Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Deutsches Kunstblatt: Literaturblatt des Deutschen Kunstblattes — 4.1857

DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.1206#0046
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
46

vermöge ihrer objectivcn Unvollkommenheit erlaubt sie uns auch nicht >jective Größe dabei zu Grunde gehen soll, darf derselbe nicht auf
bei ihrer objectivcn Vollkommenheit stehen zn bleiben, sondern einmal entschieden werden, sondern es muß ein Verlauf des Kampfes
treibt uns über Object und Subject hinaus in das Absolute, wel- stattfinden, in welchem sich die relative Größe als solche bewährt
cheS Object und Subject einerseits in sich aufhebt und vernichtet,! und erst nach und nach der Uebcrmacht des Absoluten erliegt. Die
andrerseits in sich herstellt und zum allein wahren Sein gelangen läßt. > tragische Erscheinung muß aus ihrem adversativen Verhältnisse gegen
Vom Rein-Schönen unterscheidet sich das Tragische dadurch,! das Absolute zwar Herausgetrieben werden, aber nur so weit, daß
daß seine objective Vollkommenheit als eine ungenügende, in sich sie sich immer noch in concessivem Verhältnisse als Größe behaupten
selbst untergehende erscheint und dadurch den Gedanken in uns auf- kann. Während sie zu Anfang des Kampfes zum Absoluten sagt:
regt, daß eine noch höhere, und zwar eine höchste und absolute Voll- Du bist zwar das Absolute, aber ich will es sein! muß sie am Ende
kommenheit existiren müsse, während wir bei der rein-schönen Er- des Kampfes einräuinen: Ich bin zwar groß, aber doch nichts gegen
scheinung gar nicht dazu kommen, einen Unterschied zwischen objectiver
und absoluter Vollkommenheit zu machen, sondern ihre objective
Vollkommenheit als eine durchaus vollständige Repräsentation der scheu und unvollkommen von moralischer Seite. Von ästhetischer Seite

das Absolute.

Vollkommen erscheint uns die tragische Kraft von der ästheti-

höchsten Vollkommenheit, der Gottheit schlechthin betrachten.

Mit dem Komischen hat das Tragische zwar das gemein, daß
cs sich als ein Unvollkommenes erweist, aber diese Unvollkommenheit
erscheint nicht wie die des komischen Objects als etwas völlig Rich-

betrachten wir sie als unendliche Größe, von moralischer als Egois-
mus, als Anmaßung, als Uebermuth oder vßoig. Die Auffassung
der tragischen Erscheinung von sittlicher Seite ist also keine willkür-
liche, sondern eine unumgänglich nothwcndige. Sie darf aber nicht

tiges, sondern zeigt sich in so hohem Grade mit der Vollkommenheit die primitive sein, sondern nur die secundäre; eben so wenig darf

verflochten, daß wir uns um dieser Vollkommenheit willen auch der
Unvollkommenheit beiordnen und ideal mit ihr leiden, untergehen und
uns im Absoluten regeneriren.

Die tragische Erscheinung muß demnach 1) einen hohen Grad
objectiver Vollkommenheit besitzen, so daß wir sie zunächst für das
Absolute selbst nehmen können; 2) muß sie trotz dieser Vollkommen-
heit sich als unzulänglich erweisen und deswegen mit dem Absoluten
in Eouflict geratheu und in diesem Conflict untergehen; 3) muß ihr
Untergang als Wirkung der absoluten Vollkommenheit erscheinen,
vor welcher alle relative Vollkommenheit zur Unvollkommenheit her-
absinkt.

sie die letzte sein, sondern sie muß nur den Uebergang bilden zun
dritten, innerhalb welcher wir das Absolute selbst als die einzige
absolute Erscheinung fassen und cs somit als das Vollendet-Schöne,
als die ewige Harmonie und Eurhythmie anerkennen.

Das Absolute im Tragischen kann erscheinen 1) als Fatum,
2) als weltliche Macht (die verschiedenen Institute, welche die Gott-
heit ans Erden repräsentiren), und 3) als göttliche Weltregierung.
Auf der dritten und höchsten Stufe des Tragischen manifestirt sich
das Absolute als das, was cs ist, als die Alles in sich tragende
Idee. Es stellt sich hier weder dar als die Erscheinung in sich
verschlingend und in so fern werdend (Fatum), noch als in eine Er-


ie objective Vollkommenheit deS Tragischen fällt in das Ge- scheinung theilweise hinabgcsliegeu und in so fern daseiend (weltliche

biet des Erhabenen. ES ist die Erhabenheit der Willenskraft, welche
das erste Moment im Tragischen ausmacht; der eigentliche Sitz
desselben ist der selbstbewußt - wollende Geist, der Charakter. Die
tragische Erhabenheit des Charakters ist aber die Erhabenheit des
Egoismus, und der Egoismus ist erhaben, wenn das Ich Gott sein
will, ohne seine Ichheit aufzuopfern. Ties Gottseinwollen mit Bei-
behaltung der Ichheit ist das erhabene Element aller wahrhaft tra-

