CARLO
MENSE.
BILDNIS
»DAVRING-
HAUSEN«
CARLO MENSE-MÜNCHEN.
Innerhalb des stets lebendigen Gestaltwandels
der Formen, deren Aufgabe es ist, ein inneres
Erleben mit sinnlicher Kraft und Fülle auszu-
sprechen, entbehrt es eines tieferen Sinnes,
festzustellen, daß diese oder jene „Richtung"
der Kunst tot sei. Denn immer wieder offen-
bart es sich dem erkennenden Blick, daß die
aufeinanderfolgenden Generationen der Künst-
ler, wie schroff auch jung und alt sich befehden
mögen, von dem Kunstgute der Vergangenheit
zehren. Jede Form hat wie jede Art des Er-
lebens eine Geschichte, die die Keime, aus
denen sie langsam wuchs, erkennen läßt.
Wenn heute die verschiedengearteten Quellen
derjenigen Strömungen, die man unter dem
Sammelnamen des Expressionismus zusammen-
faßte, mehr und mehr sich zu einem „regulier-
ten ' Strome zu einen trachten, in stolzer Größe
als ein „Allgemeines" dahinfluten wollen, so
haben alle diese seltsamen und bisweilen längst
überholten Versuche das Gute gehabt, den
künstlerischen Willen, das Kunstwollen so un-
mittelbar in den Brennpunkt des seelischen Er-
lebens zu stellen, daß der Wille durch Form
und Farbe ein sonstwie Unsagbares und Uner-
klärbares auszudrücken, als zwingendstes Form-
und Seelenerlebnis der Zeit gelten kann.
Solche Betonung des rein künstlerischen Seins
hatte zur Folge, daß zwar ein jeder eigenwillig
sein wollte, daß aber nur die wenigstens einen
Weg fanden, für ihr persönliches Erleben die
persönliche Form zu finden. Wenn auf dem
Wege zu diesem Ziele mitunter eine über-
große Fülle von Erinnerungsbildern vergange-
ner Kunstformen zu Bausteinen der neuen
Form werden mußten, so ist die Tatsache aus
der Einstellung, nur Seelisches ausdrücken zu
wollen, heute verständlich. Daß auf diesem
Wege der Zersplitterung des großen strömen-
den Gefühles für eine allgemeingültige Formen-
59
X*V. Mal 1922 1
MENSE.
BILDNIS
»DAVRING-
HAUSEN«
CARLO MENSE-MÜNCHEN.
Innerhalb des stets lebendigen Gestaltwandels
der Formen, deren Aufgabe es ist, ein inneres
Erleben mit sinnlicher Kraft und Fülle auszu-
sprechen, entbehrt es eines tieferen Sinnes,
festzustellen, daß diese oder jene „Richtung"
der Kunst tot sei. Denn immer wieder offen-
bart es sich dem erkennenden Blick, daß die
aufeinanderfolgenden Generationen der Künst-
ler, wie schroff auch jung und alt sich befehden
mögen, von dem Kunstgute der Vergangenheit
zehren. Jede Form hat wie jede Art des Er-
lebens eine Geschichte, die die Keime, aus
denen sie langsam wuchs, erkennen läßt.
Wenn heute die verschiedengearteten Quellen
derjenigen Strömungen, die man unter dem
Sammelnamen des Expressionismus zusammen-
faßte, mehr und mehr sich zu einem „regulier-
ten ' Strome zu einen trachten, in stolzer Größe
als ein „Allgemeines" dahinfluten wollen, so
haben alle diese seltsamen und bisweilen längst
überholten Versuche das Gute gehabt, den
künstlerischen Willen, das Kunstwollen so un-
mittelbar in den Brennpunkt des seelischen Er-
lebens zu stellen, daß der Wille durch Form
und Farbe ein sonstwie Unsagbares und Uner-
klärbares auszudrücken, als zwingendstes Form-
und Seelenerlebnis der Zeit gelten kann.
Solche Betonung des rein künstlerischen Seins
hatte zur Folge, daß zwar ein jeder eigenwillig
sein wollte, daß aber nur die wenigstens einen
Weg fanden, für ihr persönliches Erleben die
persönliche Form zu finden. Wenn auf dem
Wege zu diesem Ziele mitunter eine über-
große Fülle von Erinnerungsbildern vergange-
ner Kunstformen zu Bausteinen der neuen
Form werden mußten, so ist die Tatsache aus
der Einstellung, nur Seelisches ausdrücken zu
wollen, heute verständlich. Daß auf diesem
Wege der Zersplitterung des großen strömen-
den Gefühles für eine allgemeingültige Formen-
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X*V. Mal 1922 1