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selbstgeschaffene Leiden, die zu einem bestimmten Zwecke auferlegt
und erduldet werden, können Staunen, niemals aber Theilnahme
erwecken; solche sich selbst der Natur entgegenstellende Wesen bleiben
uns ewig fremd, und wenn wir auch lernen können sie zu verehren,
so werden wir sie doch nie von Herzen lieben können. Glücklicher-
weise tritt nun bei der indischen Religion eine Aufgabe hinzu, welche
vor dem gänzlichen Aufgehen in der leeren Askese hindert und dem
Ideal gebietet in den Kreis irdisch-fühlender Menschen zurückzutre-
ten: es ist dies das Gebot der Pflicht gegen die Vorfahren, welches
die Erhaltung des Geschlechts verlangt. Diese eine Pflicht zwingt
den indischen Helden wenigstens einmal in seinem Leben Liebe zu
suchen und wenn er es auch im Fasten, Erdulden von Leiden und
allen nur denkbaren Bußübnngen dem katholischen Heiligen noch zu-
vorthut, dieses eine Gebot ist das natürliche Band um ihn stets
wieder mit uns zu verknüpfen, denn in dieser einen Empfindung
bleibt er Mensch wie wir.
Schon längere Zeit zeigten die bedeutensten Geister unsrer Na-
tion auf die noch ungehobnen Schätze der indischen Literatur hin
und es ist bekannt, mit welcher hohen Freude Göthe das Erscheinen
der Sakontala begrüßte. Damals geschah die Uebertragung noch
aus der englischen Sprache, während solche jetzt aus dem Urtexte
gegeben wird, und wenn Herder bei der Herausgabe der Forsterschen,
aus der englischen des Jones übertragenen Sakontala, es als ein
günstiges Geschick pries, daß die Geistes- und Gemüthsschätze der
friedseligsten Nation unseres Erdballs sammt ihrer Sprache, der
kaufmännischen Nation desselben Balles anvertraut seien, welche frü-
her oder später solche doch auch auf Gewinn anlegen würde, so darf
man es nun als eine weitere günstige Fügung ansehen, daß diejenige
Nation, welche sich am empfänglichsten für fremde Vorzüge bewiesen
hat, ihre Aufmerksamkeit auf jene Schätze richtet, um sie sich voll-
kommen anzueignen. Unsere Literatur gönnt den poetischen Gaben
fremder Länder nicht nur einen Platz neben den eignen, sie nimmt
solche geradezu in sich auf und jede neue Zugabe von außen wird
ein Zuwachs von innen. Auch die indische Literatur hat bei ihrem
ersten Erscheinen bereits ihre Wirkung in dieser Weise bewiesen.
Göthe, am Schlüsse seines reichen Dichterlebens, zur Zeit als sich
die wunderbare seltsam schöne Liebesblüthe eines Kindes noch einmal
an sein alterndes Herz schmiegte, und er aus der unerschöpflichen
Quelle seines Genius uns die reinen Perlen orientalischer Poesie
darbrachte, hat auch der indischen Dichtkunst in „Gott und Bajadere"
und in der „indischen Legende" seinen Tribut gezollt. Später haben
Schlegel, Nückert, Bopp sich theils durch getreue Uebertragung,
theils durch freiere Nachbildung um diesen Zweig der Literatur ver-
dient gemacht, und Nückert hat vorzüglich durch seine Bearbeitung
von Nal und Damajanti schon viel zur weiteren Verbreitung ge-
wirkt. Ein weiterer Beitrag von größerem Umfange liegt nun in
den „indischen Sagen von Adolph Holtzmann" schon in der zweiten
Auflage vor uns.
Der Herausgeber kann es uns, da er jedenfalls vollkommen
von der hohen Bedeutung dieser Gedichte überzeugt ist, nicht ver-
argen, wenn wir bei der Gabe selbst den Geber etwas übersehen;
theilt doch selbst der Verfasser des ursprünglichen indischen Helden-
gedichtes, aus welchem die meisten uns hier gebotenen Episoden ent-
nommen sind, das Schicksal aller der vermeintlichen Dichter natio-
naler Epen. Die Nation hat diese Werke adoptirt und herangebil-
det; wir wissen, daß die Jliade den Griechen, die Nibelungen den
Deutschen, die Mahabharata den Indern gehören, aber ob die an-
geblichen Verfasser derselben wirklich deren Urheber sind, werden
wir vielleicht nie zu entdecken im Stande sein.
