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Eggers, Friedrich [Editor]
Deutsches Kunstblatt <Stuttgart>: Zeitschrift für bildende Kunst, Baukunst und Kunsthandwerk ; Organ der deutschen Kunstvereine &. &. — 8.1857

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https://doi.org/10.11588/diglit.1201#0417
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ruß. „Und Gott nannte das Licht Tag, und die 'Finsterniß Nacht.
Da ward aus Abend, und Morgen der erste Tag." Das war die
Urgeschichte; und seitdem ist stetes Sinken und stetes Erheben das
Grundgesetz der Welt und alles geistigen Lebens. Daher ist denn
auch der Wechsel der Tageszeiten Begleiter und Träger alles mensch-
lichen Thuns, klingt mit seiner symbolischen Bedeutsamkeit in alles
hinein, und wird uns erst dann verständlich, wenn wir in seiner
Alltäglichkeit das Ewige, in seiner Aeußerlichkeit die geistige Bedeu-
tung auffassen. Hiermit erklärt sich, was an sich auffallend schei-
nen kann; jene ältern Landschaftsmaler, welche es recht eigentlich da-
raus-abgesehen hatten, die Tageszeiten darzustellen, ließen uns kalt,
Schirmer dagegen, dem es daraus weniger ankam, der vielmehr
nur für die biblische Gleichnißgeschichte nach landschaftlichem Aus-
drucke suchte, hat uns ihre Bedeutung in ergreifendster Weise/an-
schaulich gemacht. Dort sehen wir nur das äußere, scheinende Phä-
nomen, hier tritt es lebendig und beseelt vor uns hin.

Jedenfallsist also der Grundgedanke dieses Werks ein sehr
glücklicher. Nicht leicht ist aber auch ein Werk so gründlich durch-
arbeitct und vollendet. Der landschaftliche Gedanke entwickelt sich
in melodischem Gange und harmonischen Anklängen so ruhig und
einfach, wie in der Natur selbst; .nirgends tritt uns etwas Stören-
des, Fremdartiges, Gezwungenes entgegen. Nur wer mit den Be-
dingungen künstlerischen Entstehens einigermaßen vertraut ist, ahnt
die Schwierigkeiten, welche hier zu überwinden waren, die Studien
und Versuche, welche vorhergehn mußten. In der Ausführung ist
grade das richtige Maß gehalten p sie läßt nichts vermissen, führt
uns die Natur lebendig vor die Augen, und ist doch mit breitem,
freiem Pinsel gegeben. Die Gewohnheit mancher heutigen Land-
schafter, ihre Bilder mit kleinlichen Details zu bedecken, mag bei
einem Theile des Publikums Glück machen, ist aber- gradezu ein
Fehler, und entsteht aus oder führt zu geistiger Armuth. Hier, bei
der historischen Bedeutsamkeit dieser Bilder, und Lei ihren ziemlich
großen Dimensionen, wäre der Fehler freilich noch größer gewesen.
Auch die Farbe ist vortrefflich, völlig natürlich, und doch so ruhig
und einfach, daß sie- nicht zerstreut-

Und so bin ich denn bei der Frage angelangt, von der ich im
Anfänge sprach: Ob Zeichnung, ob Oelbild? Schirmer hatte seine
Bilder, wie ich dort hörte, zuerst schwarz untertuscht, und grade in
dieser Gestalt sollen sie viele Verehrer gefunden haben. Ich kann
nur sagen, daß die Farbe mich in keiner Weise störte oder an der
Auffassung des geistigen Inhalts hinderte, daß sie mir vielmehr selb-
ständigen Werth hatte. Jedenfalls aber ist sie für die große Menge der Be-
schauer nothwendig, um sie zu fesseln und in das tiefere Verständ-
niß einzuleiten. Wenn man daher diesen dienen kann, ohne jenen Ande-
ren, welche ihre Phantasie durch die bloße Zeichnung tiefer angeregt füh-
len, zu schaden, warum sollte es nicht geschehen? Jene Kohlen-
zeichnungen, als wir sie in Berlin ausstellten, Hatten immer ein
in der That sehr ansgewähltes, empfängliches und begeistertes, aber
leider auch sehr kleines Publikum. Vor den Oelbildern in Karls-
ruhe sahen wir in den Stunden des öffentlichen Besuches der Kynst-
halle stets einen gedrängten Kreis von Zuschauern. Die Kunst will
ja wirken und anregen, warum sollte sie ein so mächtiges Mittel
verschmähen? Zumal da die Ausführung in tzel. eine Bearbeitung
oder Vervielfältigung in einfacheren Tönen, wenn diese, wie ich nicht
läugnen will. Tieferes gewähren kann, nicht ausschließt.

