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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 59.1926-1927

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Urzidil, Johannes: Bedeutung der Symmetrie für das Kunstwerk
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https://doi.org/10.11588/diglit.9182#0318
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Bedeutung der Symmetrie für das Kunstwerk

ARISTIDE MAILLOL. »FIGURINE« TERRAKOTTA

Symmetrie für den Gehalt des Kunstwerkes zu ahnen.
Er ging aber an diese Probleme allzu mechanistisch
und nur von der materiellen Seite heran. Ihm gelang
in der Regel eine exakte Analyse, selten aber die

Synthese. Er sezierte und demonstrierte,
vermochte aber den Körper nicht wieder
zusammenzutun und lebendig zu machen.
Seinem theoretischen Geist fehlten die ma-
gischen Zauberformeln des Lebens, die das
Herz zum Schlagen bringen. Dadurch aber,
daß er den Charakter der Dreidimensio-
nalität erforschte und ihre Bewältigung lehr-
bar gestaltete, hat er den Weg zur Erkennt-
nis der Bedeutung des geistigen Gehalts
für das Kunstwerk wieder frei gemacht.

Der Expressionismus begann unter der
Parole der Forderung nach „Bewegung"
mit Zertrümmerung der geltenden äußeren
Achsen, mit einem pathologischen Kampf
gegen jede Spur äußerer Symmetrie. Die
durch den Kubismus verbreitete Erkennt-
nis, daß die Physiognomie und die Seele
des Kunstwerkes homogen sein müßten,
kristallisierte aus dem Chaos von Schlag-
worten einen immer allgemeiner werden-
den neuen Willen zum Konstruktiven, hier
im Sinne engsten, lückenlosen Kausalzu-
sammenhangs zwischen Herz und Organis-
mus, zwischen Idee und peripherem Aus-
druck des Kunstwerkes verstanden. So-
lange die Moderne bloß um eine neue
„Form" kämpfte, unter der man lediglich
einen Außenausdruck, also im Grunde Ma-
terialität verstand, mußte sie immer wieder
unterliegen. Erst der Kampf um den mo-
dernen Inhalt, um die wahre geistige Form
begann der Kunst ihr eigentliches Wesens-
gebiet wieder zu erobern und gab ihr die
volle Kraft zur Synthese zurück. Kunst
von heute kann nicht mit Inhalten von
gestern erfüllt sein und soll nicht mit den
Bedürfnissen der Menschen von gestern
rechnen. Wohl ist es denkbar, ja die Tat-
sachen bestätigen es, daß Kunstwerke von
gestern auch immer noch heutig, modern
sein können. Aber ein Kunstwerk von
heute kann in seinem Wesen nicht gestrig
sein, ohne eben zum Gegenstand lediglich
wissenschaftlich antiquarischen Interesses
zu werden. Für ein modernes Kunstwerk
gilt niemals die Beziehung zu gestern, son-
dern die zu heute oder morgen. Der Kampf
um den modernen Inhalt bedeutet also den
Kampf um die Berechtigung unseres heu-
tigen Lebens (der ewigen, aber im Sinne
der Gegenwart verstandenen Konflikte),
Gegenstände des künstlerischen Schaffens
zu sein. — Hier nun kehren wir im Bogen
zur Frage der Symmetrie wieder zurück.
Denn natürlich bedeutet ja das Ausgehen
von einem modernen lebendigen Inhalt
 
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