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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 29.1911-1912

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Kleine Kunst-Nachrichten
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https://doi.org/10.11588/diglit.7012#0120
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KLEINE KUNST-NACHRICHTEN.

BERLIN. Es ist charakteristisch, daß die „Große
Berliner" die besten Leistungen diesmal in der
Architekturabteilung aufzuweisen hat. So scheint
es also mit der Baukunst und, was wichtiger ist,
mit dem Verständnis und dem Gefühl der Bau-
herren voranzugehen. In der Tat, Leute, die aus
zehn Stilen eine Stillosigkeit addieren, sind im
Aussterben; und selbst die Art derer, die mit Rein-
lichkeit und Pathos eine Historie repetieren, ist
beinahe verdrängt. Die andern aber, die noch
vor zehn Jahren als Rebellen galten, die Neohisto-
riker um Wallot und Messel, die Individualisten
von Schmiß bis Kaufmann und Brurein, sie
gewinnen immer weitere Provinzen. Ein flüchtiger
Blick genügt, um zu zeigen, dag solche Entwicklung
notwendig und selbstverständlich ist. Zum Exempel:
Sch mirj hat für die Oper am Kurfürstendamm einen
Entwurf gemacht, dessen gestraffte Dramatik die
neuen Theater zu Freiburg und Kiel, die Seeling
baute, wie lose Watte auffliegen läßt. Brurein,
der in Wettbewerben so oft Glückliche, leider
immer noch nicht recht in die Praxis Gekommene,
entwarf ein Rathaus für die Stadt Herne. Es be-
kam das Temperament eines platonisch geliebten
Mittelalters. Kein eigentlicher Historizismus, eine
Komposition im musikalischen Sinne.

Mit Problemen, die während vieler Jahrzehnte
vergessen waren, Problemen des Städtebaus, der
Plaßanlegung, der Blockeinheit, der Gesimsgleich-
heit sehen wir den Rixdorfer Stadtbaumeister
Reinhold Kiehl wirtschaften und so einem Ort,
der in seiner proletarischen Armut noch vorgestern
gedankenloser Häßlichkeit verfallen schien, ein
heiteres Antlit5 bescheren.

Eine andere Kategorie der künstlerischen
Leistungen umfaßt das Werk von Wilhelm Kreis:
das Monumentale. Nirgend rings in dieser großen
Ausstellung, ausgenommen vor Menzel, gewinnt
das Kunstgefühl so reines Glück wie in dem einen
Saal, der einige architektonische Entwürfe des
Düsseldorfers enthält. robert Breuer.

dt

HANNOVER. Eine Stadt, die nach mancherlei
Irrtum energisch vorwärts will. Sie veran-
staltet Wettbewerbe, um ihre großen Bauaufgaben
an die Besten kommen zu lassen; sie will die
Niederlage des Rathauses dadurch wettmachen,
daß sie Hodler Wandbilder malen läßt. - Ein
neuer Fabrikbau verdient besondere Anerkennung.
Hans Siebrecht leistete ihn für die bekannte
CakesfirmaBahlsen. Es wurden zwei separate Häuser
neu aufgerichtet; deren eines, aus Backsteinen ge-
schichtet und mit farbigen Keramiken illustriert,

umschließt Backräume und Arbeitssäle, während
das oberste Stockwerk der Wohlfahrtspflege an
den Angestellten reserviert wurde. Das zweite
Gebäude, aus gelblichem Travertin errichtet, dient
den Verwaltungsgeschäften. Während der Back-
steinbau in strenger Sachlichkeit dem Material
folgend eine leichte gotische Tendenz erhielt, wurde
der Werkstein mehr horizontal gelagert. Doch ist
weder hier Renaissance noch drüben Gotik; viel-
mehr fand beidemal der Architekt der lebendigen
Aufgabe eine charakteristische Form. Der hoch-
geschwungene Giebel am Backsteinhaus ist ebenso
selbständig erfunden wie am Verwaltungsgebäude
die elegante Eingangshalle für das Publikum und
der festliche Verkaufsraum, zu dem sie führt. Bei
beiden Häusern höht plastischer Schmuck die Wir-
kung. Mit gutem Gefühl für das architektonisch
Schöne hat der Bildhauer Georg Herting die
Bronze, den Stein und die Keramik behandelt.

Von völlig anderer Art ist das Haus, das Van
de Velde für einen Arzt errechnet und versinn-
licht hat. Dies Haus überwältigt durch die Rein-
lichkeit seines Willens. Wobei hinzugefügt werden
muß, daß tatsächlich hinter der Materie dieses
Gebäudes der bauende Wille als eine Realität
empfunden wird. Dies Haus verschmäht jegliche
Geschmackshilfe und ist doch ein kristallenes Ge-
fäß des Geschmackes. Es verschmäht jegliche
Allegorie und Symbolik und ist doch erfüllt von
allegorischen Figuren und symbolischen Kräften,
die in den Steinen aufsteigen und die Flächen
innerlich zusammenbinden. Man fühlt einen abso-
luten Intellekt, der messerscharf das Haus aus der
Materie entklärte. Wahrhaft genial ist das Tem-
perament des Treppenhauses. Nur mit mathema-
tischen Begriffen kann man seine Architektur er-
fassen; aber auch mit physiologischen. Es hat
die Vitalität eines steilen Tieres, die Eleganz sich
reckender Rasse. r. br.

Ä

DARMSTADT. Der Großherzog hat den Archi-
tekten Edm. Georg Körner zu Essen R.
in die Künstler-Kolonie berufen. Körner hat seine
technische und künstlerische Ausbildung in Dresden
und Charlottenburg erhalten. Er ist der Erbauer
verschiedener charakteristischer und konstruktiv
interessanter Bauten, z. B. des großen Neubaues
der Kgl. Baugewerkschule Essen. Villenbauten hat
er in Dresden, Berlin und Essen ausgeführt und
sich dabei ausgiebig im Gebiet der Innenarchi-
tektur und Raumkunst betätigt. Zur Zeit baut er
die Synagoge in Essen, eine Aufgabe, die ihm in
öffentlicher Konkurrenz zugefallen ist. k. d.

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