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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 3.1898-1899

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Schölermann, Wilhelm: Neuere Wiener Architektur
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https://doi.org/10.11588/diglit.6386#0235
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Wilhelm Schölermann :

wahrscheinlich auf beide Arten etwas zu
Stande bringen, das allen Anforderungen
gerecht wird und »allen Analysen standhält.«

Otto Wagner's Bahnhöfe und Viadukt-
bauten für die neue Wiener Hochbahn zeigen
den praktischen Erfolg seiner Ideen. Sichere
Konstruktion und Einfachheit mit feiner Aus-
nutzung gegebener Verhältnisse sind zu
einem einheitlichen Ganzen zusammen-
geschmolzen. Die meisten Pläne und An-
sichten dieser Hochbahnanlage sind im Ar-
chitektur-Verlag von Anton Schroll in Wien
erschienen.

Vor Kurzem hat Wagner bei der Aus-
stellung der Wiener Sezession, die er nach
Kräften zu fördern sucht, eine interessante
Modellstudie und mehrere Planzeichnungen
zu einer neuen Akademie der bildenden
Künste in Wien ausgestellt. Dieses 1 ieblings-
projekt des Künstlers ist schon mehrfach
Gegenstand der Erörterung in der hiesigen
Presse geworden. Möglicherweise wird
man es bald an massgebender Stelle in
nähere Berücksichtigung ziehen. Auf eine
Beschreibung und Erläuterung des reich mit
Gold und figuralem Schmuck ausgestatteten,
einer Triumphhalle gleichenden Modells
muss ich hier verzichten, da der Leser doch
ohne Abbildungen desselben kaum eine
klare Darstellung davon bekommen kann.
Die Schüler Wagner's: Olbrich, Plecnik,
O. von Kempf, H. Gessner, der Bildhauer
O. Schimkowitz und Andere hatten sich
an der Ausführung der Pläne und dem Bau
des Modells betheiligt.

Von Wagner's Schülern kommt für
moderne Architektur in erster Linie Olbrich
in Betracht. Nach ihm dürfte — das will
ich hier gleich einfügen — der junge Archi-
tekt J. Plecnik das frischeste Talent sein,
namentlich in der Dekoration des Innen-
raumes. Von Plecnik's Entwürfen wird
wahrscheinlich das zweite Wiener Sonder-Heft
einige zur Illustration bringen. Hier sei einst-
weilen auf den gemeinsam mit dem Bildhauer
O. Schimkowitz ausgeführten Entwurf zu
einem Denkmal für Johannes Guttenberg
hingewiesen, welcher unlängst im Oester-
reichischen Museum berechtigtes Interesse
erregte, aber nicht zur Ausführung gelangt ist.

Toseph M. Olbrich ist der Erbauer des
neuen Ausstellungs-Gebäudes für die »Ver-
einigung bildender Künstler Oesterreichs«,
deren Mitglied er ist. Von allen jüngeren
hiesigen Architekten erscheint Olbrich als
das stärkste, frischeste und selbständigste
Talent. Von Geburt Schlesier, kam er
jung nach Wien und lernte und arbeitete
eine Zeitlang unter Hasenauer; ob er daraus
besonderen Vortheil für seine künstlerische
Anschauung gewinnen konnte, das lasse ich,
unter Hinweis auf meine Ansicht über diesen
»Semper-Verbesserer«, dahingestellt. Jeden-
falls ist er bei Oberbaurath Wagner in
besseren Händen und steht unter der fort-
währenden Einwirkung neuer zeitgemässer
Anregungen, die ihn nach verschiedenen
Richtungen hin befruchten können.

Sein organisatorisches und dekoratives
Talent hatte Olbrich bereits bei der ersten
Ausstellung der Vereinigung in der Garten-
baugesellschaft glänzend bewiesen. Man muss
das selbst mit angesehen haben, um beurtheilen
zu können, was dazu gehörte, einen ästhetisch
unmöglichen Raum, der bisher fast nur für
Hunde- und Geflügelausstellungen benutzt
worden war, herzurichten und durchaus ge-
schmackvoll für eine Kunstausstellung zu
adaptiren. Der ruhigen Thatkraft und über-
legenen Energie Olbrich's, an welcher selbst
der kopfloseste Ungestüm, ebenso wie die
sprichwörtliche wiener «Schlamperei» wir-
kungslos abprallten, gelang das Kunststück
vortrefflieh.

Dann kam das neue Gebäude am Wien-
flussufer, hinter der Akademie, das dauernde
Heim für die Sezession. In sechs Monaten
ward es fertiggestellt. Der leitende Bau-
gedanke Olbrich's war: einen Kunsttempel zu
errichten, der dem Kunstgeniessenden einen
stillen, vornehmen Zufluchtsort bieten könne,
um unter Zuhilfenahme aller verwendbaren
technischen Verbesserungen das moderne
Leben in natürliche und leichtzugängliche
Berührung mit der Kunst unserer Tage zu
bringen. Ein Hauptraum und mehrere
Nebenräume, welche, durch verschiebbare
Zwischenwände nach Belieben vergrössert
oder verkleinert werden können, mit Oberlicht
und Seitenlichtkonstruktion, wo intime Kunst-
 
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