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Eggers, Friedrich [Hrsg.]
Deutsches Kunstblatt <Stuttgart>: Zeitschrift für bildende Kunst, Baukunst und Kunsthandwerk ; Organ der deutschen Kunstvereine &. &. — 8.1857

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https://doi.org/10.11588/diglit.1201#0419
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395

Einfluß eines gewissen Mittelstandes, der die Lücke zwischen klei-
nem Volk und großer Welt ausfüllt, an beide aber nach unten und
obcnzu grenzt, oder wirklich in beide verfließt. Dieser Erscheinung
im Leben entsprechend, hat sich in der Kunst eine Mittelgattung
auSgebildet als UebergangSbrücke über den Abgrund zwischen den
höheren und niederen Darstellungsweisen, an die sie theils grenzt,
und womit sie theils verschlungen ist. Ich meine die Genremalerei,
die ihrer Natur und .-Beschaffenheit nach ein Stylgemisch, ein ans
verschiedenen Arten des Schönen herausgezogenes medium arithme-
ticum ist, und daher alle Kunstgattungen berührt. Vermöge der
Innigkeit des Gefühls, die sie in ihre . Werke hineinlegt, hat sie ein
Tausendtheitchen von dem Gehalt der religiösen Bilder an sich; ver-
mittelst deö Geheimnisses derPalingenesie, das sie sich angeeignet
hat, aus der Asche jedes gegebenen Menschen und Zustandes eine
lebendige Gestalt hervorznzanbern, steht sie in entfernter Verwandt-
schaft mit der geistigen Schönheit und Bedeutsamkeit der historischen
Gemälde und Characterbildnisse, und durch die abwechselnde Man-
nigfaltigkeit der Qertlichkeiteu, wo sie. ihre Scenen .spielen läßt, nä-
hert sie sich bis zu einem gewissen Grade dem gewöhnlichen Por-
trait und Stillleben, der Landschaft und Marine, den Architektur-
nnd Küchenstücken. Der Genrestyl gehörte sonst, allen Aesthetiken
nach, zum g’enus piugendi liumüe; jetzt ist er, allen Aesthetiken zu-
wider, etwas Unklasfisizirbares bald höherer, bald niederer Gattung,
von dem wenig Analoges in früherer Zeit vorkommt. In diesem
Geschmack muß gleichwohl die Darstellungsart der heutigen Genre-
stücke beurtheilt werden, und hierin sind sie gewissermaßen original
und sogar rückwirkend ans .die Erzeugnisse der nach den Mustern
klassischer Kunstepochen alter und neuer Zeit sich richtenden Histo-
rienmalerei, welche die antilische oder romantische Idealität mit na-
turalistischem, modernem Genresalz würzen muß, wenn sie, wie dies
bei Ingres, Ary Schesfer, Eugene Delacroix, Couture, den Reprä-
sentanten dieser Art Malerei, der Fall ist, -Beifall und Einfluß ge-
winnen. will. . .

Das starke Uebergewicht des Genres in der neuesten Malerei
darf uns daher eben so wenig befremden als der große Anklang,
den es beim Publikum findet: sie sind beide sehr genau mit einan-
der verbunden und keine, willkürliche oder zufällige Dinge, sondern
natürlich und nothwendig ans den Zuständen und Verhältnissen des
bürgerlichen und gesellschaftlichen Lebens herfließende Folgen und
Erscheinungen, die man verwünschen mag, weil sie unfern Ideen
von Würde, Großheit, Schönheit u. s. w. znwiderlaufen, die man
aber schlechterdings begreifen muß, wenn wir nicht alle Naselang
gegen haushohe Realitäten anrennen.wollen- In unserer Zeit, wo
die bisherige Sinnes- und Lebensweise der Menschen eine völlige
Veränderung erleidet, ist cs seltsam und pikant mit anzusehen, wie
die aufgewecktesten, scharfsichtigsten und scheinbar am wenigsten hin-
ten nachhinkenden Geister in gewissen Punkten Zurückbleiben und von
jener Veränderung die Hauptbedingungen annehmen, aber alle logi-
schen Consequenzen ablehnen. Mancher, der regelmäßig die Börse
und seinen Whistklub besucht, aber nur ausnahmsweise, jährlich höchstens
dreimal in die Kirche.geht, verwundert sich ganz aufrichtig, daß so wenige
und so schlechte religiöse Bilder gemalt werden; ein Anderer, der es ganz
in der Ordnung findet, mit der Eisenbahn zu fahren und einen schwarzen
Frack zu tragen, macht den Malern die außerordentliche Zumuthung, den
alten Pegasus zu besteigen und das mythische Gewand der Dichtung
anzulegen; ein dritter endlich, der die Liebhaberei der Albums, der
Farb.'nskizzen, der Lithographien und Photographien gelten läßt, be-
merkt mit Erstaunen, daß die kleinen Sächelchen .mehr als..,,je
überhand nehmen. Wer will es am Ende längnen, daß die ästhe-
tische Bildung unserer Zeit eine fortlaufende Flachheit ist? Aber
befleißigen wir uns nicht derselben Flachheit im Leben? und wir ha-
ben hier obendrein noch den Schwulst und Bombast. Die Kunst,

