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Eggers, Friedrich [Editor]
Deutsches Kunstblatt <Stuttgart>: Zeitschrift für bildende Kunst, Baukunst und Kunsthandwerk ; Organ der deutschen Kunstvereine &. &. — 8.1857

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https://doi.org/10.11588/diglit.1201#0416
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I— 392

vorüber, die Sonne hat sich.--gesenkt; ihre letzten Strahlen umkrän-
zen die Ränder der Bäume-und .Berge, und. durchdringen, den leich-
ten Dust, der wie ein zarter-, kaum sichtbarer Schleier die Erde
umhüllt; lange Schatten schmMen sich dem'Boden 'an, ein warmer
Liebestön'durchzieht die Welt. - Der -Leidende liegt noch auf dersel-
ben'Stelle, aber wir sehen ihm von andrer Seite, her, so' daß' das
weite, früher verdeckte Thal sich uns öffnet, wo der große Fluß in
seinen Wendungen, hin und wieder, den oberu, Hellen Himmel spie-
gelt. Der Priester, der Levit sind vorüber.'gegangen, wir erkennen
sie in det Ferne. Der.Samariter-ist-nach ihnen, eben in dieser
Stunde gekommen, die alle Herzen weicher stimmt. Er -hat sein
Liebeswerk begonnen,, Oel und Wein von feinem/ daneben stehenden
. Rosse genommen, und ist beschäftigt, den Leidenden empor zu rich-
ten, um ihn aus dieser' unwirtlichen Wüste zu führen.

Auf dem vierten Bilde ist die Sonne schon unter den Horizont
.gesunken, der Wiederschein ihrer' Gluth, den .wir am. wolkenlosen
Himmel über' der fernen Ebene sehen, leuchtet- dem-güten Samariter,
welcher sein -Saümroß führend, und .den darauf, gesetzten Verwunde-
ten stützend,- die Straße emporsteigt. .-Sie,sind dem Ziele nahe, nur
jene 'Felsecke, die' hr der Mitte des! Bildes hervortritt, trennt sie
noch von der Herberge, die wir zu unsrer Linken sehn. Wie'fried-
lich liegt sie da, ein schlichtes geräumiges Haus, am stillen -geschütz-
ten "Orte, am' Fuße..der Felswand,- ,.Mst,gNlnender Matte des Am-
bergs, vom. Monde beschienen, der auf- dieser' Seite schon hoch- am.
Himmel-. steht. Der schöne Abend- hat den pätriarchalischen Haus-
herrn und ^ die Seinen vor, die Thür gelockt, alles ist bereit zum
Empfange des- Leidenden , der. nun - bald auf gastlichem' Lager,. ...Ruhe
und Heilung seiner Wunden finden wird. -

Ich sah die Bilder, wie gesagt, mir in provisorischer Aufstellung,
nicht in einer Reihe, sondern der' Enge, des Raumes und -der Be-
leuchtung-Wegen paarweise- auf Stafseleien stehen, aber doch so, daß
man sie Ms.einiger Entf'erimng. zugleich - überblicken, und sich .über-
zeugen s'konnte, -wie ste-hr sie innerlich Zusammenhängen, und -' ein
organisches, in sich.'abgeschlossenes Ganzes ausinachen. -Nicht,.bloß,
weil die- Berglinien auf einander .treffen- und -überhaupt die For-
men .harmoniren,. sondern vorzüglich - durch /- den. Rhythmus des
.Farbent.ons und., der. Stimmung. Es .fällt sogleich auf,- daß. das
erste und dritte Bild', Morgen und. Abend, in ihrer warmen
duftigen Haltung,' und wiederum das zweite'-und vierte- Mit-
tag und die mondbeleuchtete-Nacht mit ihren dunkleren Schatten, und
festeren-Umrissen einander .verwandt sind, und also -eine wechselnde
Wiederkehr-stattfindet. Andererseits haben jene beiden, Morgen und
Abend,' in ihrer duftigen Weichheit den Ausdruck 'des'Vorübergehen-
den-und Unselbständigen, welcher eine Auflösung, und daher die
Rückkehr, in härtere und ruhigere Töne fordert, wie sie die beider:
andern Bilder gewähren. Endlich aber bemerken wir, daß .die ganze
Folge in gleicher Weise innerlich' verkettet ist. Denn das .reine
-scharfe Licht des Tages, welches aus. der Dämmerung des Morgens
hervorgeht, giebt in der That noch nicht die Beruhigung, welche rs
.verheißt;-es--bringt die innere Verschiedenheit- den.Kampf, der Dinge
recht.eigentlich zu Tage, und bedarf der-weitern Versöhnung, welche
dann durch die- Gluth des'Abends in der. Ruhe der Nacht gegeben
wird.' ' ;

