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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 58.1926

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Michel, Wilhelm: Der Münchener Glaspalast 1926
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https://doi.org/10.11588/diglit.9181#0362
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Ländern (Rußland z. B.) hat die Künstlerge-
nossenschaft allein eingeladen und dabei auch
die modernen Tendenzen dieser Länder berück-
sichtigt. Woraus sich im Falle Rußlands z. B.
tolle Benachbarungen ergeben haben, indem
die kubistischen, neologischen Dekorationen
der Natalie Gontscharowa hart neben biederen
Zeichenlehrer-Pinseleien auftreten.

Schließlich hat sich noch eine dritte Art von
Unterabteilungen ergeben durch Einsprengung
einiger individueller Kollektionen. So hat die
„Künstlergenossenschaft" Egger-Lienz, Richard
Müller, Hans Looschen, C. Albrecht, G. Hend-
rick Breitner, Jan Veth kollektiv ausgestellt; die
„Neue Secession" bietet zwei Kollektionen Van
Gogh und Edward Münch; die alte Secession
führt Max Liebermann, Slevogt, Corinth, Sam-
berger, Jul. Seyler, Becker- Gundahl, Adolf
Hildebrand in reicher Dokumentierung vor.
Vielfach hat bei diesen Kollektionen der Zufall
gewaltet, aber man muß ihnen im Ganzen doch
sehr dankbar sein, weil sie in dem kaleidosko-
pischen Wirrwarr dieser Riesenveranstaltung
Inseln der Sammlung, des ruhigen, geordneten
Betrachtens bilden. Sie lassen fühlen, wie wenig
der lebendigen Kunsteinsicht durch eine un-
geordnete, höchstens nach gewissen Qualitäts-

maßstäben gesichtete Bilderflut gedient ist. Sie
zeigen, wie jedes einzelne Werk förmlich auf-
blüht, wenn ihm andre seinesgleichen Widerhall
und Atemluft geben.

In der alten Münchener Secession leben
vor allem, wie gesagt, Liebermann, Corinth,
Slevogt wieder auf. Gerät man — wie es mir
ging — erst in den kleinen Saal, in dem einige un-
wesentliche Abfälle vonLi e bermanns Schaffen
vereinigt sind, dann sagt man sich wohl: Wie
sonderbar trocken, klein, eng, schwunglos;
Pedanterie; Nüchternheit. Kommt man dann
aber in den großen Saal mit einigen Hauptwerken
Liebermanns; dahebtdas, was so dürr schien,
ein sonderliches Singen an. Gewiß: die Haltung
bleibt immer sehr gefaßt, die Gebärde kritisch
und besonnen, es fehlt alles im weiteren Sinn
„Blühende", es fehlt jeder schmachtende Nach-
klang, jedes perlende Echo. Und doch diese
Lyrik, diese Poesie der Feststellungen; karge,
stählerne Eleganz der Linie, zusammen mit
Farbenfunden, die eine neue, feste, wundervolle
Vision der Welt aufbauen. Es ist freilich nicht
Lyrik des Eichendorff'sehen Schlages; eher des
Schlages von Brockes, jenes hamburgischen
Ratsherrn, dem es gelang, aus fast wissenschaft-
lich genauen, sorgsamen Naturbeobachtungen
 
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