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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 29.1911-1912

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Servaes, Franz: Maler, Dichter, Kritiker
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https://doi.org/10.11588/diglit.7012#0030
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Maler, Dichter, Kritiker.

zuge aufbrechenden Soldatentrupps entsteht;
daher denn der Name „Nachtwache". Hier sind
also scheinbar lediglich malerische Erwägungen
im Flusse, um durch ein bestimmtes, vielleicht
etwas gekünsteltes Arrangement die Bildwir-
kung des Ganzen zu erhöhen. In der Tat ist
aber in diesem Bilde garnichts Gekünsteltes;
ganz einfach, weil es sich hier doch um mehr
handelt, als um malerisches Arrangement. Ganz
gewiß wird man auch hier ohne den Begriff
einer erfindenden poetischen Phantasietätigkeit
nicht auskommen können. Natürlich war die
malerische Phantasie zuletzt das Entscheidende
— gleich wie das malerische Bedürfnis wohl
auch den ersten Anstoß zu einer Umwandlung
des bloßen naturgegebenen Gesichtseindruckes
gegeben hat. Damit aber diese Umwandlung
vor sich gehe, mußte die poetische Vision als
Zwischenglied erstehen. Fehlt sie, so bleiben
wir ewig im Konstruierten, Geistreich-Gekün-
stelten. Erst durch ihre Mitwirkung entsteht
etwas Organisches, in sich Lebensvolles, von
einem mächtigen, natürlichen Impuls Bewegtes.
Woher überhaupt diese ewige Angst der mo-
dernen Maler vor der Einschaltung innerer
Seelenmomente in der Auffassung ihrer Kunst?
Diese Furchtsamkeit war allenfalls vor ein oder
zwei Menschenaltern begreiflich, als es sich
darum handelte, die Menschheit wieder künst-
lerisch sehen zu lehren, und der Malerei ihre
gottentstammten Sinnenrechte zurückzugeben.
Aber heutzutage, wo kein Einsichtiger mehr
das Optisch-Manuelle der Malerei als die große
Hauptsache in Zweifel zieht, warum heute
immer noch diese mißtrauische und oft schon
beinahe engherzige Angst vor allem Geistigen
in der Kunst? Glaubt man die Kunst durch
Leugnung des Geistigen etwa zu bereichern? Ich
fürchte, daß man sie aufs empfindlichste ver-
armen läßt. Denn die Kunst kann des Geisti-
gen niemals entraten — oder sie schrumpft zum
bloßen Handwerk zusammen.

Ich brauche wohl nicht besonders zu betonen,
daß diese letzten Bemerkungen keineswegs
wider Liebermanns Kunst gerichtet sind. Diese
ist vielmehr in ihrer Art voll geistiger und er-
finderischer Elemente, wenn auch in jener Ein-
schränkung, die der Künstler selbst gemacht
hat. Daß damit der Kunst genug getan ist,
wurde oben bereits gesagt und sei hier noch-
mals bestätigt. Nur dagegen muß ich mich
wenden, daß die individuelle Grenze zu einer
allgemeinen Grenze gemacht werde. Ich kann
überhaupt eine Ästhetik nicht anerkennen, die
sozusagen auf die einzelnen Kunstzweige zu-
geschnitten ist. Schon daß jede Kunst in ihrer
Ausdrucksfähigkeit von ihrem spezifischen Ma-

terial abhängt, ist eine allen Künsten gemein-
same Eigenschaft, so sehr hierdurch im einzel-
nen differenziert wird. Das Verbindende aller
Künste erst, also das Gemeinsame von Malerei,
Musik, Dichtung, Architektur, Tanz usw. offen-
bart die großen Kunstgesetze und deckt den
einheitlichen seelischen Untergrund auf, aus
dem sie alle entsprießen. Der Maler soll gewiß
nichts anderes wollen, als ein gutes Bild malen,
darf also seiner Überzeugung nach rabiater und
einseitiger Maler sein. Trotzdem wird in sei-
nem Bilde, wenn es wirklich zur hohen Kunst-
schöpfung emporgewachsen ist, stets auch etwas
vorhanden sein, was dieses Stück simpler Ma-
lerei mit Musik, Dichtung, Architektur, Tanz
usw. in einen allerfeinsten und unlöslichen
seelischen Rapport bringt. Derlei Bezügen
nachzuspüren, ist natürlicherweise ungemein
schwer. Es ist aber vielleicht die höchste Auf-
gabe einer besonderen, vielgescholtenen und
in ihrer Eigenart selten rein erkannten Kunst:
der Kritik. Die Kritik, diese Kunst aus Kunst,
besteht keineswegs bloß in der Fällung von
mehr oder weniger motivierten Kunsturteilen,
im Herunterreißen, Emporloben und dergleichen.
Dieses sind allerdings die Äußerungsformen der
Kritik, welche nach außen am meisten hervor-
treten, und die daher den übrigen Künstlern,
als den so oder so Betroffenen, am bekanntesten
sind. Aber das Wesen der Kritik ist hiermit
nicht im mindesten erschöpft. Gewiß sollte der
Kritiker überall auch ein Wissen vom Tech-
nischen sich erworben haben. Aber technische
Übung in den einzelnen Künsten und Disziplinen
von ihm fordern (wie Liebermann es zu tun
scheint), ist ungerecht. Der Kritiker muß und
kann wissen, ob ein Bild gut oder schlecht ge-
malt ist, auch wenn er nicht imstande ist, per-
sönlich selbst das allergeringfügigste Bild zu
malen. Was ihn zum Urteil befähigt, ist einer-
seits sein Wissen, das ihm ein weitgehendes
Vergleichungsmaterial darbietet, dann aber —
und hierauf lege ich den Hauptnachdruck —
sein persönliches Kunstgefühl, also seine eigene
Künstlerschaft. Hieraus erwächst dann dem
Kritiker seine weitreichende und umfassende
Aufgabe. Er muß imstande sein, sowohl bis
ins Feinste und Letzte zu analysieren, und eben-
so auch, die letzte und höchste Synthese zu
vollziehen und im einzelnen Kunstwerk das-
jenige Moment aufzuspüren und herauszuheben,
das es mit dem Gemeinsamen aller Kunst ver-
bindet. Der Kritiker als Eigenkünstler wird
also jedenfalls der letzte sein, der die Künste
bloß ressortmäßig betrachtet und eine Unüber-
brückbarkeit von der einen zur anderen als
ästhetischen Grundsatz gelten lassen kann. —

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