Was wir aber im Allgemeinen von der indischen Weltanschauung
gesagt haben, findet sich nun in den Helden der voliegenden Sagen
zur lebendigen Gestaltung gebracht. Seelengröße im Unglück, Ent-
sagung ans Pflichtgefühl, Geduld im Ertragen schwerer, freilich
häufig durch eigne Schwäche herbeigeführter Leiden; dieses sind die
individuellen Vorzüge, mit welchen derselbe nun die Bezüge zur
Familie, die Empfindungen des Herzens zu vereinigen suchen muß.
Daß dieser Kreis nicht geeignet ist, thatkräftige, nach außen wirkende
Gestalten zu erzeugen, ist eben so gewiß, als daß er zur Schil-
derung tief innerlicher Gefühle und aufopfernder Treue am geeignet-
sten sein muß. Die nimmerrastende Sorge, die still verschwiegene,
ungetheilte Hingebung edler Weiblichkeit, ist das schönste dieser zar-
ten Dichtungen, und wie Brahma, das höchste Wesen selbst, das
Empfangende, die Substanz ist, so ist das Weib hier das höchste,
herrlichste auf der Erde. Wie schwer dem Inder der Begriff der
männlich wirkenden Kraft ist, mag wohl die Art, wie sie diese in
der bildenden Kunst darzustellen versuchen, hinlänglich beweisen.
Dort sind die Körperformen und Gesichtszüge stets mit derselben
Zartheit und Weiche gebildet und der Ausdruck größerer oder ge-
ringerer Stärke sucht der Künstler durch die größere oder kleinere
Anzahl von Armen zu veranschaulichen, gleich als beruhe solche
Kraft nicht in der inneren Fähigkeit, sondern in den zu Gebot
stehenden äußeren Mitteln.
Die beiden großen Heldengedichte „Mahabharata" und „Ra-
majana" sind gleichsam die angewandten „Weda's", denn die darin
vorkommenden Personen bringen in ihren Maximen, Zwecken und
Erfolgen die in den „Wedas" ausgesprochenen Ideen zur lebendigen
Ausführung. Der „ Ramajana", das ältere der beiden Gedichte,
wird für das beste gehalten, und obgleich in der vorliegenden Aus-
wahl unter dreizehn einzelnen Stücken nur eines aus dem Rama-
jana genommen ist, so glauben wir doch eben diesem auch hier un-
bedingt den ersten Preis znerkennen zu müssen, und wir wollen
daher auch zuerst auf seinen Inhalt etwas näher eingehen.
Dasarath, Ajozja's Beherrscher, beabsichtigt, seinen ältesten Sohn
Rama, den ihm seine erste Gemahlin, Kausalja, gebar, zu seinem
Nachfolger zu ernennen und ihm vom Volke huldigen zu lassen.
Mit Freude vernehmen die Edlen des Landes diesen Entschluß und
Rama wird zu seinem Vater beschieden.
Während nun die Vorbereitungen zum Feste der Huldigung
getroffen werden, sieht eine fremde, buckelige Sclavin, Manthara,
welche die Zofe einer anderen Gemahlin des Königs, Namens Kei-
keji ist, die geschmückten Straßen und festlich gekleideten Menschen.
Kaum hat sie gehört, was sich begeben solle, als sie zu ihrer
Herrin eilt und diese mit Vorwürfen überschüttet, daß sie die
Herrschaft des Landes nicht ihrem Sohne Farata zuzuwenden suche.
Keikeji, anfänglich erschreckt, hört die Botschaft, daß Rama König
werden solle mit freudiger Ueberraschung:
denn zwischen Rain nnd Farata
macht keinen Unterschied mein Herz;
aber die boshafte Magd fährt fort, sie auf die ausgesuchteste Art
verspottend anfzureizen nnd obgleich Keikeji ihr alle Tugenden Rama's
vorhält, so weiß jene sie doch zuletzt umzustimmen und giebt ihr
den Rach, dem König durch List daß Versprechen abznnehmen, daß
Farata König und Rama verbannt werden solle. Dasarath hat in
früherer Zeit der Keikeji einmal, als sie ihm das Leben rettete, die
unfehlbare Erfüllung zweier Bitten zugesagt, und hierauf sich stützend
vollführt sie ihren Plan. Sie wirft ihren Schmuck von sich, und
bleibt am Boden weinend liegen. Dasarath, welcher sich zur freu-
digen Mittheilung dessen, was mit Rama geschehen, zu seinem Lieb-
lingsweibe Keikeji begiebt, findet diese trostlos und sucht sie zu er-
erheben, indem er ihr schwört, was sie begehre zu erfüllen; er giebt
ihr dabei die Versicherung:
Kein andrer Mensch, als Rama nur
der Männer bester, ist mir mehr
nnd inniger geliebt als du.
