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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 54.1924

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Unus, Walther: Unsere Sturm- und Drangjahre
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https://doi.org/10.11588/diglit.8536#0101
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UNSERE STURM- UND DRANGJAHRE.

Sturmjahre in den Künsten sind garnicht so
häufig, wie man eigentlich bei ihnen, die sich
von je die Freien nennen, erwarten könnte. Auf
langen Strecken vielmehr ein zähes, schweres
Ringen; ein Verhau wird durchschlagen, ein
Blick in ein fremdes Tal geöffnet; die Revolution
wird manchmal erst nachträglich konstatiert,
weil die vorrevolutionären Werte neben ihr ruhig
weiterlebten und gediehen. (Besonders lehr-
reich, weil uns noch nahestehend, die viel-
Mrähnigen Vererbungskomplexe von 1780 bis
1830.) Auch heute scheint es ähnlich zu sein.
Aber es scheint nur so. Der Radikalismus der
Revolution, die wir erleben, hat in der euro-
päischen Kunstgeschichte nur eine Parallele: die
Auflösung der antiken Kulturformen und die
Neumonumenfalisierung in Byzaoz und im ro-
manischen Stil. Was aber damals Jahrhunderte
dauerte, scheint unsere Zeit in drei Jahrzehnten
vollbringen zu wollen. Kann es gelingen?

Hans Rosenhagen, einalter Kämpefür die Frei-
heit der Kunst, bat es kürzlich mit einem harten
Nein beantwortet. Aber eh wir ihm antworten:
wie ist denn die Lage ? Wie war sie, als der Ein-
bruch der östlichen Auflösungstruppen erfolgte?
Eigentlich sehr ähnlich der römischen gegen
Ende des Imperiums. Die Religion hatte lange

versagt, ebenso die Philosophie, Die Antworten
der Naturwissenschaften waren nicht befrie-
digend, weil sie keine mathematische Lösung
boten; schließlich bot nur der Augenblick, die
Impression Reiz, Trost und Freude. Das war
wenig, dürftig, einseitig, nicht zu entwickeln.
Man begann die Natur zu hassen. Diese Wen-
dung zur Verzweiflung benulzten die mächtigen
und urtümlichen Geisteskräfte des Orients, nähr-
ten das Mißtrauen gegen die Erscheinung, bis sie
verachtet.nur noch als Symbol sich zeigen durfte.

Die Parallele ist vollkommen. Die Malerei
des Impressionismus schien nur noch zur Schil-
derung optischer Reize gut — eine Umkehr
mußte folgen. Daß sie so umstürzend wurde,
daß sie so erbittert, fremd, feindselig kam, daran
war die innere Schwüle der europäischen Kultur
schuld. Auch die Einbruchsmächte des Ostens,
russischerZ weifel und Verzweiflung, tartarischer
Haß, Dialektik und geistiger Hochmut und
ihrer aller erstes Echo in dem überfeierten
Paris, das dies barbarische Sammelsurium erst
für Europäer genießbar machte, — alle diese
folgten einem unbeirrbaren Instinkt.

Rosenhagen hat Recht, wenn er eben diese
Erscheinungen uneuropäisch und undeutsch
nennt. Aber wenn viel verloren ging, wenn
 
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