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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 25.1909-1910

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Widmer, Karl: Die gebildete Frau im Kunstgewerbehandel
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https://doi.org/10.11588/diglit.7377#0083
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Die gebildete Frau im Kunstgewerbehandel.

tens, die nun einmal da, wo ihr eigenes Ge-
schlecht das Hauptkontingent der Kunden stellt,
eine besonders große Rolle spielen. Weib-
licher Bedienung gegenüber sind die Käufer-
innen im allgemeinen unbefangener im Fragen
und im Angeben ihrer Wünsche als Männern
gegenüber.

Das alles kommt zusammen, um die Tätig-
keit der Frau im Kunstgewerbehandel zu einer
für beide Teile — den arbeitgebenden und
arbeitsuchenden — gleich wichtigen und dank-
baren Aufgabe zu machen. Und die Bedeutung
dieser Aufgabe steigert sich damit, daß es sich
hier nicht allein um materielle Bedürfnisse,
sondern um höhere Kulturfragen handelt: wird
doch der Geschmack, der in unsern Wohn-
räumen herrscht, im wesentlichen davon be-
stimmt, was von den Frauen und für die Frauen
angeschafft wird. Es äußert sich hier wie-
der der unmittelbare und ausschlag-
gebende Einfluß, den der Kunstge-
werbehandel auf das künstlerische Ni-
veau unseres heutigen Lebens ausübt.

Um seiner Kulturaufgabe in diesem Sinne
gerecht zu werden, müßte der Kunstgewerbe-
händler aber vor allem auch über einen tüch-
tigen Stab gebildeter Verkäuferinnen ver-
fügen können. Denn die Summe rein fach-
mäßiger Kenntnisse, die allenfalls für ein Putz-
und Modegeschäft ausreichen, genügt nicht,
wo es sich um Auskünfte handelt, die sich zum
Teil mit den feinsten Bildungsfragen berühren:
Fragen, in denen sich die gebildete Dame nur
dem gebildeten Urteil unterwirft. Leider be-
rührt man aber damit eine der größten Lücken
in der Organisation unseres heutigen Kunst-
gewerbehandels. Es fehlt ihm durchaus an

einem solchen Stand von Verkäuferinnen, die
auf einem höheren Niveau allgemeiner Bildung
stehen — einzelne Ausnahmen können daran
nichts ändern. Gesellschaftliche Rücksichten
und Vorurteile, die das Mädchen aus dem Volk
nicht beschweren, hindern die Töchter unserer
gebildeten Stände, einen Weg zu beschreiten,
der eine so glückliche Lösung der Frauenfrage
sein könnte. So ist es wenigstens in Deutsch-
land, dem klassischen Land der gesellschaft-
lichen Engherzigkeit. In England denkt man
über diese Dinge heute schon viel freier, als
bei uns. Am weitesten voraus aber ist uns
darin Skandinavien. Hier gilt es als etwas
Selbstverständliches, daß man einer Dame die
gesellschaftliche Achtung darum nicht versagt,
weil sie durch ehrliche Arbeit ihr Brot ver-
dient. In dänischen und schwedischen Kunst-
gewerbeläden kann man deshalb allenthalben
Verkäuferinnen treffen, die durch ihre Kennt-
nisse und durch ihr Auftreten beweisen, daß
sie den gebildeten Ständen angehören. So hat
gerade hier im Eldorado der Frauenemanzi-
pation die Frau gezeigt, wie man auch ohne
die unerfüllbaren Prätentionen eines beding-
ungslosen Konkurrenzkampfs der Geschlechter
seinen1 Teil zu einer gesunden Lösung der
Frauenfrage beitragen kann: nicht durch Ein-
reißen der natürlichen Grenzen, die der Tätig-
keit der Frau gesetzt sind, sondern durch Über-
windung der künstlichen Schranken, die ihr
Kastengeist und Standesvorurteil setzen. Es
ist schade , daß das Beispiel der Skandina-
vierin bei uns nicht mehr bekannt ist. Es würde
vielleicht auch bei uns manchen helfen können,
sich auf dem gleichen Wege eine befriedigende
Lebensaufgabe zu sichern. — k. w.

APHORISMEN.

Wer gegen sich selbst und andere wahr ist und
bleibt, besitjt die schönste Eigenschaft der größten
Talente. Goethe.

Die Bewunderung ist das Vermögen, am Schönen
und Sinnreichen sich zu freuen; wir weiden, wenn
wir diese zerstören, gemein und unehrerbietig.

John Ruskin.

Kunst ist Ausdruckstätigkeit. Aber nicht alle Aus-
druckstätigkeit ist Kunst. Wenn jemand lacht oder
Weint, liefert er noch kein Kunstwerk. Dazu wird
Ausdruckstätigkeit erst, wenn sie zu selbständiger und
Verständlicher Erscheinung gelangt. O. Kohnstamm.
*

Gewöhnlichkeit wird jedem geglaubt, zum Unge-
wöhnlichen bedarf es der Autorität. August Pauly.

*

Genie ist eine lange Geduld. In jeglichem Ding
steckt etwas, das noch keiner gesehen und keiner aus-
gedrückt hat, dies muß man herausholen. Flaubert.

*

Unsere zarte, fühlbare und fein empfängliche Natur
hat aller Sinne nötig, die ihr Gott gegeben, sie
kann keinen seines Dienstes entlassen, um sich einem
andren allein anzuvertrauen: denn eben im G e s a m t-
gebrauch aller Sinne und Organe zündet und
leuchtet allein die Fackel des Lebens. Herder.
*

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