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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 29.1911-1912

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Roessler, Arthur: Bildhauer Jan Stursa, Prag
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https://doi.org/10.11588/diglit.7012#0473
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Bildhauer yan Stursa.

ein „melancholisches Mädchen", ein liegendes
Weib — wie auf der „Die Gespielen" genannten
Gruppe — oder ein sich das Haar waschendes
oder kämmendes Weib sein, stets sehen wir die
wichtige Aufgabe der Plastik, die große Form
herauszuarbeiten, künstlerisch gelöst. Da Stursa
zugleich mit der Lösung spezifisch kunstplasti-
scher Aufgaben interessante Themen gegen-
ständlicher Art bewältigt, gesellen sich zu den
ästhetischen Reizzuständen, die der Beschauer
seiner Skulpturen empfindet, Gefühle mannig-
fachster Art und verstärken den Eindruck.

Was den Künstlern, namentlich den Malern,
als den in diesem Falle neidloseren, an Stursas
Werken am besten gefällt, ist merkwürdiger-
weise die ihm eignende Fähigkeit, die Glieder
wundersam zu beleben. Stursas steinerne und
bronzene Figuren sind aus Stein und Bronze
und doch auch wieder wie aus Fleisch und Blut,
und zwar ohne jemals panoptikumartig natura-
listisch anzumuten. Die kühl steinernen Flächen
sind gleichsam warm durchpulst und scheinen
lebendig, sind nicht bloß Steinflächen, sondern
lebende Gliederteile. Es ist Seele in seinen
Körpern. Wir sehen, spüren das und sind ent-
zückt davon.

Auffällig bedünkt es manche und einiger-
maßen kurios, daß Stursa zuweilen eine Plastik
sowohl in Stein wie in Erz ausführt, und sie
wähnen, daß der Künstler sich damit einer
Sünde gegen ein althergebrachtes ästhetisches
Dogma schuldig mache. Nun ist aber die Ver-
schiedenheit des Stiles, welche Stein und Erz
technisch zu bedingen scheinen, in Wirklichkeit
nicht so groß, als gewöhnlich geglaubt wird.
Wäre diese Verschiedenheit tatsächlich eine

wesentliche, würden die mit ausnehmend feinem
Takt für Plastik begabten Bildhauer des Alter-
tums wohl kaum die wechselweise Übertragung
einer Plastik aus dem Erz in den Stein und um-
gekehrt vorgenommen haben, wie so oft ge-
schah. Jedenfalls glückte die zweifache Aus-
führung in verschiedenem Materiale bei Stursas
stehender „Eva", die im Säulenhofe des öster-
reichischen Pavillons der römischen Kunstaus-
stellung im Bronzeguß zu sehen war, und bei
einigen anderen seiner Werke, von denen es
zweifache Ausführungen in Stein und Bronze gibt.

Ehrfürchtige Bewunderung reiner Naturfor-
men gelangt in dieses Plastikers Arbeiten zu
schönem, künstlerischem Ausdruck. Unver-
ständlich ist es daher, wie angesichts dieser
wahrhaft edlen Plastiken, die in der Silhouette
so wuchtig geschlossen und im Linienzug an-
mutig sind, von „Grimassen" gesprochen wer-
den konnte, wie das ein Kritiker tat. Vielleicht
entbehrte der geschmacksverlassene Kritikus
kunstgenossenschaftlicher Observanz vor Jan
Stursas herber Kunst die Saccharinsüße des
allerweltgefälligen Kitsches. Wenn überhaupt,
dann wäre nur eine kritisch bemängelnde An-
merkung zu Stursas Arbeiten zu machen, näm-
lich die, daß einige seiner Skulpturen im Formen-
sehen und -gestalten Beeinflussung durch mo-
derne französische Bildner bekunden. Der
fremde Einfluß ist jedoch nur an einigen we-
nigen früheren Arbeiten bemerkbar und wird
sich gänzlich verlieren, wenn der mit der Zeit
und zunehmenden Erstarkung der persönlichen
Kräfte sich vollziehende Einschmelzungsprozeß
alles Fremde zu Eigenem verwandelt haben
wird. Ein Vorgang, der bereits begonnen hat.

JAN STURSA PRAG. »IN DER FRÜHE«. KALKSTEIN.
 
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