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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 39.1916-1917

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Wolzogen, Ernst von: Grossherzog Ernst Ludwig als Wecker und Förderer künstlerischer Bestrebungen: anlässlich des 25 Jährigen Regierungs-Jubiläums. 13. März 1917
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https://doi.org/10.11588/diglit.8535#0374
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sein, daß das Hessenland fast gleichzeitig einige der bedeutendsten Architekten hervor-
brachte: Karl Hof mann, den Wormser Dombaumeister, Wallot, den Erbauer des
Reichstagsgebäudes, den Berliner Stadtbaumeister Hoffmann und den genialen
Alfred Messel. Und die bedeutenden Baumeister, die um die Jahrhundertwende
als Lehrer an der Technischen Hochschule wirkten, wie Hofmann, Pilger, Wickop und
andere, fanden gerade unter den geborenen Hessen ihre talentvollsten Schüler. Diese
auffallende Tatsache muß in einem inneren Zusammenhang stehen mit einer ursprüng-
lichen Begabung des ganzen Volkes — auch die Maler Bracht, Bantzer, Peter Halm,
Heinz Heim, Ludwig von Hofmann entstammen dem Hessenland — mit dem ange-
borenen Formen- und Farbensinn, der in den Uberresten der alten Volkstrachten,
in den bäuerlichen Behausungen, in der liebevollen Pflege kleinkünstlerischer Haus-
industrie, wie z. B. der Elfenbeinschnitjerei und Töpferei im Odenwald, und schließ-
lich auch in der Tüchtigkeit des Handwerks sich kundgibt. Der junge Fürst erkannte
sehr wohl, daß aus diesen Eigenschaften nicht nur zu flüchtigem Ruhm, sondern
zum dauernden Besten seines Landes etwas Neues zu schaffen, etwas Bleibendes aufzu-
bauen wäre. Aber die Geduldprobe eines liebevollen Ausbaues alter Überlieferungen
sagte seinem Temperament nicht zu; ihn reizte das Wagnis. Und so brachte er einen
Gedanken zur Ausführung, den seit den Tagen Karl Augusts von Weimar und
Maximilians von Bayern kein deutscher Fürst mehr gehabt hatte. Er lud eine Anzahl
von jungen, noch unfertigen, aber durch die Kundgabe neuartiger Absichten ihm
aufgefallenen Künstlern ein, in seiner Residenz ihren Wohnsit5 zu nehmen und hier
völlig frei nach Herzenslust zu schaffen. Das war das Neue an der Gründung der
ersten Künstlerkolonie Ernst Ludwigs, daß er seinen Erwählten den jedem künstlerisch
Schaffenden so verhaßten „Zwang der Verhältnisse" aus dem Wege räumte. Die
nach Darmstadt verpflanzten, so verschiedenartigen Persönlichkeiten sollten in Freiheit
sich entwickeln; sie sollten unbeeinflußt von dem Bedürfnis des Marktes, von den
Wünschen ihrer Auftraggeber, ja selbst unbeeinflußt von dem Geschmack ihres fürst-
lichen Beschütjers den Eingebungen ihres Geistes folgen und als einzige Gegen-
leistung für die Gewährung so kostbarer Freiheit nur gehalten sein, ihre Entwürfe
hauptsächlich von Darmstädter Handwerkern und Industriellen ausführen zu lassen.

Die erste „Darmstädter Künstlerkolonie" bestand bekanntlich aus sieben Mitgliedern:
den Malern Hans Christiansen und Paul Bürck, den Bildhauern Rud. Bosselt
und Ludw. Habich, den Architekten Josef Olbrich und Patriz Huber und endlich
Peter Behrens, der ursprünglich Maler gewesen war, aber sich zusehends über
verschiedene Arten der angewandten Kunst hinüber zum Architekten entwickelte.
Diese vorläufige Zusammenstellung wurde als wunderlich buntscheckig wohl vielfach
bespöttelt, aber sie bildete doch in der einen Beziehung eine geistige Einheit,
daß jene Männer alle keine Akademiker und alle von dem Ehrgeiz beseelt waren,
etwas Neues zu schaffen aus den Bedürfnissen und den technischen Möglich-
keiten der Zeit heraus. Und das war wohl eben des jungen Großherzogs treibende
Idee: die Suggestion der eigenwilligen Persönlichkeit sollte an die Stelle
des langsamen sanften Zwanges der Schule treten. Seine Beobachtung des
Lehrbetriebes unserer Kunstakademien und Gewerbeschulen hatten ihn wohl zu der
Erkenntnis gebracht, daß jenes leidige Einmünden aller Bestrebungen zur Geschmacks-
 
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