selbstgeschaffene Leiden, die zu einem bestimmten Zwecke auferlegt
und erduldet werden, können Staunen, niemals aber Theilnahme
erwecken; solche sich selbst der Natur entgegenstellende Wesen bleiben
uns ewig fremd, und wenn wir auch lernen können sie zu verehren,
so werden wir sie doch nie von Herzen lieben können. Glücklicher-
weise tritt nun bei der indischen Religion eine Aufgabe hinzu, welche
vor dem gänzlichen Aufgehen in der leeren Askese hindert und dem
Ideal gebietet in den Kreis irdisch-fühlender Menschen zurückzutre-
ten: es ist dies das Gebot der Pflicht gegen die Vorfahren, welches
die Erhaltung des Geschlechts verlangt. Diese eine Pflicht zwingt
den indischen Helden wenigstens einmal in seinem Leben Liebe zu
suchen und wenn er es auch im Fasten, Erdulden von Leiden und
allen nur denkbaren Bußübnngen dem katholischen Heiligen noch zu-
vorthut, dieses eine Gebot ist das natürliche Band um ihn stets
wieder mit uns zu verknüpfen, denn in dieser einen Empfindung
bleibt er Mensch wie wir.
Schon längere Zeit zeigten die bedeutensten Geister unsrer Na-
tion auf die noch ungehobnen Schätze der indischen Literatur hin
und es ist bekannt, mit welcher hohen Freude Göthe das Erscheinen
der Sakontala begrüßte. Damals geschah die Uebertragung noch
aus der englischen Sprache, während solche jetzt aus dem Urtexte
gegeben wird, und wenn Herder bei der Herausgabe der Forsterschen,
aus der englischen des Jones übertragenen Sakontala, es als ein
günstiges Geschick pries, daß die Geistes- und Gemüthsschätze der
friedseligsten Nation unseres Erdballs sammt ihrer Sprache, der
kaufmännischen Nation desselben Balles anvertraut seien, welche frü-
her oder später solche doch auch auf Gewinn anlegen würde, so darf
man es nun als eine weitere günstige Fügung ansehen, daß diejenige
Nation, welche sich am empfänglichsten für fremde Vorzüge bewiesen
hat, ihre Aufmerksamkeit auf jene Schätze richtet, um sie sich voll-
kommen anzueignen. Unsere Literatur gönnt den poetischen Gaben
fremder Länder nicht nur einen Platz neben den eignen, sie nimmt
solche geradezu in sich auf und jede neue Zugabe von außen wird
ein Zuwachs von innen. Auch die indische Literatur hat bei ihrem
ersten Erscheinen bereits ihre Wirkung in dieser Weise bewiesen.
Göthe, am Schlüsse seines reichen Dichterlebens, zur Zeit als sich
die wunderbare seltsam schöne Liebesblüthe eines Kindes noch einmal
an sein alterndes Herz schmiegte, und er aus der unerschöpflichen
Quelle seines Genius uns die reinen Perlen orientalischer Poesie
darbrachte, hat auch der indischen Dichtkunst in „Gott und Bajadere"
und in der „indischen Legende" seinen Tribut gezollt. Später haben
Schlegel, Nückert, Bopp sich theils durch getreue Uebertragung,
theils durch freiere Nachbildung um diesen Zweig der Literatur ver-
dient gemacht, und Nückert hat vorzüglich durch seine Bearbeitung
von Nal und Damajanti schon viel zur weiteren Verbreitung ge-
wirkt. Ein weiterer Beitrag von größerem Umfange liegt nun in
den „indischen Sagen von Adolph Holtzmann" schon in der zweiten
Auflage vor uns.
Der Herausgeber kann es uns, da er jedenfalls vollkommen
von der hohen Bedeutung dieser Gedichte überzeugt ist, nicht ver-
argen, wenn wir bei der Gabe selbst den Geber etwas übersehen;
theilt doch selbst der Verfasser des ursprünglichen indischen Helden-
gedichtes, aus welchem die meisten uns hier gebotenen Episoden ent-
nommen sind, das Schicksal aller der vermeintlichen Dichter natio-
naler Epen. Die Nation hat diese Werke adoptirt und herangebil-
det; wir wissen, daß die Jliade den Griechen, die Nibelungen den
Deutschen, die Mahabharata den Indern gehören, aber ob die an-
geblichen Verfasser derselben wirklich deren Urheber sind, werden
wir vielleicht nie zu entdecken im Stande sein.
