Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 26.1910

DOI Artikel:
Kleine Kunst-Nachrichten
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.7378#0221
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
KLEINE KUNST-NACHRICHTEN.

MAI 1910.

BERLIN. Ein stiller Mann ist voriges Jahr von
uns gegangen, als er noch nicht 50 Jahre
alt war, Otto Reiniger. Zu seinem Gedächt-
nis sind eben bei Schulte eine Anzahl älterer
und neuerer Bilder ausgestellt: die lieben, melan-
cholischen Landschaften, die mit jedem neuen
Jahre ernster und gehaltener wurden. Alle lauten
Farben hielt er seiner Palette fern, vielmehr er
brach ihre Vitalität durch vieles Grau oder Braun.
Aber wie bei guter Graphik, fängt die Monotonie
der gefärbten Fläche zu leben an, wenn man das
Auge länger auf ihr ruhen lägt, viel zarte Farben
glaubt man zu sehen, und es klingt wie eine
sanfte Musik in Moll. Er war ein „Künstler", wo
die meisten um ihn herum sich damit begnügten,
gute Maler zu sein. — Die Nachlaß-Ausstellung
Philipp Kleins am selben Ort zeugt von einem
nicht geringen malerischen Können, ja von Vir-
tuosität in der selbsterworbenen Technik. Wenn
man gelegentlich einem seiner Stilleben oder weib-
lichen Akte begegnete, so stutjte man und beeilte
sich, dem Maler eine schöne Zukunft zu prophe-
zeien. Er starb, 36 Jahre alt, hinweg und war
doch schon fertig. - Bei Gurlitt sah man dies-
mal kleine, aber charakteristische Kollektionen
der Schweizer Cuno Ami et und Giovanni
Giacometti, beide Persönlichkeiten von Rang,
in ihrer Formensprache aber ohne Hodler nicht
zu denken. Freilich gingen sie eigene Wege,
wie es ihr mehr lyrisches Temperament wollte.
Während aber Amiet, die Natureindrücke kühn
übersehend, in reinem Umriß und sparsamer, mehr
dekorativer Innenzeichnung die Fläche aufteilt,
und die reinen Farben des Prismas in großer
Intensität und Helligkeit hinseßt, gereicht es
Giacometti zu Gewinn, daß er sich von der neo-
impressionistischen Doktrin das Raumgefühl nicht
verkümmern läßt. Amiets Formphantasie lebt sich
rein in der Fläche aus, und er ist in der Farbe so
sehr Stilist, daß er nur das Gerüst des farbigen
Eindrucks gibt. Er verzichtet auf jede „Stofflich-
keit", d. h. auf jene Werte der Objekte, die wir mit
der Tastempfindung aufnehmen, so sehr, daß er
uns den nackten menschlichen Körper nicht anders
interpretiert, als etwa das Stück Tuch, das ihn
sonst umgibt, den Fleck Erde, auf dem er steht,
den Baum an seiner Seite. Solche Uniformität
der Erscheinung ermüdet. Es ist überraschend
zu sehen, welche Wirkungen Giacometti bei ganz
ähnlich beschränkter Skala der Farbenwerte da-
durch erreicht, daß er „modelliert", Form und

Raum in die Rechnung einbezieht. Man steht
vor einer Landschaft: hohe Berge im Hintergrund,
Matten und Sennhütten und vorn zwei Kühe, nicht
als Silhouette gesehen, sondern diagonal zur
Fläche ins Bild hineingestellt. Bei hochgeleg-
tem Horizont nicht allzuviel Raumtiefe, aber überall
Anregungen für die Raumempfindung. Gemalt
mit reinem Zinnoberrot, einem Grün, das bald
nach Gelb, bald nach Blau sich neigt, dunklem
Blau und hellem Gelb, Violett — und man geht
mit dem Eindruck von dem Bilde weg, Natur
gesehen zu haben, wo Amiet uns ein trockenes
Exerzitium der Werte Rot, Grün, Blau, Gelb vor-
geführt hätte. So auch beim Akt: nackte Knaben
und Mädchen in einer Waldlichtung. Ich sah
selten so kühne Farbenbegegnungen bei der
Wiedergabe lebendigen Fleisches: rotes bis blaues
Violett gegen Grüngelb, Gelb, Orange, und doch
ist die ganze Sinnlichkeit der Erscheinung im
Bild. - Der Radierer August Brömse aus
Prag, der zwei Zyklen zum Teil farbiger Radie-
rungen („Tod und Mädchen" und „Das ganze Sein
ist flammend Leid") ebenfalls bei Gurlitt aus-
stellte, ist ein Künstler von oft literarischer, ge-
legentlich aber auch wirklich bildmäßiger Phan-
tasie tschechischer Färbung. Ein bedeutender
Zeichner, sind seine Blätter auch radierungstech-
nisch von Qualität. — Am 16. April wurde die
XX. Ausstellung der Berliner Secession
eröffnet. Heute nur die Notiz, daß die aus der
jüngsten Krise hervorgegangene neue Gestaltung
der Jury zur Folge hatte, daß die extravaganten
und „nur" talentvollen Arbeiten pariserischer Fär-
bung, denen man früher nicht entgehen konnte, jetjt
auf eine ganz geringe Zahl beschränkt sind. Das
Niveau ist daher gestiegen, was natürlich nur den-
jenigen mit Genugtuung erfüllen kann, der von vorn-
herein auf die überragenden Leistungen in unserer
Zeit zu verzichten gelernt hat. Das schöne Bild
Manets: die Erschießung Kaiser Maximilians,
das die Mannheimer Galerie besißt, der Saal
mit den Arbeiten Trübners, einzelne Werke
Liebermanns, Corinths u. a. geben der
Ausstellung die sichere Basis. Und auch dies-
mal wieder begegnet man diesem oder jenem
Bild eines jungen Künstlers, der eine Hoffnung
ist. Zwischen diesen Polen liegt ehrliches Be-
mühen, manche gediegene Arbeit, der sichere
Schritt nach vorn. Und viele Fragen gibt die Aus-
stellung zu lösen auf über Weg und Ziel unserer
bildenden Kunst. ewald bender.

207
 
Annotationen