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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 12.1903

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Der "Goethe-Tempel" im Darmstädter Herrengarten
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https://doi.org/10.11588/diglit.6693#0225
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Der -»Goethe-Tempel«, im Darmstädter Herrengarten.

PROF. L. HABICH—DARMSTADT. Bronze im Goethe-Tempel.

ein paar geschweifte, leicht orna-
mentierte Ruhe-Bänke aus Sandstein:
das ist alles. Die volle Wirkung wird
aber erst eintreten, wenn das Ganze
über und über von Schling-Gewächsen
überwuchert sein wird. —

Nicht ohne »frommen Schauder«
wird man dann in grüner Dämmerung
vor den Genius treten, den dieses
symbolische Gehäuse umschliesst.
Wir haben in Deutschland nur ganz
vereinzelte Bildwerke in Bronze, die
neben oder gar über diesem Genius
Habichs einen Rang behaupten
können. Von der Reife, Sicherheit
und prachtvoll gefühlten »Fleischlich-
keit« der Modellierung abgesehen,
entzückt uns schon die köstliche
Material-Wirkung der Bronze. Diese
Figur, wie sie da steht, ist gar nicht
anders zu denken als im Erzguss;
das gibt ihr eine Selbstverständlichkeit
und Echtheit, die man bei modernen
Skulpturen nur selten trifft. Die
farbige Behandlung der Patina ist so
dunkel, dass sie bei düsterer Beleuch-
tung geradezu schwarz erscheint.

Auch den Medaillons kommt
diese kräftige, edle Wirkung der
Bronze sehr zu statten. Das des
jungen Goethe an der Vorderseite
ist nach einem wenig bekannten
Schatten - Risse entworfen, welcher
sich noch im Besitze der Familie
Merck befindet; daneben hat für die
Einzelheiten der Schädel-Bildung die
berühmte, majestätische Toten-Maske
Goethes stilistische Anhalts - Punkte
geliefert. Hier ist ganz der Goethe
des »Werther«, des »Götz«, des ge-
waltigen »Prometheus«: leidenschaft-
lich, trotzig, überschwänglich und
doch kindlich - zart und arglos und
mit jenem Zuge zur Selbst-Quälerei,
der vielen bei Goethe so merkwür-
dig erscheint, und der doch der er-
giebigste Quell seiner grossen Lyrik
geworden ist. Auch Mercks Profil
(rechte Sockel-Wange) ist mit Bra-
vour aus dem Metall herausgeholt.
 
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