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Eggers, Friedrich [Hrsg.]
Deutsches Kunstblatt <Stuttgart>: Zeitschrift für bildende Kunst, Baukunst und Kunsthandwerk ; Organ der deutschen Kunstvereine &. &. — 8.1857

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https://doi.org/10.11588/diglit.1201#0453
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429

aus der sogenannten „Lyoner Schule," deren Stifter, Fleury Richard,
Jacquands Meister gewesen und ihm die Vorliebe für Gegenstände
mitgetheilt hat, wobei viel Prunk von Waffen, Gefäßen rc. anzu-
bringen ist. Die Köpfe sind ängstlich genau behandelt, nach Jac-
guand's gewohnter Weise, und die Hände mit besonderer Sorgfalt
stndirt; die Gewänder haben jedoch etwas Schwerfälliges und Blecher-
nes, besonders die Räuberwänunse von braunem Wollenzeug, wobei
Jacquand den unnatürlichen Metallglanz vermieden hätte, wenn er
den groben Borstenpinsel gebraucht haben würde anstatt des Pin-
sels von feinem Marderhaar, dessen er sich gewöhnlich bedient, und
der bloß für kleine Stasseleigemälde taugt.

A. B. Glaize ist ein Colorist von Talent und hält sich be-
sonders an Paul Veronese und die hellen Meister des Silbertons.
Er malt gern schöne geblümte Zeuge, Schillersammet, Goldbrokat,
Blumenflor, junge weiße Nymphen unter frischem grünem Laube
und dergleichen reizende Vorwände für das Zeigen kostbarer Palet-
tenkunststücke. Seine „Versteigerung der Liebesgötter" gehört zu den
vielbesehenen Bildern der Ausstellung. Es ist wirklich eine geist-
reiche und gefällige Composition; die Gruppen sind gut in sich ver-
bunden, die Leute sind bei ihrem Moment, und einige Frauenkopfe
haben anstatt der antiken Venustas, die modern - französische Grazie,
wie sie sich auch, schickt zu der französischen Auktionsanzeige, die man
nn der Saalwand liest. Ein klein bischen weich und ein klein
bischen süß ist die Sprache, doch ist's ein hübscher Gedanke und ein
anmuthiges Bild, in etwas bunten, aber frischen, klaren und hei-
tern Farben ausgeführt.

N. F. O. Tassaert verbindet mit feinem Coloristensinn ein
wunderliches Malertemperament. Seine Bilder haben eine Silber-
weiße, eine Mondscheinhelle und correggieske Weiche, wodurch sie ge-
fallen und einnehmen. Leider verschwendet er diese köstliche Farbe
und Touche an die trivialsten Formen und findet Vergnügen, Kriech-
löcher und Schlupfwinkel mit bengalischem Feuer zu beleuchten.
Seine „sterbende Magdalena" paßt eher zu einem Spitalbett als
zur Lagerstätte einer Heiligenklause; sie ist weder reuig, noch heilig,
noch lieblich, und gleicht sowohl im Ausdruck des Kopfes als in
ihrer ganzen Gestalt einer gewöhnlichen verbnhlten Sünderin. Ihre
Hände, Füße und Gliedergelenke sind schrecklich verzeichnet. Zwei
zauselhaarige Engel fallen aus einer weißlichten Lichtmasse auf die
Sterbende. Und doch hat diese rohe Skizze etwas Anziehendes und
'Festhaltendes für Kenner und Maler. Die Verkürzungen sind ge-
zwungen und verdreht mit einer Energie und Dreistigkeit, die bis
zur Impertinenz geht. Es-, ist ein gewöhnliches Kraftstück flüchtiger
Bravourmalerei, aber Kraft, ist darin.

Das Konkursbild, womit A. A. E. Hebert im I. 1839 eine
Stelle als Pensionär der französischen Akademie zu Rom erwarb,
ließ einen künftigen Coloristen erwarten; aber das frühreife Talent
des Künstlers wandte sich bald nach einer andern Seite hin; die
günstige Aufnahme seiner „Malaria" (einer italienischen Familie, die
aus den ansteckenden Pestdämpfen der Maremmen flüchtet), in der
Ausstellung von 1850, scheint auf seine Richtung einen entscheiden-
den Einfluß gehabt zu haben. An der italienischen Natur, die er
gern zum Gegenstände seiner Darstellung .nimmt, reizt ihn nicht die
glänzende Tageshelle, die klare Himmelslust, die lachende Außenseite
der Dinge und-Vorgänge; was er vorzugsweise auffaßt und auf-
sucht, . ist die ernste Schönheit, ein stiller und sogar trübsinniger
Ausdruck, die leidende Kreatur. Es sind meist Leute vom Lande
oder vom Volke, die Hebert uns vorführt; aber die gewöhnlich so
reiche, üppige und lebenskräftige Menschennatur Hesperiens erscheint
in seinen Bildern immer äußerlich angegriffen und mehr oder we-
niger erkrankt, dabei innerlich zerschlagen und zerrissen. Seine Nea-
politaner und Neapolitanerinnen sehen aus, als hätten sie nie Tasso's

