DOI Artikel:
Michel, Wilhelm: Realismus und Naturalismus
DOI Seite / Zitierlink: https://doi.org/10.11588/diglit.9554#0057
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schief und ungenau, er ist geradezu
falsch. Wenn man Dürer als einen
Realisten bezeichnet, so will man damit
doch nicht sagen, daß er Naturausschnitte
dargestellt habe. Und um bei der Gegen-
wart zu bleiben, so hat man wohl völlig
Recht, die japanische Kunst eine realistische
zu nennen, aber naturalistisch ist sie ganz
sicher nicht, denn es fehlt den Japanern
jede, auch die leiseste Neigung, die
»Dinge« durch den »Naturausschnitt« zu
vergewaltigen. Alle realistische Kunst
war von jeher eine dingliche, eine gegen-
ständliche Kunst. Sie suchte das Wesent-
liche der Körper zu erfassen und darzu-
stellen, sie suchte die Dinge möglichst
stark zu charakterisieren.
Der Naturalismus aber hat die Medien,
die den Raum erfüllen, in unnaiver Weise
selbständig gemacht und hat folgerichtig
damit geendet, nur noch Licht und Luft
zu geben und die Dinge, die Körperwelt
nur nebenher mit in Kauf zu nehmen als
diejenigen Objekte, an denen diese Medien
ihre Wirksamkeit demonstrieren. Unter
der Herrschaft des Naturalismus ist die
Welt ein einziger großer Exerzier- und
Übungsplatz für die unwichtigeren Be-
standteile unserer sinnlichen Wahrnehmung
geworden. Der Diener ward zum Herrn,
der Herr, nämlich das Ding, ward zum
Knecht. Der Naturalismus hat vergessen,
daß das Licht nur insoweit Sinn und Be-
deutung hat, als es die Formen groß und
bedeutend charakterisiert. Innerhalb ihrer
Schranken sind die Medien wichtig und
verehrungswert, wie auch der Diener
gerade dadurch wichtig und achtenswert
wird, daß er seine Dienste treu und redlich
leistet. Werden aber diese Schranken durch-
brochen, so bleibt nur Anarchie und Chaos.
— Es ist vielleicht interessant, Realismus
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schief und ungenau, er ist geradezu
falsch. Wenn man Dürer als einen
Realisten bezeichnet, so will man damit
doch nicht sagen, daß er Naturausschnitte
dargestellt habe. Und um bei der Gegen-
wart zu bleiben, so hat man wohl völlig
Recht, die japanische Kunst eine realistische
zu nennen, aber naturalistisch ist sie ganz
sicher nicht, denn es fehlt den Japanern
jede, auch die leiseste Neigung, die
»Dinge« durch den »Naturausschnitt« zu
vergewaltigen. Alle realistische Kunst
war von jeher eine dingliche, eine gegen-
ständliche Kunst. Sie suchte das Wesent-
liche der Körper zu erfassen und darzu-
stellen, sie suchte die Dinge möglichst
stark zu charakterisieren.
Der Naturalismus aber hat die Medien,
die den Raum erfüllen, in unnaiver Weise
selbständig gemacht und hat folgerichtig
damit geendet, nur noch Licht und Luft
zu geben und die Dinge, die Körperwelt
nur nebenher mit in Kauf zu nehmen als
diejenigen Objekte, an denen diese Medien
ihre Wirksamkeit demonstrieren. Unter
der Herrschaft des Naturalismus ist die
Welt ein einziger großer Exerzier- und
Übungsplatz für die unwichtigeren Be-
standteile unserer sinnlichen Wahrnehmung
geworden. Der Diener ward zum Herrn,
der Herr, nämlich das Ding, ward zum
Knecht. Der Naturalismus hat vergessen,
daß das Licht nur insoweit Sinn und Be-
deutung hat, als es die Formen groß und
bedeutend charakterisiert. Innerhalb ihrer
Schranken sind die Medien wichtig und
verehrungswert, wie auch der Diener
gerade dadurch wichtig und achtenswert
wird, daß er seine Dienste treu und redlich
leistet. Werden aber diese Schranken durch-
brochen, so bleibt nur Anarchie und Chaos.
— Es ist vielleicht interessant, Realismus
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