- -Was. ich hier hervorhebe, ist' allerdings' nichts Neues,-'sondern
etwas Uraltes und Wohlbekanntes, -die natürliche Poesie des Lichtes
und der Tageszeiten, die in uns.bei jedem lNaturgenuß (wenn auch
.uns. unbewußt) .anklingt,, und die-von den Dichtern aller.' Jahrhun-
derte stets benutzt ist... Es'.versteht sich, daß diese Poesie auch den
Landschaftsmalern - '-nicht fremd ist';, aber freilich , wird sie meistens
von, ihnen nicht so betont,-wie hier. - Denn an sich- gehört sie dem
Gebiete der-Zeit, also,'künstlerisch gesprochen, der Poesie und Mu-
sik an, während-die'Malerei, da sie nur Räumliches darstellt, ge-

wissermaßen von der Zeit abstrahirt, uyd daher die Landschaft zwar
im-Lichte einer der Tageszeiten zeigt, aber so, als ob - dies blei--
bend, gleichsam eine Eigenschaft dieser Localität wäre. Claude Lor-
rain z. V. giebt uns, in mehreren seiner Landschaften die.Poesie des
.Ahendlichtes rnjti vollendeter Meisterschaft, aber wir denken bei sei-
nem Bilde nicht daran, , daß dieses!. Licht eine Dissonanz sei, -welche
der Auflösung bedarf, wir betraMeuMMhneJrPin-Verbindung Mt .
den Formen der. Landschaft, ..etwa mit der Meereöfläche, als eine
denselben zukommende, zu ihrer Charakteristik gehörige. Stimmung. '-
Dies ändert sich zwar ^lnigermHen^sAeA.,.^ nicht- mit einem. '
Bilde, sondern mit einem Bildercyklus zu' thun haben; denn hier .
-findet eine. Mittheilung in zeitlicher.Folge, statt; der Gedanke bildet .-
einen ununterbrochenen Faden-, an -welchem die Schwingungen des
Gefühls' sich fortpflanzen. Indessen ist dieser Vorzugcyklischer Dar-
stellungen auf dem Gebiete landschaftlicher Kunst bisher nicht zu be-
deutender' Geltung' gekommen.' So sind z. B. die vier Tageszeiten
schon oft gemalt, aber meistens so', daß man nur vier vereinzelte,
nach einer äußerlichen Rücksicht , zusammengestellte Bilder sieht. Zum
Theil mag dies, daran liegen, daß die Maler den . Sinn für . diese.
Poesie.-der Zeit wenig' ausgebildet hatten, zum Theil aber auch an
etwas Tieferem und Ällgemeinem. -.Die Zeit hat ihre höhere Be-
deutung nur als Trägerin des.'geistigen Lebens, die. natürlichen Er-
scheinungen - der Zeit interessiren uns daher künstlerisch nur in so
weit, wie wir sie . als symbolische Vorandeutungen geistiger Entwick-
lung verstehen. In. der Poesie und Musik geschieht dies ganz von -
selbst, weil sie., da. nur -als der Gegenstand . subjektiver Empfindung,
.erwähnt werden. In. der Lildenden.Künst aber verlangen, sie einen -
geschichtlichen Hergang, auf den 'sie bezogen werden können., und
kommen daher auf landschaftlichem Gebiete-nur-an der historischen
Landschaft zur vollen Wirkung. ' Natürlich um so mehr, je mehr
-dieser Hergang ihnen äußerlich und. innerlich entspricht. Und. das
ist hierum höchsten Grade der. Fall. --.Was zunächst di^g^H^iche.
..Verbindung betrifft, so leuchtet von. selbst ein) daß die Verlegung
der . einzelnen Momente -in ,diese Tageszeiten- wenigstens die . Wahr-.
scheinlichkeit für sich hat; da-die biblische Erzählung der Nacht nicht '
erwähnt, der ganze Hergang also in den Räum eines Tages fällt, so
ergiebt sich die Vermuthung der Abreise in der Frühe und - die son- .
stige Zeiteintheilung ganz mngezwungen..' Daß dann ferner die Far-
benstimmüngen. der Tageszeiten dem Gange der'Empfindung in im-,
srer Geschichte.- aNälog 'sind,- haben wir! schon oben bei der Beschrei-
bung der Bilder gesehen.- Allein' es'-besteht noch ein viel tieferer,
viel bedeutsamerer Zusammenhang. Die Geschichte des barmherzi-
gen Samariters ist mehr als .eine bloß. einmal geschehene Geschichte-;"
-der Heiland erzählt sie, um dem- Pharisäer'den Begriff des Näch-
sten- dem Inden den.Begriff -der allgemeinen.Menschenliebe anschau-,
lich zu machen, und diese Begriffe sind so. tief,'so göttlich, so welt-
gestaltend, daß . eine Erzählung, welche sie versinnlichen soll, die tief-
sten' Grundlagen haben mußte. .Sie' ist .daher auch wirklich die'all- .
gemeine Geschichte, die -Geschichte jedes.':Einzelnen- ,und,d.es. .großen
Ganzen. Wie. jener Wandrer, ziehen wir am . Morgen, unsres Le-
bens muth- und hoffnungsreich aus, werden .auf der Mittagshöhe
von eignen und fremden Sünden .zu Boden ' geworfen, dann aber
von der 'erbarmenden Liebe unverhofft und unverdient ausgesucht, auf-
gerichtet, -geheilt' und getröstet.-' .Wie-.bei ihm-sehen wir die Mensch-
heit in - der im'- Griechenthum, culminirenden 'Vorzeit- jugendlich kräf- '
tig zum höchsten geistigen Ziele wandernd, in der langen Römerzeit
bei.. Hellem. -Tagesglanze.. tiefer., und tiefer fallend, im Christenthume
durch, die -erbarmende Liebe' Gottes der Heilung entgegen geleitet.
Die Geschichte • der erbarmenden Liebe ist eben die Geschichte Got-
tes in'der Welt. -Sie ist daher'auch die Geschichte der materiellen
Schöpfung und zeigt sich am deutlichsten in wem ersten, allgemeinsten, -
regelmäßigsten. Hergänge, in -dem Wechsel, de§ Lichtes und der Finster-
 
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