und Ariost's Stanzen zum Klange der Mandoline gesungen, sondern
immer nur Richardson's Romane und Lamartine'- Harmonien ge-
lesen, in ein so tiefes Brüten und empfindseliges Grübeln sind sie
versunken. Nun läßt man diese fieberische Liebesverfassung und
melancholische Seelenstimmung allenfalls noch hingehen, wenn sie
zum Wesen des Gegenstandes gehören und an ihrem rechten Platze
sind; aber man begreift nicht, was sie in einem Bilde sollen, wie
das diesjährige, welches neapolitanische Bauerfrauen von San An-
gela vorstellt, die vor dem Thor des Städtchens San Germano Heu
verkaufen. Diese „Heusrauen" sitzen schaurig und traurig am Bo-
den; aber ihre Schauer und Trauer sind ganz unmotivirt. Ist dies
die natürliche Stimmung der Marktfrauen? Betreiben sie mit
solchen schmerzlichen Gefühlen ihr Geschäft, und nicht vielmehr mit
Gleichgültigkeit oder mit Lust? In alle dem ist wenig Wahrheit,
keine rechte Natur, zu viel angedeutelter und angedichteter Ausdruck;
selbst ein unbehaglicher Farbenton liegt über dem Ganzen; indeß ist
es, was Solidität und Sorgfalt der Durchbildung anlangt, eines
der guten Gemälde der Ausstellung; es gefiel aber nur sehr Weni-
gen, und wenn ich recht urtheile, so wollte es auch nicht gefallen,
sondern ergreifen. Was aber ergreifen soll, muß doch irgend etwas
Anziehendes und Fesselndes haben; sonst nehmen wir uns die Frei-
heit, wegzusehen, ehe wir ergriffen find.

Die zuletzt genannten Bilder zeichnen sich durch eine höhere
Haltung des Genre aus; auch sind sie durchweg von ansehnlichen
Dimensionen und mit lebensgroßen oder beinahe lebensgroßen Fi-
guren. Diese Werke finden die Zahl oder doch die Qualität von
Anerkennenden, die sie verdienen; ein zahlreicherer und stärkerer Zug
der Theilnahme und Sympathie geht indeß nach den niederen Genre-
stücken, die der gewöhnlichsten Alltagswelt näher treten und sie in
einem Verkleinerungsspiegel zeigen. Die Maler solcher Stücke hal-
ten sich, bei geringerem Größenmaaß, hauptsächlich an das kleine
Volk aus dem Lande, an seine Sitten und Lebensweisen. Sie suchen
ihre Originale und Modelle weder in den Prachthallen der Paläste,
noch in den homerischen Hallen des Olymps; der geringste und ge-
meinste Mann im Stalle oder in der Dorfschenke, aus dem Felde
oder auf der Landstraße ist für sie hinreichend; und wenn es ihnen
begegnet, daß sie ihren lieben Bauern untreu werden, so geschieht
es nicht um seine Herrchen in Glazeehandschuhen und schöne Damen
in Gazekleidern zu malen: die dicken Wollenwämmse, die grobkörni-
gen Leinwandhosen, die Schaf- und Ziegenpelze, die plumpen Holz-
schuhe, die gebräunten Gesichter, die nervigen Beine und staubigen
Füße find ihnen viel zu lieb, als daß sie ihre Lieblingsdinge gegen
etwas Anderes als blaue Kittel, aufgestreifte Hemdärmel, Schurz-
felle) russige Hände und dergleichen vertauschen sollten. Ihre Haupt-
ressourcen bleiben das Ausland und das Innere von Frankreich, wo
die Menschen noch nicht wie in Paris durch das ewige Reiben und
Abschleisen an und auf einander allen scharfen Schnitt und Charak-
ter verloren haben. Navarra, Savoyen, die Schweiz, der Schwarz-
wald, die Rheinlande sind sehr schätzbare und ergiebige Regionen
für den französischen Genremann durch die charakteristischen Phy-
siognomien und effektvollen Scenen, die sie bieten. Die Auvergne,
das Limousin, das Bearn, das Dauphinee, der Elsaß, die Franche
Comte und dergleichen Gegenden, wo die Bewohner des ebenen oder
gebirgichten Landes in ihrer Lebens- und Denkungsart etwas Eigen-
thümliches und Auszeichnendes behalten haben, liefern ebenfalls viel
Motive zu Genrebildern. Besonders ist die Bretagne, die um an-
derthalb Jahrhunderte hinter der Hauptstadt zurück ist und davon
weiter weg liegt als das Feuerland und die Bai der Eskimo's, in
der französischen Genremalerei zu der Ehre gekommen, welche Ty-
rol bei unfern Genremalern hat oder wenigstens hatte. Es ist die
l poetische, malerische, romantische, katholische Provinz, wo noch alt
 
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