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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 61.1927-1928

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Tietze, Hans: Wiener Kunstschau 1927
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https://doi.org/10.11588/diglit.9249#0081
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Wiener Kunstschau 1927

KUNSTSCHAU—WIEN 1927

KAUM VON CHRISTA EHRLICH

handensein gewissermaßen unbeschränkter Mit-
tel gebunden, sonst entstand ein Ersatzstil, in
dem die hochgespannte künstlerische Absicht
zur eigenen Karikatur erniedrigt werden konnte.
Diese Seite des Kunstschaukredos ist durch die
allgemeine und die wirtschaftliche Entwicklungin
zunehmendem Maße in Mißkredit geraten; das
Unzeitgemäße ist aus einem Ruhmestitel ein
Makel geworden. Die soziale und wirtschaft-
liche Umschichtung hat dieser Art von Kunst
den Boden entzogen; erst aus neuerlicher
Durchtränkung mit allgemeinen geistigen Be-
dürfnissen wird der künstlerischen Arbeit
wieder die Kraft zu freiem Flug erwachsen.

Auch die Kunstschau ist sich der Notwen-
digkeit einer Umstellung durchaus bewußt; aber
sie kann sich nicht mit einem Schlage wandeln,
nicht mit einem Mal abtun, was doch ihr Lebens-
nerv gewesen war. Wehmütig wirft ihr Katalog
einen Scheideblick auf die schönere Vergangen-
heit, aus der sich manches Element in die Ar-
beit von heute herübergerettet hat; noch tanzt
mancher Schnörkel zu leichtfertig, noch jauchzt
manche Farbe zu selbstverliebt, noch geht die

Arbeit allzugern ins Spiel über...........

— Aber unter dieser schillernden Oberfläche,

die das Gestrige spiegelt, ist ein neuer Geist
gewachsen, der die Führung beansprucht; auch
seine Wurzeln reichen weit zurück in die An-
fänge der Kunstschau — der Sinn fürs Knappe,
Nüchterne, Werkgerechte hat in ihr immer eine
Rolle gespielt —, aber erst jetzt hat ihm die
Not der Zeit das Übergewicht verschafft. Zum
erstenmal ist die Kunstschau auf das praktische
Bedürfnis gestellt, versucht nicht einem kleinen
Kreis raffinierter Kenner und Liebhaber zu ge-
fallen, sondern der Allgemeinheit zu nützen.
Kleinwohnungen, Arbeitsräume, einfacher Haus-
rat — das sind die Themen, die sie sich ge-
stellt hat; Hoffmann, Strnad, Frank,
Haerdtl und ein ganzer Stab jüngerer Kräfte
widmen ihre Begabung diesen Aufgaben.

In diesem neuen Programm liegt — wie ich
es sehe — kein Widerspruch zu dem früheren,
sondern die Anpassung an einen normalen Vor-
gang der kulturellen Entwicklung; eine empor-
steigende Schicht richtet ihren künstlerischen
Bedarf nach den Idealen, die sie vorfindet, in
unserer demokratisch gewordenen Gesellschaft
vollzieht sich diese Angleichung mit wachsen-
der Schnelligkeit und Intensität. Wie wir — am
augenfälligsten — nur eine Tracht haben, die

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