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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 41.1917-1918

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Gerstenberg, Kurt: Der Künstler und diese Zeit
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https://doi.org/10.11588/diglit.8537#0127

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DER KÜNSTLER UND DIESE ZEIT.

Trotz allem, trotz allem — wie kann es noch
Kleingläubige geben, die nicht sehen wol-
len, wie sich in uns und um uns eine gewaltige
Erneuerung vollzieht! Es zerbrach eine Welt,
und ein neues Leben ist daran, sich neue For-
men zu schaffen, die ihm Wohnstätten und
Tempel werden sollen. Wir sind nicht umsonst
im tiefsten aufgewühlt und umgestürzt worden.
Alles ist rissig geworden, die alte Schale ist zu
springen bereit, darunter aber rundet sich glatt
und blank die neue Frucht.

Neue Inhalte strömen und brausen auf uns
ein. Sollen wir glauben, daß die Künstler ihre
Gefäße verkehrt tragen und das Gold vorbei-
regnen und abtropfen lassen? Sie haben vor
anderen das stolze Vorrecht, das Bild der Welt
zu gestalten, daß den Zeitgenossen Glück und
Befriedigung ihres Sehnens gewähren, den
künftigen Geschlechtern aber die durchglühten
Leidenschaften unserer Zeit vergegenwärtigen
soll. Frühere Zeiten hätten darnach gesucht,
ob wir der Natur um einige Schritte näher ge-

kommen wären, unser Streben aber ist anders
gerichtet. Nicht mehr Beobachtung des äußeren
Geschehens, sondern der dahinter wirkenden
Kräfte. Je mehr uns das Leben schlug, desto
mehr haben wir nach innen gehorcht und sind
uns endlich des Chaotischen in unserer Brust
bewußt geworden. Die Erneuerung des Lebens
muß eine Verinnerlichung des Lebens sein, eine
Verinnerlichung auch der künstlerischen Er-
kenntnis. Es wird sich bald zeigen, ob die
Kunst gleich mit über den Berg gewandert ist
der neuen Sonne entgegen: dann trüge sie neue
Inhalte und faßte sie in neue Formen.

Hofmannsthal hat einmal — es mögen zehn
Jahre her sein — ausgesprochen, die Gebärde
unserer Zeit sei die buchhaltende Hand. Uns
aber ist das Buch aus der Hand geschlagen,
und der Arm spannte sich in eiserner Wehr,
und alles ward die Tat. Weltenfern sind die
Gebärden unserer Zeit von den gemessenen
Bewegungen der griechischen oder italienischen
Klassik, die nur Figuren duldete, die nicht in

• Novembtr 1917. 1
 
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