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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 54.1924

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Michel, Wilhelm: Wiederkehr des Ideals, [2]: auf dem Wege zu einer neuen Ästhetik?
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https://doi.org/10.11588/diglit.8536#0388
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WIEDERKEHR DES IDEALS.

AUF DEM WEGE ZU EINER NEUEN ÄSTHETIK? (SCHLUSS VON S. 368.)

Daß dieser Zustand, in dem nur die subjek-
tive und relativistische Wertung gilt, dem Sub-
jekt eine Zeit lang wohlzutun vermag, haben
wir erfahren. Aber dazu haben wir erfahren,
daß auf die Dauer doch alles geistige Bemühen
auf einen höchsten Gipfel hindrängt, auf ein
objektives Ideal, das alles einzelne Streben
ständig erfrischt und als höchster WeHmaßstab
bestehenbleibt, selbst dann, wennkeineLeistung
der Epoche daran hinreicht. Auf diese Weise
ist es gekommen, daß das Relativistische immer
mehr an Kredit verloren hat. Wir sind in der
Kunst und in der Kunstbetrachtung an einer
Wegwende angelangt, wo zum mindesten der
Blick auf das Wünschenswerte, auf das Unent-
behrliche und ewig Erfrischende des Ideals
wieder freigegeben ist. Die unerhörten subjek-
tivistischen Ausschreitungen des Expressionis-
mus haben die Gefahren einer relativistischen
Wertwelt nach allen Seiten hin klargelegt. Ver-
stärkt wurde dieser erschreckende Eindruck
durch analoge Erfahrungen mit dem philosophi-
schen undreligiösenRelativismus. Praktisch zeigt
sich zum mindesten die eine Erscheinung, daß
unsre Künstler wieder ztir Welt und Wirklichkeit
zu kommen suchen. Das ist noch keineswegs
das Ziel; und vielleicht werden wir zunächst in
eine Sorte „magischen Realismus" stürzen, der
sich von den voraufgegangenen „Bewegungen"
nur durch eine andre Gebärde unterscheidet.

Selbst wenn diese schädliche Wendung ver-
mieden würde, wäre mit dem eben sich an-
deutenden Realismus nur ein Stück Handwerks-
gerät zurückerobert. Immerhin aber ein not-
wendiges und von selbst weitertreibendes auf
dem Weg zum Höchstwert.

Wie ist dieser beschaffen? Wir können wohl
mit dem schon zitierten Hermann Hefele sagen;
„So lebendig auch der erste schöpferische Auf-
trieb , so leicht und glücklich der erste Einfall
sein mag, sie allein schaffen das vollendete Werk
noch nicht. Ein langer mühsamer Weg ernster
und gewichtiger Leistung spannt sich zwischen
Auftrieb und Vollendung. Ein volles Maß von
Zucht der inneren Haltung, von Festigkeit des
Blicks aufs Ziel, von demütigem Sichbeugen
vor der immanenten Ordnung des Geschehens,
von Fleiß und Einsicht, von Erfahrung und
Schulung liegt in jedem fertigen Werk beschlos-
sen. Und aus jeder vollendeten Form offenbart
sich neben der zeugenden Kraft der Liebe, ihr
brüderlich zugesellt und ihr gleich an Notwen-
digkeit und Wert, die Kraft getaner Arbeit, die
Treue der eigenen Leistung und die lernende
Hingabe an das vom Geist der geschichtlichen
Gesamtheit schon geleistete." Wir können
weiter mit Hefele sagen, daß alle Kunst etwas
Ideelles will, daß weder die Freude am Spiel
artistischen Könnens, noch die Süße und Bunt-
heit der sinnenhaften Eindrücke, noch das

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