auch die kleinste, gibt wenigstens jedem unansehnlichsten Dinge Aus-
zeichnung und klare Bedeutung; sie erhält bei Abnahme der Höhe
mehr Ausbreitung in die Weite, und wenn das Genie vor dem
Tande der Mode sich verkriechen muß, so bewegt sich das Talent
um so freier. Die außerordentliche Mannigfaltigkeit der Gegen-
stände, die sich zu Tausenden herzudrängen, wie die Wellen deö Le-
bens selber eine nach der andern und mit- der andern dahinströ-
men, gestattet auch dem geringeren Erfindungs- und Darstellungs-
vermögen erfreuliche Leistungen, und unter der Hand begabterer
Künstler gestaltet sich der charakteristisch ausgesuchte und meisterhaft
behandelte Stoff zu wirklichen und.erheblichen Kunstgebilden. Zu-
mal die Genremalerei gibt allen Scenen des menschlichen Daseins
und-Wirkens in aller ihrer Vergänglichkeit etwas Bleibendes, woran
die Reflexion haften kann, sie fixirt das sonst leicht Verschwindende
in einem Moment günstiger Beleuchtung, wie . des schönen Farben-
Wechsels, und macht es so bedeutsam für die Anschauung; auch der
Beschauer lernt das Merkenswerthe aus dem Leben hervorheben,
und die schmucke Art, wie die einfachsten Hausgebräuche, die ge-
wöhnlichsten Lebensaüftritte, die verbreitetsten und gangbarsten Ein-
psindungen, die bekanntesten Leidenschaften als Materialien zu an-
ziehenden Bildern verarbeitet sind, muß ihm beinahe wie eine Ver-
herrlichung der Alltagswelt erscheinen. Obgleich nur die geringere
Zahl der Genrestücke auf einen höheren Schönheitsgeist Anspruch
machen kann, so wirken doch bei.einem Publikum, das einer ästhe-
tischen Anregung bedürftig und dafür eiu.psänglich ist, auch unbedeu-
tende malerische Erzeugnisse, und alle nur einigermaßen witzige und
schnurrige Dinge finden Liebhaber und Lobredner. Uni so mehr
Interesse erregen die besseren Werke von den ausgezeichneten Künst-
lern dieser Gattung, und wer, wie I. L- Gero me, das Glück hat,
so ganz ans den: Geist und in dem Geist seiner Zeit und Umge-
bung zu malen, macht außerordentliches Aufsehen. Sein Bild, „der
Ausgang des Maskenballes" betitelt, ist der Haupttreffer der ganzen
Ausstellung, und das darauf vorgestellte Duett hat ganz Paris in
die größte Rührung versetzt. Der Grund des Duetts mochte eben
nicht triftiger sein, als der Anlaß unserer deutschen Studeutenduelle,
aber die Sache hatte Eile; denn trotz der beinahe noch nächtlichen
Stunde sind die Gegner nebst ihren Zeugen und Sekundanten, alle
in Maskenkleidern, gleich vom Batte weg nach dem Holz von Bou-
logne gefahren, um hier die Sache abzumachen. Frisch gefallener
Schnee bedeckt den von den Paukanten und Sekundanten zertram-
pelten Boden, und im Hintergründe scheinen die blätterlosen Bäume
wie Gerippe durch den Nebel eines rauhen Dezembermorgens, der um die
Gegend einen grauen Schleier zieht. Von den beiden Gegnern ist der
eine als Harlekin, der andere als Pierrot.verkleidet, und Letzterer
eben tödtlich von einem Stich in die Lunge verwundet; rothschim-
rnerig dringt das Blut durch die weiße Jacke und verbreitet sich
wie ein Oelfleck über das Wollenzeug. Er sinkt taumelnd in die
Arme seines als Crispin maskirtcn Sekundanten; seine schlotternden
Beine recken sich gerade, als wenn Jemand daran zöge; seine Hand
drückt den Degen, der ein Loch in den Schnee bohrt; sein stellen-
weise noch gepudertes Gesicht zeigt ein Gemisch von Leichenblässe
und Mehlweiße, die beide harmonisch und natürlich in einander
übergehen; die Augen verdrehen sich, der Mund sperrt und füllt
sich; kürz der arme Pierrot ist ein Mann des Todes! Ein chine-
sischer Mandarin betastet äußerst verlegen die wunde Stelle;, nicht
weit davon rjngt ein schwarzer Domino über solchem Jammeranblick
verzweiflungsvoll die Hände und bricht in laute Klagen aus. Un-
terdessen verläßt Harlekin, der Anstifter des Unglücks, den Kampf-
platz, Arm in Arm mit seinem Sekundanten, der als wilder Mann
angezogen ist. In der Entfernung halten. zwei Fiaker mit ihrer:
Kutschern. Voll Leben, Klarheit des Ausdruckes, korrekter Eleganz
der Zeichnung, Bestimnrtheit in den Köpfen und Richtigkeit in den
 
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