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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 26.1910

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Roessler, Arthur: Ivan Mestrovic - Wien
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https://doi.org/10.11588/diglit.7378#0177
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Ivan Mestrovic.

Lehrer der Ästhetik hat erklärt, daß in
der Bildhauerei ein Bewegtes dargestellt
wird, und gesagt: „In dieser Darstellung
kann es sich nicht wirklich bewegen, das
heißt nicht mehrere Bewegungs-Momente
durchlaufen, aber ein Moment der Bewe-
gung wird dargestellt, und zwar auch in
der ruhenden Gestalt, denn sie muß er-
scheinen als eine solche, die sich bewegen
kann, muß, will, die sich bewegt hat und
wieder bewegen wird, und ob auch die
Ruhe zwischen zwei Bewegungen länger
andauert als einen Moment im buchstäb-
lichen Sinne. In diesem Moment ist die sich
bewegende Gestalt versteinert worden;
sie ist sozusagen aus dem wirklichen Leben
und aus der es spiegelnden Phantasie des
Künstlers, wo sie ein Zeitleben fortdau-
ernder Bewegung führte, in einen bewe-
gungslosen Raum hineingesprungen und im
Nu verzaubert worden, wie sie eben war.
Eigentlich ein märchenartiger Vorgang, das
| Schicksal Dornröschens; der Königssohn ist
dle Phantasie des Zuschauers, in welcher
auch hier das Bewegungslose auflebt."
I Hieraus geht hervor, daß es im Belieben
• des Beschauers steht, den „grotesken"
tiewegungsmoment aufzulösen. Ich nehme

■ nämlich an, daß man das an gewissen

■ ^kulpturen von Mestrovic gerügte groteske
Element in manchem gesteigerten Be-

■ We^ungsausdruck sieht, denn wenn man

■ es in der rein materiellen Größe einiger
seiner plastischen Gebilde sehen wollte,
Ware dies doch gar zu dumm und der

■ Widerlegung nicht wert. Dabei will ich
freilich nicht dafür gutstehen, daß es den

■ >Ungen Meister niemals gelüstete und be-

■ lustigte, mit ernsthaften Absichten eine
Piastische Parodie zu schaffen, denn so

■ £m wuchtiger Steinmensch wie Mestrovic

■ kann seinen gewaltig grimmigen Formen-
witz haben und in Tonklumpen darauf-

■ loskneten wie ein anderer in Brotkrume.

■ Zeitweilig mag er seine Launen haben

■ und Gefallen daran finden, Gebilde zu

■ schaffen, die irgendwie an andere Plastiker

■ mahnen, von der archaischen Sphinx zu
Delphi bis zu Rodin und Minne, meistens

■ fünlt er aber in und um sich den Ernst

■ seiner Berufung und handelt ihr gemäß, und

■ ^ann gelingen ihm jene grandiosen Werke,

■ die man, wie Michelangelo sagte, gleich

■ einem ßlock kollernd einen Berg hinab

■ ^ollen lassen kann, ohne daß sie Schaden

■ dabei leiden dürfen. Man beachte, wie

IVAN MESTROVIC WIEN

1910. IX. 3.
 
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