die gefällige
Ausbildung der. Formen cultivirt, woran man sich ausschließlich
ergötzte. Die Blüthenperiode jeder Kunstrichtung liegt aber offen-
bar zwischen diesen beiden Extremen.

Einige Beispiele sollen das in verschiedenen Zeiten mehr oder
weniger einseitige Vorherrschen je eines dieser beiden Schönheits-
pole deutlicher zeigen. Wir werden von manchem altitalienischen
oder manchem altdeutschen Bilde durch den lebendigen spiritualen
Ausdruck der abgebildeten Gestalten gerührt, erhoben und begeistert,
also in hohem Grade ästhetisch afficirt, während doch diese Gestal-
ten in ihrer gar so ascetischen und selbst krüppelhaften Gliederung
und Muskulatur dem Auge eher mißfallen als gefallen. Dagegen
nimmt an mancher antiken Statue der gesunde thatkräftige Körper,
correct gezeichnet und gefällig dargestellt und vorgetragen unwider-
stehlich unser Wohlgefallen in Anspruch; während wir dabei doch
nur ein mehr sinnliches Leben ausgedrückt finden, und während die
Züge, welche ein ethisches Geistesleben bis auf einen uns interessi-
renden Grad abbilden sollen, gleichsam noch schlafen, so daß nur
der Platz dazu vorhanden ist, wie etwa bei dem Angesichte eines
Kindes. /Die Alten selbst vermißten nichts, denn sie konnten bei'
ihrer nicht hoch über das Irdische steigenden Religion und Lebens-
auffassung die ethische Leere ihrer Physiognomien nicht fühlen, wie
wir bei unserer Gemüthshöhe, die erst eine Gabe des Christenthums
ist. /Das Vergessen dieses Unterschieds zwischen dem damaligen und
heutigen Standpunkte der Religion und des Lebens, und also auch
zwischen der damaligen und heutigen Kunstrichtung, hat die einseitige
Ansicht erzeugt, als sollte — nach dem Vorgänge der antiken Pe-
riode — die durch die Kunst zu schildernde Schönheit nichts mit
der spiritual-schönen, christlichen Gemüthswelt zu thun haben,/und
man nannte darum nur die sinnlich gefällige und irdisch lebendige
Seite der menschlichen Gestalt schön. / Es waren übrigens schon in
der griechischen Kunst beide Schönheitspole unläugbar vorhanden;,
nur überwog — selbst in den geistigsten und der Sinnlichkeit am
meisten entrückten Aufgaben — die formal-schöne Seite so sehr nach
unseren Begriffen die characteristisch-schöne Seite, daß der Schwer-.
Punkt jener sich zuneigt: oder vielmehr der characteristische Pol war
bei den Griechen nicht von solcher geistigen Tiefe und Bedeutung,
daß er den gefälligen Pol — das glatte Gesicht — genügend be-
schränkte. Doch ist darum die christliche Kunst keineswegs als
directer Gegensatz der antiken Kunst aufzufassen: wie ja ebensowenig
die christliche Religion, wiewohl viel höher stehend als die griechische,
dennoch nicht geradezu der Gegensatz der letzteren ist. Sagen ja
sogar die alten Dogmatiker, daß im Heidenthum schon das Christen-
thum einigermaßen vorgebildet war.

Es bedarf übrigens, um den Dualismus nachzuweisen, nicht
einmal solcher Beispiele, die in der Zeit soweit auseinander liegen.
Die Vergleichung der Bilder heutiger Historienmaler, die den bei-
den entgegengesetzten Richtungen — der idealistischen und der reali-
stischen — in extremer Weise angehören, kann uns überzeugen,
daß dieselben, um den ästhetischen Anforderungen vollständig zu ge-
nügen, zweierlei Leben darzustellen hatten. Auf den Bildern der
Ultra-Idealisten sprechen die dargestellten Menschen wohl ein höheres
Seelenleben aus, allein sie entbehren häufig aller körperlichen Lebens-
fähigkeit. Dagegen treten uns auf den Bildern der Ultra-Realisten
die Gestalten oft mit großer sinnlicher Lebendigkeit entgegen, aber
sie entbehren des idealen Seelen- und Gemüthslebens. Also hier
wie dort ist die Vollständigkeit der Schönheit nicht erreicht.

