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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 41.1917-1918

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Christoffel, Ulrich: Kunstgeschichtliche Bildung und künstlerische Erziehung
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https://doi.org/10.11588/diglit.8537#0152

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M. VERA BRUNNER WIEN. »GLAS MIT BEMALUNG«

KUNSTGESCHICHTLICHE BILDUNG
UND KÜNSTLERISCHE ERZIEHUNG.

Im 19. Jahrhundert hat sich die europäische
Kultur langsam, sicher in eine europäische
Bildung umgewandelt: die historischen Geistes-
wissenschaften machten sich breit und fingen
den Strom stetig sich fortwälzender, sich ent-
wickelnder Kulturmassen in ihre Kanäle auf,
sie hier methodisch aufteilend und nach fein
ersonnenen Systemen verarbeitend. Die schöp-
ferischen, ursprünglichen, bildenden Talente,
denen das freie Element entzogen wurde, be-
kamen einen schweren Stand und mußten einen
besten Teil ihrer Kräfte im Kampfe gegen die
herrschende Bildung ihrer Zeit aufwenden. Die
Problematik im Werke so vieler Künstler des
19. Jahrhunderts von Runge bis Feuerbach und
Böcklin läßt sich zurückführen auf diese Ge-
bundenheit ihres Ingeniums in den Fesseln einer
konventionellen, anspruchsvollen , bewußten
Bildung, die ihnen vererbt oder anerzogen war.
Aber nicht nur in der Seele des Künstlers, auch
in der Seele des gebildeten Laien führte die

Überlastung der angeborenen, freien Intelligenz
mit einem Übermaß von historischem Wissen,
kritischem Bewußtsein und fertigem Urteil zu
innern Konflikten und Unsicherheiten, an deren
Wirkungen man kaum zu erinnern braucht. Der
Mensch des 20. Jahrhunderts hat diesen Zwie-
spalt zwischen Bildung und Originalität keines-
wegs zu überwinden vermocht, vielmehr leidet
er unter einer andauernden Krisenstimmung,
die sich in den Formen der Skepsis, der Pro-
blematik, der Sehnsucht nach dem befreienden
Schrei und der krampfhaften Suche nach dem
Neuen überall beobachten läßt. Denn in ihm
hat sich die Spannung erhöht und er hat sich
zum klaren Bewußtsein durchgerungen, daß
sein inneres Wollen, sein primäres Erlebnis
sich durchsetzen muß gegen das mächtige Erbe
einer tausendjährigen Kultur, das in seinem
Geiste aufgespeichert liegt. Er hält es für un-
nütz über den Verlust des Paradieses zu klagen,
doppelt unnütz in einem Jahrzehnt, wo er mit

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