Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 38.1916

DOI article:
Zimmermann, Ernst: Kunstverständnis-Möglichkeiten Einst und Jetzt
DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.8538#0044
Overview
loading ...
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
Kunstverständnis-Möglichkeiten einst und jetzt.

A' HERT WEISGERBER t

angesehen werden kann, vielmehr nur als ihr
volles Gegenteil und dementsprechend auch
wirken muß. —

Und dann noch eins! In früheren Zeiten ent-
wickelte sich die Kunst langsam, mit Ruhe und
mit Logik weiter. Ihr Fortschritt erfolgte nach
den natürlichen psychologischen Gesetzen der
Steigerung oder des Gegensatzes, nach erste-
^em, wenn eine gewisse Höhe, ein gewisser
Reichtum der Kunstäußerung noch nicht erfolgt
war, nach letzterem, wenn diese in der Tat
erreicht war und entweder keine Steigerung
oder kein weiteres Sicherfreuen an ihr mehr
m°glich schien. Hierbei trat aber auch die
gegensätzliche Kunst stets nur langsam und be-
scheiden, in Übergängen, auf. So war auch das
^"blikurn mit seinen an der bereits vorhandenen
unst geschulten Augen, das, rings umgeben von
^eser Kunst, dasselbe psychologische Bedürfnis
gar Fortschritt > nach Veränderung empfand,
£ r w.°ni im Stande, dieser langsamen, stetigen
^Wicklung zu folgen. Es konnte mit den Künst-
v, . cr,ritt halten, verstand die innere Not-
ajsn . Skeit der Neuerung, empfand sie ebenso
seh*»16 ^er^esserunÖ< wie jene, die sie ge-
en. Welch anderes Bild dagegen wieder

GEMÄLDE »LIEGENDE FRAU

in unserer Zeit! Im 19. Jahrhundert haben sich
die verschiedenen Stilarten, wie man weiß, ge-
jagt. Fast die gesamte bisherige europäische
Kunstentwicklung mit ihren verschiedenartig-
sten Spielarten ist an uns vorübergezogen, in
einer Zeit, in der sonst kaum eine einzelne Stil-
phase sich zu entwickeln pflegte. Die langsamen
Entwicklungsübergänge zwischen ihnen aber
fehlten gänzlich. Dazu kam noch Exotisches in
mannigfachster Form. Und endlich gar zum
Schluß der kühne Sprung ins Dunkle der Mo-
derne ! Ein absichtliches Verneinen alles bis-
her Dagewesenen, alles bisher Gewohnten, ein
Versuchen nach allen möglichen Richtungen hin,
ein Zerflattern in lauter Individualitäten, As-
kese neben Zügellosigkeit, bis endlich manches
wieder ins ruhigere, normale Fahrwasser gelangt
ist und Allgemeingültigeres wieder geschaffen
werden kann. Wie aber sollte da das kunst-
ungeübte Publikum mitkommen, wie sollten da
seine Augen reif werden für die jedesmaligen
Veränderungen der Kunst, die oft mehr der
Laune, der Mode, als der inneren Notwendig-
keit der Zeit entsprachen? Es war unmöglich,
daß es zu dieser Kunstentwicklung in ein inneres
Verhältnis kam, es mußte zurückbleiben, mußte
 
Annotationen