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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 54.1924

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Ritter, H.: Zu den Gemälden von Albrecht Altdorfer
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https://doi.org/10.11588/diglit.8536#0018
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Zu den Gemälden von Albrecht AUdorf er.

Erst später lernte man sehen, wie viel es in
diesem Maler, neben der gemütvollen, trau-
lichen, eingeschlossenen Deutschheit, an welt-
lich-heiterer Freiheit gab, an breiter, kecker
Sinnenfreude und Weitläufigkeit. Daraus geht
die im Grunde frohe, von der Gegenwartfreude
der Renaissance durchwehte Stimmung hervor,
die viele seiner figürlichen Darstellungen er-
füllt. Ein mildes, volles Lebensgefühl prägt
seine „Anbetung der Könige", in der fast naza-
renischen „Geburt Mariä" schwingt der heiter-
festliche Engelreigen, ein himmlisches, klingeln-
des Ringelspiel, und selbst in der kühnen, ori-
ginellen Linienführung des Florian-Martyriums
mit seinen dichtgedrängten Menschenmassen
ist eine kecke, frische Augenblicklichkeit, aus
der ein artistisches Vergnügen an der über-
raschenden Lösung sehr deutlich zu uns spricht.
Die „Madonna mit Joseph und Johannes" ver-
rät offen die Schwierigkeiten, mit der seine
Arbeit am Figürlichen lange zu ringen hatte,
aber auch hier zeigt der festliche, ornamental
geschmückte Aufbau eine positive, kräftige,
unproblematische Lebensstimmung. Das Alles
ändert aber nichts daran, daß alles Echte,
Dauernde und Herzhafte, das er geschaffen hat,
mit der Landschaft irgendwie zusammenhängt.

Da gibt es von ihm eine Baumstudie, die das
Kopenhagener Kupferstich-Kabinett verwahrt
(abgebildetin dersoeben erschienenenAltdorfer
Monographie von Max J. Friedländer, Verlag
Bruno Cassirer- Berlin, der wir einige unserer
Abbildungen verdanken, und auf die hier ver-
wiesen sei). Es ist der wundervollste, gewalt-
tätigste, irdischste, prunkvollste Baum, den man
sich denken kann. Es ist ein wahres Gewitter
von vegetativem Leben, ein Elementarereignis
von Baum, eine erregte, feurige, majestätische
Pflanze voll des wunderbaren Eifers und Zorns
des vierten Schöpfungstags. Ein Baum wie eine
Wasserhose, unten in aufspritzendes Land und
Kraut, oben in den finsteren Himmel ver-
schraubt, ein Untier, ein wirbelndes Ungestüm
mit Ästen dick wie Wolken, Zweigen wie
ausfahrende Blitze, Laubwerk wie triefende
Wassermassen, vollgepackt mit Dunkel, über-
kräuselt von schaumigem, perlendem, tropfen-
dem Licht. Die Formen von Stamm und Geäst
entfalten sich wie Muskulatur eines Fabeltiers
der Vorwelt. Unter den tief herabhängenden
Zweigen wird die Sicht frei auf eine umwallte
Stadt und auf ein helles, zackiges Gebirg, der
Himmel oben ist voll von Dunkel, mit dem sich
das herrliche, drohende Finster und Gewühl
des Baumes feierlich vermählt. Alles ist wehr-
haft und gewaltig, heidnisch und ungebro-
chen, berstend voll von Urgewalt und un-

erhörter, geschöpflicher Pracht. Die Zeichnung
trägt alle Merkmale peinlicher Naturtreue an
sich, aber die Vorstellung, es könne je einen
solchen Baum gegeben haben, streitet gegen
alle Erfahrung, so ist dieses Gewächs ins Sagen-
hafte erhoben, so sprengt es allen Raum. Für
diesen Baum scheint die Welt zu eng, er ist
die Welt selber, er ist die Weltesche unserer
Vorfahren. Der Künstler dichtet niemals etwas
zu den Dingen hinzu. Alles ist schon in ihnen.
Aber dieses „Alles" zu sehen, das gelingt nur
solchen, in denen die Erde selber ein starkes,
geschöpfliches Leben führt, in denen viele Väter
und Überlieferungen dahin zusammenwirken,
daß sie urplötzlich in einem vereinzelten Baum
am Waldrand die Weltesche oder den Baum
aus dem Garten Eden wiedererkennen. Ob
man Altdorfer zu den Großen der Kunstge-
schichte rechnen kann, mag füglich im Zweifel
bleiben. Es gibt in seiner Kunst eine Menge
Kalligraphie, viele Befangenheit der Figur gegen-
über, viele Unbeholfenheiten und Gewaltsam-
keiten, manches Übernommene, Gefällige, Mo-
dische. Aber diesen Baum und die Landschaft
überhaupt hat er nicht als ein Einzelner, son-
dern mit den Augen unseres Volkes gesehen,
und so ward seine Kunst wenigstens für Augen-
blicke der Bedingtheit enthoben und in die
Reihe der großen Dinge gerückt.

Von dieser Beziehung zur Natur her ist zu
begreifen, daß er gelegentlich den Menschen
mit der Landschaft so unerhört innig zusammen-
sehen konnte, wie es sein „Liebespaar" von
1508 und andere Blätter bezeugen. Diese rei-
zende, kecke Gleichzeitigkeit von Mensch und
Natur ist in jenem Jahrhundert etwas sehr Ver-
einzeltes. Man kann sich kaum etwas Bestimm-
teres und Spitzeres an Impression denken, die
Sehweise eilt dem Jahrhundert weit voraus und
geht tief ins Moderne, Witzige und Illustrative,
fast Satirische hinein. Das paßt denkbar wenig
zu dem biederen, altertümlichen Altdorfer des
St. Georg, so wenig wie jenes Blatt mit der
Tötung Jaels, dessen scharf gesehene Verkür-
zungen sich dem Auge unverlierbar einprägen.
Aber eben auch diese Schauseite gehört zu
Altdorfers Bildnis, die Seite des Weltlichen,
Liebenswürdigen, Empfänglichen, die Seite der
glücklichen, schlanken Lebensregung, der hellen
Heiterkeit, der kecken Renaissance-Stimmung.
Durch Altdorfers Werk, wie durch das Werk
so vieler seiner Zeitgenossen, läuft scharf und
klar der Umbruch der Gotik zur Renaissance.
Er wurzelt in alter Festigkeit, die treu und
rührend aus seinen Anfängen spricht; aber er
geht von da mit Lust in die offene, heitere Welt
der modernen Menschheit über. . . . h. ritter.
 
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