Um nun wieder auf die Architectur zurückzukommeu, so bewe-
gen sich in ihr, als der äußerlichsten der Künste — welche, wie
oben gesagt, nur eine indirecte Beziehung zu dem innern Menschen
hat — natürlich auch beide Pole der Schönheit in einer Liefern

Region. Hier besteht die Sphäre des geistig interessanten Schön-
heitspols in der ächt characteristischen Auffassung der durch die Be-
stimmung des Baues geforderten Räume und in der entsprechenden
Darstellung derselben mittelst der monumentalen Construction, woraus
sowohl die mehr speciell-charakteristische architectonische Anlage her-
vorgeht, als auch die mehr generell-charakteristische (hauptsächlich con-
structive) Anordnung, Gestaltung und Gliederung der zum Orga-
nismus eines vollständigen Baues gehörigen. Elemente. .Aber die
Sphäre des anderen sinngefälligen oder formalen Schönheitspols
besteht darin, daß neben dem Zwecke herspieleud den Großformen
ein dem Auge schmeichelndes Ansehen von Leichtigkeit, Zierlichkeit
und Weichheit gegeben wird durch fein profilirte Ziergliedcheu, die
die ersteren umrahmen und theils geschmeidiger mit einander ver-
mählen, theils deutlicher gegen einander bezeichnen, und daß durch
aussüllende Verzierungen das Ganze eine reichere Vollendung erhält.

Uebrigens findet darin ein Unterschied zwischen der Architectur
und den die menschliche Gestalt abbildenden Künsten statt, daß bei
den letzteren die das geistige Leben schildernde characteristische Schön-
heit am Aeußern dieser Gestalt hauptsächlich durch solche Bewe-
gungen und Züge sich ausdrückt, welche im Verhältniß zur Größe
und sinnlichen Muskulatur der ganzen menschlichen Gestalt klein
und fein sind: während in der Architectur dagegen die characteri-
stische Sphäre der Schönheit gerade in den Großformen des Baues
sich ausdrückt und die wohlgefällige Sphäre der Schönheit mehr in
den Kleinformen, in den feineren Zergliederungen und den Orna-
menten ihren Sitz hat.

Wer die leider 1823 abgebrannte und nicht wieder in dem
ursprünglichen Geiste hergestellte alte Basilika des heiligen Paulus
zu Rom und den noch ganz erhaltenen kleinen Theseustempel zu
Athen schnell nach einander gesehen, konnte am deutlichsten die ver-
schiedenen Eindrücke der fast nur einseitig vorhandenen beiden Pole
der architectonischen Schönheit empfinden. In jener großen Kirche
standen zwar die meisten Theile verwüstet und in ziemlich roher,
nicht einmal vollständig ausgeprägter zwecklicher Kerngestalt da.
Aber welche geistig-schönen erhabenen Eindruck machte dennoch dieses
christlich-characteristische Baudenkmal in seiner immensen Ausdeh-
nung, in seiner klaren organischen Hauptanorduung, in seinen auf-
strebenden Hauptverhältnissen und in seiner kühnen Geräumigkeit,
die einem Heer von Gläubigen Zutritt und Blick auf den Haupt-
altar gestattet! Sollte dieser Eindruck nicht früher manches leicht-
sinnige Heidenherz bekehrt und der christlich überirdischen Lebens-
ansicht zugewendet haben? — Dagegen der säulenumgebene Theseus-
tempel: auf der satten und seingliedrigen Begrenzung seiner Haupt-
formen weilt gefesselt das ergötzte Auge, ein zweitausendjähriger, nie
alternder anmuthiger Marmorglanz strahlt ihm entgegen; doch diese
schmalen Vorhallen scheinen für uns kaum einen ernstlichen Raum-
zweck gehabt zu haben. Aber trotz ihrem kleinen Zwecke stehen sie
in unsterblicher Grazie und Anmuth, in zierlicher Vollendung und
weise gemäßigter Ausschmückung da, deren noch so oft wiederholter
Anblick nie eine Uebersättiguug erregen wird.

Nach dem Obigen darf wohl behauptet werden, daß in der
charakteristischen Auffassung oder in der räumlichen Anordnung und
monumentalen Darstellung des Baues der geistige Höhenpunkt des
schaffenden Künstlers und der höhere ästhetische Eindruck für den
Beschauer liege. Die ächte Anordnung eines Kirchenbaues muß
wahr und völlig den Begriff der christlichen Kirche mit der Leson-
dern lokalen Aufgabe vermählen, so daß das Ganze und seine Theile
eine organische Einheit aussprechen, d. h. daß nicht allein der Haupt-
raum in seinen Dimensionen nnd Verhältnissen sich edel und groß-
artig darstelle, sondern daß auch die zugehörigen Nebenräume sowohl
an sich vollständig, als auch zum Ganzen passend und unverkümmert
sich verhalten. Den verschiedenen oft complicirten Räumen und
 
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