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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 41.1917-1918

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Gerstenberg, Kurt: Der Künstler und diese Zeit
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https://doi.org/10.11588/diglit.8537#0128

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Der Künstler und diese Zeit.

Bewegung übergehen wollen, sondern alle zu
einer endgültigen Ruhestellung verdammt schei-
nen. Sie können auch nicht denen der gotischen
Figuren ähneln, die alle so leicht über dem
Boden stehen, als ob sie ihren eigentlichen Halt
in einer Schicht darüber hätten: als ob sie ganz
im Atem Gottes lebten. In gleicher Erde wuch-
sen nur die harten Gebilde der romanischen
Kunst mit ihren zackigen Gebärden, dem boh-
renden Deuten, dem drängenden Zusagen und
einem Verneinen und Widersprechen, das den
Kopf auf dem Leib herumreißt. Und diese ver-
wandte Gestaltungsart wird ausgeworfen von
einem ähnlichen ungeheuren Branden, das
unsere Zeit erfüllt. Wer Augen hat zu sehen,
der sehe! —

Jedes Zeitalter hat in Gestalt und Gebärde
immer wieder ausgesagt, was seinem Tun und
Streben die Richtung gab. Manche Zeiten
brachten es zart vor, wie man Gemmen in
Wachs drückt, manche schmiedeten es in Stahl,
daß die Form unter Hammerschlägen dröhnend
Gestalt gewann. Und manche Zeiten bringen

nichts zu Wege, weil sie alles anfassen und
nichts wählen können. Das war die jüngst ver-
gangene bildungssüchtige Zeit. Welches aber
ist die Gebärde unserer Zeit? Unendlich
schwillt das Reich der Erscheinungen. Einmal
könnte man meinen, es sei nichts als die ge-
ballte Faust, die Gebärde des heiligen Zorns.
Aber das war nur im Anfang dieses ungeheuren
Gegenwartswillens. Es wurde bald überflammt
von einer Glut der Opferbereitschaft im Felde
und der antwortenden großen heroischen Geste
der Entsagung im Lande. Bei allen diesen
Affekten monumentalisierte sich die Leiden-
schaft eines Volkes in der Gebärde einer ein-
zelnen Gestalt. Etwa jener Feldwebel, der in
einer Karpathenschlucht tagelang den russischen
Wellen widerstand, als längst alles ringsum von
ihnen überschwemmt war, bis er, ein neuer
Leonidas, umgangen war und kämpfend fiel.
Das kündete sein Vater an mit freudigem Stolz
und ohne Trauerrand. Oder jener französische
Offizier, der vorstürmend sich zwischen den
Gräben allein fand und das schamvolle Haupt
 
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