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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 26.1910

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Breuer, Robert: Plastiken von Richard Engelmann
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https://doi.org/10.11588/diglit.7378#0138
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Plastiken von Richard Engelmann.

RICHARD ENGELMANN DAHLEM.

einer Weiterbildung, nur davon :
daß die Jungen (die dem bürger-
lichen Datum nach keine Kinder
zu sein brauchen) neue und bis-
her ungeahnte Konsequenzen ge-
zogen haben. So fern Gogh von
Monet, Hodler von Liebermann zu
stehen scheinen, sie sind doch
eines Blutes. Sie sind es, unbe-
kümmert um die eigne Meinung
der Neuen über sich selbst. Van
Gogh wollte die Impressionisten
überwinden; er hat sie vielmehr
in höchstem Maße erfüllt. Und
genau das Gleiche gilt von unsern
jungen Bildhauern. Kolbe und
Schmidt, Barlach und Engelmann
sind nicht Verneiner des die Na-
tur erobernden Wirklichkeits-Sin-
nes ; sie sind Organisatoren und
Ausdeuter der naturalistischen
Tendenz. Das, was sie zu geben
versuchen, die Hochspannungen

Zwei Skizzen zu Jirunnen-Kiguren.

der Muskelzüge, den

und die Lyrik der Nerven, das alles hätten
sie nie ersehen können und nie zu gestalten
vermocht, wenn sie sich eben nicht in die
zuckende Natur, in deren unermeßliche Fülle
und stürzenden Reichtum eingegraben hät-
ten. Die Melodien, die zarten und grausigen,
die klagenden und heroischen, die sie dem
Stein entquellen lassen, haben sie als über-
irdische Strömung unter den unzählbaren
Wellen der vorüberjagenden Wirklichkeit ge-
hört. Ihre Augen sind scharf genug, um die
Vielfältigkeit zu sehen; ihre geistige Disposition
aber befiehlt ihnen, nur eine bestimmte, die
ihnen gehörende, Einheit einzufangen und
emporzuheben.

Und, um dies Grundphänomen, diesen eher-
nen Zusammenhang aller großen Kunst noch
einmal festzustellen: ist dieser Prozeß der
Auslese nicht auch vor sich gegangen, als
Liebermann die Hieroglyphe einer Straße des
Amsterdamer Judenviertels hinschrieb. Das
sind ja garnicht naturalistische Notizen; das
sind hier wie dort: Gelenkpunkte von Gefühls-
kurven. Und Gefühlskurven zu enthüllen,
Orgelpunkte, wie Scheffler sagt, die Materiali-
sation des durch die Natur kreisenden Rhyth-
mus, das ist die Absicht unserer neuen Idea-
listen, die Absicht von Hodler, Hofer, Bar-
lach, Engelmann. Diese Beziehungen werden
noch deutlicher, wenn man etwa solche Ver-
gleiche vollzieht: Klingers Griechenbild für Leip-

des Lebens, die Parallelogramme
Geist des Fleisches zig und Hodlers Auszug der Jenenser Studen-
ten. Das erste ist eine Häufung naturalistischer
Details nach einer literarischen Disposition.
Wir sollen in der Atmosphäre des goldenen
Hellas untertauchen. Homers epische Gewalt,
Alexander, der Sturm, Piaton und Aristoteles,
sollen über uns geraten, daß wir uns an ihnen
wie an einem Feuerbrand entzünden. Wir
stehen aber nur kühl, kaum interessiert vor
aneinandergereihten Episoden, vor gehäufter
Wirklichkeit. Der Schönheiten bewundern
wir viele; indessen, wir fühlen auch nicht
eine Spur von dem Pulsschlag des goldenen
Zeitalters. Zu schweigen davon, daß uns
dieses Klingerbild nicht dazu verhilft, ein gol-
denes Zeitalter, ein hellenisches Glück aus
uns selbst heraus zu gebären. Gerade das
aber ist die spezifische Kraft und die all-
siegende Gewalt Hodlers, daß er uns zwingt,
nicht nur den Rhythmus zu sehen, nein, ihn
selbst zu erleben, ihn aus uns heraus zu ent-
wickeln. Vor Hodlers Jenenser Bild sehen
wir nicht nur marschieren, wir marschieren
selbst; wir schwingen uns aufs Roß und lüften
die Brust der Schlacht entgegen.

Solcher Art des künstlerischen Erlebnisses
wollen die Jungen dienen. Empfinden monu-
mentaler Reinheit, ein Drängen zur großen,
als Destillat zarten Fühlens natürlich wachsen-
den Form, ein musikalisches Aufhorchen und
schweigendes Hingeben an den kosmischen
Rhythmus, das ist die psychische Welt, der

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