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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 35.1914-1915

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Behne, Adolf: Ungerechte Selbstvorwürfe
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https://doi.org/10.11588/diglit.7013#0081
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Ungerechte Selbstvonvürfe.

schwächliches Ästhetentum nachsagen kann,
spielt als Denkmalschützer und als Protektor
von Restaurierungen eine große Rolle. Der
ncomes urbis Romae" wird mit der Überwa-
chung der Denkmäler betraut, ein Baumeister
erhält den Auftrag, Erhaltung und Sicherung
der Denkmäler zu besorgen. Als Symmachus
das große Theater des Pompejus restaurierte,
unterstützte ihn der König mit einer Geldsumme
und ermunterte die Großen des Reiches, dem
Beispiele des Symmachus zu folgen. Allein für
die Konservierung des Cäsarenpalastes wurden
200 Pfund Goldes als jährliche Quote ausge-
setzt. Der König Theodahad zeigt sich in einem
an den Präfekten Honorius gerichteten Brief um
die Erhaltung der an der Via sacra gelegenen
Monumente besorgt.

Vielleicht erhebt jemand den Einwand, es
handle sich hier um eine Zeit, die selbst an
Kunst nichts Wesentliches hervorgebracht habe.
Wir können die Streitfrage, wie es damit steht,
hier unmöglich aufrollen und verweisen statt
dessen auf die italienische Renaissance, die ge-
wiß ein blühendes, schöpferisches Zeitalter ge-
wesen ist. Gewiß, den Werken der Gotik gegen-
über war die Renaissance von einer weitgehen-
den Rücksichtslosigkeit, aber dem Altertum
gegenüber herrschte eine Verehrung und Unter-
werfung, die oft genug an „Antiquarismus"
grenzte. Man veranstaltete Ausgrabungen und
man restaurierte. An wie vielen antiken Sta-
tuen wünschen wir nicht heute diese Restau-
rationen fort?

Daß jede wahrhaft schöpferische Zeit jedes
Material seinem Charakter entsprechend be-
handelt und so das Muster eines selbstverständ-
lichen künstlerischen Feingefühls gegeben habe,
ist einer der festesten Glaubenssätze unserer
Zeit geworden. Aber auch er entbehrt der
historischen Unterlage. Wenige Gebilde der
gesamten Kunstentwicklung genießen eine so
ungeteilte Bewunderung wie der dorische Tem-
pel. Die dorische Säule im besonderen hat
etwas schlechtweg Klassisches, sie ist fast die
Säule geworden. Aber dieses so eminent cha-
raktervolle Steingebilde ist nicht aus dem Stein,
sondern aus dem Holz entwickelt worden. Die
dorische Säule in Marmor oder Kalkstein, die
fast etwas Naturgewachsenes zu sein scheint,
>st in dieses Material nur übernommen worden,
erfunden in einem Stoff, der ganz anderen Be-
dingungen unterworfen ist. Und sie ist nicht
das einzige Beispiel, daß die Antike, deren un-
fehlbares künstlerisches Gewissen doch so hoch
lm Ansehen steht, auf den Unterschied des
Material es, selbst dort, wo er fundamental war,
sehr wenig Wert legte. Zeugen dafür sind die

unendlich vielen Marmorkopien nach Bronze-
originalen. Nicht nur, daß die Umsetzung in
den Marmor allerlei störendes Beiwerk, Baum-
stümpfe, Gewänder und Verbindungsstege not-
wendig mache, arbeitet doch die Bronze mit
völlig anderen künstlerischen Voraussetzungen
als der Stein. Die Oberflächenwirkung, das
Verhältnis zum Licht, die Schärfe des Umrisses
sind beide Male ganz verschieden. Trotzdem
rechne man, wieviele Marmorkopien oft auf
ein einziges Bronzewerk zurückgehen. Man
drehe sich wie man will: die Antike hat Stein
wie Holz, aber auch Stein wie Bronze behan-
delt. Stuckwände, als Marmor profiliert und
mit Adern bemalt, verstoßen deshalb nicht
weniger gegen die Forderung der Materialecht-
heit, weil sie von Griechen und Römern her-
gestellt worden sind, woran der sogenannte
„Inkrustationsstil" in Pompeji erinnern mag.

Wir müssen es heute moniert hören, wenn
ein Teppich oder ein Estrich mit realistisch
wiedergegebenen Blumen oder mit geometrisch
perspektivischen „Körpern" geschmückt ist.
Eine zum Betreten eingerichtete Fläche dürfe
nicht Blumen zeigen, die den bedauernden
Gedanken an ihre Zerstörung durch den Fuß
wachriefen, oder „Körper", über die man un-
willkürlich fürchten müßte zu fallen. Derartige
Ornamente gelten heute als nicht zweckent-
sprechend. Und gleichzeitig finden wir per-
sische Teppiche schön? In der antiken Kunst-
literatur spielt ein Mosaikfußboden eine Rolle,
der in realistischer Ausführung wie zufällig hin-
gestreute oder liegen gebliebene Reste eines
Mahles vortäuschte, und den man als den „un-
ausgekehrten Estrich" bezeichnete. Wir erin-
nern schließlich an die perspektivischen Kün-
steleien der pompejanischen Wandmalerei des
2. und 4. Stiles, die, keineswegs die Wand als
„Wand" behandelnd, eine Erweiterung des
Zimmers beabsichtigten, mit dem ausgesproche-
nen Zweck, die wirkliche Wand zu annullieren.

„Selbst die Athener des 5. Jahrhunderts"
sagt Botho Gräf, „denen man vor allen Völkern
der Welt Sicherheit im künstlerischen Takt zu-
schreiben möchte, haben Vasen gemalt, bei
denen jedes Gefühl für Vasendekoration ab-
handen gekommen war. Barocke Tier- und
Menschenbildungen in Gefäßform finden sich
schon sehr früh, nicht zu sprechen von fürchter-
lichen Surrogatkünsten späterer Zeit, die bis
zur Nachahmung getriebener Goldreliefs in ver-
goldetem Ton gesunken sind". Gotische Möbel,
die Formen der monumentalen Architektur
übernehmen, zeigt jedes Museum. Wenn wir
schließlich noch auf die als vorbildlich gelten-
den Florentinischen Renaissancepaläste hin-

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