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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 41.1917-1918

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Corinth, Lovis: Ein Brief des Künstlers an den Herausgeber
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https://doi.org/10.11588/diglit.8537#0045

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EIN BRIEF DES KÜNSTLERS AN DEN HERAUSGEBER.

Sehr geehrter Herr Hofrat Koch!

/Vs Sie mir die Mitteilung machten, daß Sie
beabsichtigten einen größeren Aufsatz in
.* "Deutschen Kunst und Dekoration" über
mich zu bringen, nahm ich Ihr Anerbieten freu-
an. Denn wenn ich auch öfters durch Bild
und Schrift in Ihrer von mir hochgeschätzten
K-Unstzeitschrift vertreten war, so ist es mir
doch sehr angenehm, durch eine umfangreichere
Würdigung meiner Arbeiten in dem Kreise Ihrer
Leser bekannt zu werden. Ich ging alsbald
nieine Reproduktionen durch, mit dem neu-
gierigen Gedanken, welche Bilder Sie wohl
wählen würden, wenn Sie mich in meinem
Atelier besuchen würden, wie Sie mir ver-
sprochenhatten. Meine Überraschung war groß,
als Sie die Frage stellten, ob ich Ihnen wohl
eine Seriemeiner Jugendbilder zeigen könnte
und dabei bemerkten, daß Jugendbilder ein
größeres Interesse erweckten, als die anerkann-
testen Bilder, welche auch bereits im Publikum
allgemein bekannt sein dürften. Vom Stand-
punkte des kühlen Fachmannes werden Sie
ohne Zweifel recht haben; aber — verehrter
Herr — Sie haben nicht gedacht, wie die Er-
innei ungen an jene Werke mich in tiefster Seele
bewegten:

„da ich noch selbst im Werden war,
da sich ein Quell gedrängter Lieder
ununterbrochen neu gebar" ....
Ja, so wird es bei allen Dichtern sein. Der
Himmel voller Geigen — und kein Mensch
denkt daran, diese verrückten Erzeugnisse
eines jungen Menschen käuflich zu erwerben,
noch die vertrauensvoll an die Seele gelegten
Kinder seiner Muse nur als Geschenk anzu-
nehmen; der realistische Mäzen sträubt sich
dagegen aus Leibeskräften. „Nicht umsonst!"
er energisch ab und schiebt ihm das

wehrt

Kunstwerk wieder zu. Doch nach dreißig Jahren
es für

bin

hat es für mich wenigstens das eine Gute: ich
.nun ^ottseidank ,n dem glücklichen Besitz
einiger weniger Jugendbilder; sie sind im Laufe
der Zeit auch rarer geworden. Zuerst wüstete
ich mit den Überbleibseln aus jener Zeit arg
herum. Die meisten übermalte ich, trotzdem
ich persönlich über sie die größten Hoffnungen
hegte, z.B. bei einem kleinen Bild „In Angst".
Dieses Bild hatte ich seiner Zeit als einziges
in Antwerpen gemalt. Es wurde dann zu Brüssel
in einer Ausstellung refüsiert. Ich denke heute
noch, wie ich zerschmettert war über jene Nach-

richt. — Wo sind nun jene moralischen Katzen-
jammer hin, welche einem das Aufhängen nahe-
brachten, wenn nicht glücklicherweise das ver-
ständige Schicksal den Strick vor den verzwei-
felten Augen versteckte. Aus Rache endlich,
weil ich das Bild immer nicht ausstehen konnte,
übermalte ich es mit einem Stilleben in Königs-
berg anno 1890 und dieses Stilleben zählte ein
Kunsthändler zu seinen besten Erwerbungen
von mir. Die Bilder vom „Garda See" 1893
— die ich unter den Augen meines Vaters
malte, der mich immer wieder mit den Worten
ermutigte: „es wird schon werden" — vom
„Kuhstall" meiner Verwandten, von denen ich
das höchste Lob erhielt, daß selbst meine Tante
in Verwunderung ausrief: „ganz genau uns
schwatt-witt Koh". — Ja, das waren noch
harmlose Bewunderungen über Kunst, aber es
hatte das voraus, daß der Enthusiasmus auf
vollkommener Wahrheit beruhte. So könnte
ich noch eine ganze Weile fortträumen über die
Arbeiten meiner Jugend, wenn ich nicht be-
fürchtete, ich werde zu sentimental, und das
möchte ich unter keinen Umständen werden.
Vor allen Dingen bitte ich, hochverehrter Herr
Hofrat, daß Sie mir auf keinen Fall etwa „zum
sechzigsten oder gar siebzigsten Geburtstag"
den Aufsatz widmen, denn ich bin am 21. Juli
1858 zu Tapiau in Ostpreußen geboren, es ist
also absolut kein Grund zu einer solch traurigen,
beziehungsweise glücklichen Kundgebung vor-
handen. Mit vorzüglichster Hochachtung

Ihr ergebenster Lovis Corinth.

Ü

BER KUNST. Der Künstler hat niemals ausge-

größte Künstler ist der Natur gegenüber vom ersten
Tage seines Studiums bis zum legten Atemzug ihr
ewig neusuchender Schüler.

In der Kunst gibt es keine Geseke, oder nur solche,
die man übertreten kann. Jedem ist es gestattet nach
eigener Fasson selig zu werden.

Die flüchtigste Skizze — vor der Wirklichkeit ent-
standen — repräsentiert einen größeren Kunstwert,
als die fleißigst gemalte und im Atelier zurecht ge-
stopfelte Komposition.

Auch die Genies sind menschlichem Irren unter-
worfen und wäre er der Größten einer. Kein Künstler
ist der Natur so fertig entsprungen, wie Pallas Athene
dem Haupte des Allvaters Zeus.

Arbeiten ist ihre Devise gewesen, Arbeiten und
immer wieder Arbeiten.......t LOVIS CORINTH.
 
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