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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 31.1912-1913

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Utitz, Emil: Kunst und Kunstwissenschaft
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https://doi.org/10.11588/diglit.7010#0450
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Kunst und Kunstwissenschaft.

ja eine bekannte Tatsache, wie viele junge
Künstler an Universitäten und anderen Hoch-
schulen ästhetische Vorlesungen hören, weil
sie an ihren eigenen Bildungsanstalten dazu
keine Gelegenheit finden. Und doch scheint
mir dieser Weg verkehrt: das pädagogische
Ziel einer Kunstakademie und einer Universität
ist völlig verschieden; und ästhetische Vor-
lesungen an der Universität haben einem ganz
anderen Zweck zu dienen und sind für ein
ganz anderes Publikum berechnet, als solche,
die sich an junge Künstler wenden würden, um
ihnen für ihre Ausbildung nützliche Kenntnisse
und wertvolle Anregungen zu bieten. Es ist
ja auch die „Anatomie", die für angehende
Mediziner vorgetragen wird, eine wesentlich
verschiedene von der für Kunstakademiker.
Wenn ich also diese Erörterungen zusammen-
fassen darf, so möchte ich noch einmal dem
lebhaften Wunsche Ausdruck verleihen, daß
man den Versuch wagen sollte mit der Ein-
führung von Ästhetik-Vorlesungen an
Kunstakademien! Schaden kann diese
Reform sicher nicht, und meiner Meinung nach
vermag sie sehr zu fördern und sehr zu nützen.
Solange die Ästhetik auf den erdfremden Bah-
nen der Spekulation sich bewegte, und solange
die empirische Ästhetik in ihren Anfängen
steckte, da wäre ein derartiger Vorschlag ver-
früht gewesen. Heute aber scheint uns die
Ästhetik so weit reif, um ihren Einzug in die
Kunstakademien halten zu können. Und sowie
der junge Künstler von ihr innere Förderung
erfahren kann, so wird sicherlich der Ästhe-
tiker nicht minder gefördert werden in dieser
lebendigen Wechselwirkung, in dem sich immer
innigeren Anpassen an die wahren Bedürfnisse
des Künstlers, in diesem spannenden Hinein-
hören in die gärende Werkstatt der Kunst.

Aber nicht in erster Linie für den schaffenden
Künstler ist die Ästhetik berechnet, sondern
vor allem für den Kunstfreund, der sich mit
der naiven Hingabe an das Kunstwerk nicht
begnügt, sondern nach einem Wissen strebt
über die Bedingungen seines Genusses, über
die Gesetzlichkeit der Kunst, über die Art des
künstlerischen Schaffens und über sichere Wer-
tungsgesichtspunkte. Von diesen Kenntnissen

erhofft er nicht nur eine Bereicherung und Ver-
vollkommnung seiner Bildung, sondern vor
allem lockt ihn wohl ein praktischer Zweck:
Vertiefung des Kunstgenusses, richtige Einstel-
lung gegenüber der Kunst, gerechte Würdigung.
Und sicherlich ist es ja das Ideal der Ästhetik,
diesen Anforderungen in völliger Weise gerecht
zu werden, wenn sie auch von diesem Endziele
heute noch gar weit entfernt ist; aber deswegen
darf doch kein Verzagen Platz greifen: manches
scheint gewonnen, das in die gewünschte Rich-
tung weist, das den hier geäußerten Bedürf-
nissen Rechnung trägt. Insbesondere demKunst-
kritiker dürfte schon heute die Ästhetik reiches
und wertvolles Material liefern können, das ihn
in den Stand setzt, mit schärferer Klarheit und
größerer Sicherheit den Dingen entgegenzutre-
ten. Und es erfüllt sich erst das Schicksal der
Ästhetik, wenn sie aufhört bloß Wissenschaft
zu sein und ins Leben eintritt: Hier werden
auch sicherlich sofort ihre Schwächen und Lük-
ken offenbar, aber indem sie sich dem Leben
anpaßt, können die Schwächen beseitigt, die
Lücken ausgefüllt werden. Wir wollen nicht
eine wissenschaftliche Kunst oder eine künst-
lerische Wissenschaft! Jede Vermengung ge-
reicht nur beiden zum Unheil. Aber wir wollen
das Zeitwollen und den Ausdruck, den es in
der Kunst findet, wissenschaftlich verstehen,
um so nicht nach persönlichem Belieben über
die Leistungen der Kultur zu urteilen, sondern
gestützt auf sichere, wohl begründete Ergeb-
nisse. Und nur so können wir mit Erfolg gegen
das phrasenhafte, wortreiche Gerede ankämpfen,
das gleich üppigem Unkraut alles Besinnen
über Kunstfragen durchsetzt. Kunsterziehung
darf nicht nur in die Breite und Weite führen,
sondern vor allem auch in die Tiefe, damit sie
nicht schließlich in Oberflächlichkeit und Tri-
vialität versandet. Wenn heute eine Kunst
aufstrebt, die nach strenger Gesetzlichkeit, nach
der herben Notwendigkeit eines großen Stils
mit allen Mitteln ringt, so müssen Wissenschaft
und Kritik hier Hand in Hand mitgehen: nicht
vorlaut sich vordrängend; durch verfrühten
Tadel oder voreilige Begeisterung störend, son-
dern mit ihren Mitteln im Dienste der gleichen
Aufgabe kämpfend.

DR. EMIL UTITZ.

E. J.MARGOLD-
DARMSTADT.

FINGERRING
GOLD M. PERLEN.

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