Seitdem ich die Bilder sah, haben sie mit Genehmigung ihres
hohen Besitzers schon-eine Reise nach Stuttgart gemacht, um dort
als eine Leistung religiöser Kunst dem Kirchentage vorgestellt zu wer-
den. Hoffentlich wird der kunstsinnige Fürst, welcher in kurzer
Zeit für die Hebung des Kunstsinnes in seinem Lande schon so viel
gewirkt hat, auch anderen Gegenden die Anschauung dieser bedeutend-

sten Leistung der von ihm in feiner Residenz hervorgerüfcnen Kunst-
schule gestatten.

K. Schnaufe.

m Wri> 1857.

. . ii.

Die Genremalerei. Ihre heutige Natur und Beschaffenheit. Gürome. Sein
„Maskenduell". — I. N. Robert-Fleury. — P. CH. Comte..'— I. L. E.

Meissonier. — I. Fauvelet. — B. Chavet. — A..E. Plassau.

I '

Die Bilder, die sichtbar die stärkste Anziehung.für das große
Publikum haben, und zu denen man sich immer drängen muß, um sie
einigermaßen in der Nähe anzusehen, sind. Gen re stücke. Was die-
ser Art Malerei vor den andern einen so entschiedenen Vorrang in
der öffentlichen Aufmerksamkeit verschafft, ist ihre Allseitigkeit. Sie-
umfaßt Alles, was nur irgend in die menschliche.Sphäre hineinge-
zogen werden kann, und wendet sich damit an Alles, was durch ein
Paar umherguckende Augen seine Schaulust verräth; sie- hat keine
Grenzen. Sobald mau nur eine gewisse Anzahl von Leistungen -in
diesem Fache überblickt, zeigt sich das unermeßlich weit gespannte
Streben, das darin herrscht. Motive aller Art:'historische, tragische,
komische, romantische, konventionelle, reelle, ideale, lokale, gehen Hand
in Hand mit Manieren aller Art, von der unvertriebenen Jmpasti-
rung, der kecken Skizzirung und der knallenden Effektgebung bis zur
feinsten Ausmalung, zum zartesten Schmelz und leisesten Abtönen.
Die Mittel und Stoffe der Darstellung werden von Verschiedenen
nach' den verschiedensten Seiten hin ausgesucht und aufgewanvt.
Man beobachtet alle Erscheinungen der Natur und lernt alle ihre
Eigenheiten im Einzelnen kennen. Kein Affekt, kein Kontrast, kein
Farbenzauber, keine Lichtwirkung bleibt unbemerkt und ungebraucht.
Nicht bloß die große, weite Welt der Wirklichkeit, anch die merk-
würdige Schattenwelt der Vergangenheit, sogar die wunderliche Phan-
tasienwelt der Dichtung wird auf malerische Ergiebigkeit -angesehen,
und jede Person, jede Tracht, jede Mode, jede Situation, jedes Ge-
bilde von besonderem Reiz und Charakter in jenen drei Welten fin-
det einen Ausspürer und Ansnutzer. Der Genremaler faßt das
Leben, wie es einst war und bringt es, mit allen Zeit- und Orts-
farben des Kostüms durch Gelehrsamkeit.bekleidet, wieder zum Vor-
schein, oder nimmt es, wie es jetzt ist, und liefert von dem, was
wir alle Tage auf Gaffen und Märkten, im Felde und im Freien
sehen, ein getreues Abbild; er schleicht sich ins Innere der Häuser,
belauscht hier die - versteckteren. Züge des Familienlebens, die verwickel-
ten Spiele der Geselligkeit, und beschreibt die geheimen Odysseen
und Jliaden, die rührenden Kampfe- und Konflikte unserer Begier-
den und Leidenschaften mitumsern Pflichten und Vorurtheilen. Er
versteigt sich ins Ideale, ins Gebiet der Poesie, streift sogar an phi-
losophische und religiöse Probleme, und bearbeitet sie in seiner Weise.
Kurz, er dringt in alle Kreise der Gesellschaft, in alle Tiefen des
Menschenlebens und in alle Höhen der Gedankenwelt: er ist. wahr,
pathetisch, ernst, heiter, ergreifend und leidenschaftlich, weil er alle
Zeitfragen, alle Welträthsel -anrührt und alle Gegensätze, alle Cha-
raktere, alle Zustände vorstellt. Darum ist das Genre die wahrste,
beliebteste, ansprechendste Kunstform für Alle oder wenigstens für die
Meisten, die darin nicht nur Hinz und Kunz, Jettchen und Gretchen,
Tisch und Bett erkennen und im Farbenspiel nur den Reiz der Farbe
suchen und bewundern, sondern das eigene Conterfei, das eigene
Gemüth in aller seiner Menschlichkeit wie in einem mägffchen
Verkleinerungsspiegel wiederfinden. Freilich spielen in dieser Kunst-
gattung, wie in der Stnbenwirklichkeit, mit der sie sich am
liebsten befaßt, unwesentliche Dinge eine wichtige Rolle, und der
 
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