Macht): sondern als das Seiende schlechthin, als das, wodurch das
Werdende wird, das Daseiende da ist. Die Erscheinung geht hier
nicht au einem feindlichen und vernichtenden, sondern vielmehr an
einem zwar strengen, aber gerechten, ja guadcnvollen und versöhnen-
den Princip unter. Die Gottheit betrachtet das Besondere als einen
integrirenden Theil, als ein Glied ihrer selbst, und zeigt demselben
ihre Allmacht nur so weit als nöthig ist, um cs von seinen egoisti-

gischen Charaktere. Wir finden es überall wieder, wenn auch natür- scheu Auswüchsen zu reinigen und cs in die ihm gebührenden Schran-
lich in den mannigfaltigsten Modificationen und in den verschieden- ken seines Seins zurückzuführen. Diese letzte und höchste Stufe der
sten Graden und Abstufungen, je nachdem die Idee der Gottheit so Tragik können wir vorzugsweise als die christliche bezeichnen; denn

oder so, vollkommener oder unvollkommener gefaßt wird, und je
nachdem sich diese oder jene Kraft im Menschen der Gottheit gleich-
zusetzen strebt. So unzählige Nüanccn hier Statt finden können, so
lassen sie sich doch sämmtlich auf drei Klassen zurückführen. In die
erste Klasse gehören diejenigen Charaktere, welche vermöge ihrer
Willenskraft die Willenskraft selbst zum Unbeschränkten zu erheben
suchen; in die zweite diejenigen, welche ihr Gefühl emancipiren wollen,
und in die dritte endlich diejenigen, welche nach einer unbeschränkten
Intelligenz ringen.

Prometheus kann als Prototyp der tragischen Erhabenheit im
klassischen Alterthum betrachtet werden; er fällt, mit seinem groß-
artig unbeugsamen Willen, in die erste Klasse. Als Beispiele der

zweiten können Ajax, Romeo und Julie, Tasso gelten. Das Mu-
sterbild der dritten ist Faust.

Die Unvollkommenheit der tragischen Erscheinung muß von der Art
sein, daß sie neben der objectivcn Vollkommenheit bestehen kann, ohne
sie aufzuheben. Dadurch ist von vornherein jede Unvollkommenheit
ausgeschlossen, welche den tragischen Gegenstand als schwach und
kleinlich darstellen würde. Genau zu reden, beruht die tragische Un-
vollkommenheit auf einer Ueberkraft, die sich gegen das Ganze rich-
tet und sich im Gegensatz zu diesem als unzulänglich darstellt. Es
ist also ein Gegensatz, ein Conflict nöthig, und wenn nicht die ob-

erst das Ehristeuthum hat eine solche Vorstellung von der Gottheit
und der göttlichen Weltregierung rein und vollständig in's Dasein
gerufen und zum allgemeinen Eigenthum aller Herzen gemacht.
Anfänge dazu finden sich jedoch schon im Alterthume, z. B. in dem
Mythus von Herakles, im Oedipus auf Kolonos u. a.

Das Tragische an sich betrachtet, gliedert sich in das Rührende,
das Pathetische und das Dämonische. Rührend ist, was tragisch ist
für Anderes. Durch diese Beziehung auf das Andere hin nimmt das
Rührende im Gebiet des Tragischen eine Stelle ein, wie das Ge-
fällige im Rein-Schönen, wie das Possierliche im Komischen. Daher
verbindet sich mit dem Rührenden einerseits die Vorstellung des
Kleinen, andererseits die des Reizenden, natürlich nur in demjenigen
Maße, als es der Begriff des Tragischen überhaupt zuläßt. —
Pathetisch oder rein-tragisch ist, was sich als tragisch dargestellt für
sich selbst, d. h. was sich im Bewußtsein seiner Vollkommenheit und
Ueberlegenheit über das mit ihm in Beziehung stehende Andere zn
einem solchen Grade von Selbstgefühl erhebt, daß cs lieber in Lei-
den und Kämpfen zu Grunde geht und der vernichtenden Macht des
Absoluten verfällt, als daß es einem Anderen wiche, selbst wenn
dieses Andere das Absolute sein sollte. Das rein-tragische Object
kämpft daher nicht offensiv gegen das Absolute, sondern nur defensiv
um seiner selbst willen; cs will das Absolute nicht stürzen, sondern
 
Annotationen