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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 27.1910-1911

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Breuer, Robert: Die Gartenstadt Hellerau
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https://doi.org/10.11588/diglit.7379#0462
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Professor Richard riemerschmid. Deutsche Werkstätten in Hellerau.

DIE GARTENSTADT HELLERAU.

von robert breuer.

Neuen Ideen ist zumeist nichts gefährlicher
als die Zeit der ersten Liebe. Da spannen
der Enthusiasmus und die Sensation gesunde
Erkenntnis und nüchternes Wollen bis zum
Äußersten der Phantastik und des Stürmens.
Vom Abend zum Morgen warten die Wunder-
gläubigen darauf, daß dies Allerneueste von
gestern schon morgen die Lösung jedes Rätsels
und jeder Last bringe. Es ist nur selbstver-
ständlich, daß dann über Nacht der Katzen-
jammer kommt, und leicht geschieht es, daß
im plötzlichen Erwachen mit dem Traum die
gesunde Idee zerschellt. Solcher Art, ein wenig
zum mindesten, ist das Schicksal der Garten-
stadtbewegung in Deutschland. Reformato-
rische Heißsporne haben zuviel von ihr erwar-
tet, haben ihre Verwirklichung für zu leicht er-
achtet, haben gehofft, durch sie eine Erneue-
rung der Menschheit zu gewinnen. Der Idee
von der Gartenstadt, die bürgerlich und nüch-
tern aus England kam, gesellten sich allerlei
Askesen, Naturheilkunde, Vegetarianismus und
eine Wut zum Baden. Solch Methodismus hat
der Propaganda nicht wenig geschadet; zumal
sich damit noch die Romantik der Heimatkunst
verband. So kam es, daß kluge Leute die Gar-
tenstadt als eine Utopie, als eine Rückentwick-
lung in dörfliche Verhältnisse und paradiesische
Unschuld verwerfen lernten. Und in der Tat,
wenn die Gartenstadt eine Reduzierung der
Kultur auf das Notwendigste, auf eine gezähmte
Animalität, bedeuten würde, so wäre sie vom
Übel; und wenn sie nichts anderes wäre als
ein matter Aufguß völkischer Sentimentalität,
so müßte man sie prinzipiell verwerfen. Daß
aber die Gartenstadt sich auch in Deutschland
von solchen Ankränkelungen fern zu halten

1911. VI. 4.

vermag, daß sie nicht eine Minderung, vielmehr
eine Steigerung der Menschlichkeit und der
Kultur bedeuten kann, dafür ist Hellerau, die
vielgenannte Siedelung bei Dresden, ein treff-
licher Beweis.

Noch eine andere Gefahr ist auf die Idee der
Gartenstadt, als sie nach Deutschland kam, ge-
fallen. Die Spekulation, bemächtigte sich, so
paradox das auch einen dünken mag, der Er-
kenntnis, durch die ihr der Garaus gemacht
werden sollte. In des Wortes schlimmstem
Sinne wollten die Spekulanten die Gartenstadt,
diesen Oberteufel der Bodenreform, durch
Beelzebub austreiben. Sie nannten keck die
schäbigsten Gründungen der gierigsten Banken:
Gartenstädte. Wenn es nach ihnen und nach
dem Namen ginge, wäre Deutschland mit Gar-
tenstädten übersät. Leider mangelt dem Publi-
kum oft genug jegliche Einsicht, um raffiniert
verbrämten Bodenwucher von einer gesunden
Verwirklichung sozialen Wollens zu unter-
scheiden. Auch da wiederum kann Hellerau
aufklärendes Beispiel sein; es ist durchaus
nach den Forderungen einer fortschrittlichen
Bodenpolitik gegründet und verwaltet. Das
Land gehört einer Gesellschaft, deren Kapital
nie mehr als vier Prozent bringen darf. Von
dieser Gesellschaft mietet der einzelne seine
Baustelle auf ewige Zeiten. Die Gesellschaft
baut ihm sein Haus und „er erwirbt das
Recht, darin zu wohnen, indem er für den
Grund und Boden einen je nach der Lage
zu ermittelnden Pachtzins entrichtet und für
den Bau des Hauses einen Teil des Bau-
geldes in Form eines Darlehns der Gesellschaft
überweist. Dieses Darlehn wird zu seinen
Gunsten auf dem Grundstück hypothekarisch

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