Was wir aber im Allgemeinen von der indischen Weltanschauung
gesagt haben, findet sich nun in den Helden der voliegenden Sagen
zur lebendigen Gestaltung gebracht. Seelengröße im Unglück, Ent-
sagung ans Pflichtgefühl, Geduld im Ertragen schwerer, freilich
häufig durch eigne Schwäche herbeigeführter Leiden; dieses sind die
individuellen Vorzüge, mit welchen derselbe nun die Bezüge zur
Familie, die Empfindungen des Herzens zu vereinigen suchen muß.
Daß dieser Kreis nicht geeignet ist, thatkräftige, nach außen wirkende
Gestalten zu erzeugen, ist eben so gewiß, als daß er zur Schil-
derung tief innerlicher Gefühle und aufopfernder Treue am geeignet-
sten sein muß. Die nimmerrastende Sorge, die still verschwiegene,
ungetheilte Hingebung edler Weiblichkeit, ist das schönste dieser zar-
ten Dichtungen, und wie Brahma, das höchste Wesen selbst, das
Empfangende, die Substanz ist, so ist das Weib hier das höchste,
herrlichste auf der Erde. Wie schwer dem Inder der Begriff der
männlich wirkenden Kraft ist, mag wohl die Art, wie sie diese in
der bildenden Kunst darzustellen versuchen, hinlänglich beweisen.
Dort sind die Körperformen und Gesichtszüge stets mit derselben
Zartheit und Weiche gebildet und der Ausdruck größerer oder ge-
ringerer Stärke sucht der Künstler durch die größere oder kleinere
Anzahl von Armen zu veranschaulichen, gleich als beruhe solche
Kraft nicht in der inneren Fähigkeit, sondern in den zu Gebot
stehenden äußeren Mitteln.
Die beiden großen Heldengedichte „Mahabharata" und „Ra-
majana" sind gleichsam die angewandten „Weda's", denn die darin
vorkommenden Personen bringen in ihren Maximen, Zwecken und
Erfolgen die in den „Wedas" ausgesprochenen Ideen zur lebendigen
Ausführung. Der „ Ramajana", das ältere der beiden Gedichte,
wird für das beste gehalten, und obgleich in der vorliegenden Aus-
wahl unter dreizehn einzelnen Stücken nur eines aus dem Rama-
jana genommen ist, so glauben wir doch eben diesem auch hier un-
bedingt den ersten Preis znerkennen zu müssen, und wir wollen
daher auch zuerst auf seinen Inhalt etwas näher eingehen.
Dasarath, Ajozja's Beherrscher, beabsichtigt, seinen ältesten Sohn
Rama, den ihm seine erste Gemahlin, Kausalja, gebar, zu seinem
Nachfolger zu ernennen und ihm vom Volke huldigen zu lassen.
Mit Freude vernehmen die Edlen des Landes diesen Entschluß und
Rama wird zu seinem Vater beschieden.
Während nun die Vorbereitungen zum Feste der Huldigung
getroffen werden, sieht eine fremde, buckelige Sclavin, Manthara,
welche die Zofe einer anderen Gemahlin des Königs, Namens Kei-
keji ist, die geschmückten Straßen und festlich gekleideten Menschen.
Kaum hat sie gehört, was sich begeben solle, als sie zu ihrer
Herrin eilt und diese mit Vorwürfen überschüttet, daß sie die
Herrschaft des Landes nicht ihrem Sohne Farata zuzuwenden suche.
Keikeji, anfänglich erschreckt, hört die Botschaft, daß Rama König
werden solle mit freudiger Ueberraschung:
denn zwischen Rain nnd Farata
macht keinen Unterschied mein Herz;
aber die boshafte Magd fährt fort, sie auf die ausgesuchteste Art
verspottend anfzureizen nnd obgleich Keikeji ihr alle Tugenden Rama's
vorhält, so weiß jene sie doch zuletzt umzustimmen und giebt ihr
den Rach, dem König durch List daß Versprechen abznnehmen, daß
Farata König und Rama verbannt werden solle. Dasarath hat in
früherer Zeit der Keikeji einmal, als sie ihm das Leben rettete, die
unfehlbare Erfüllung zweier Bitten zugesagt, und hierauf sich stützend
vollführt sie ihren Plan. Sie wirft ihren Schmuck von sich, und
bleibt am Boden weinend liegen. Dasarath, welcher sich zur freu-
digen Mittheilung dessen, was mit Rama geschehen, zu seinem Lieb-
lingsweibe Keikeji begiebt, findet diese trostlos und sucht sie zu er-
erheben, indem er ihr schwört, was sie begehre zu erfüllen; er giebt
ihr dabei die Versicherung:
Kein andrer Mensch, als Rama nur
der Männer bester, ist mir mehr
nnd inniger geliebt als du.