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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 61.1927-1928

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Tietze, Hans: Wiener Kunstschau 1927
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https://doi.org/10.11588/diglit.9249#0086
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Wiener Kunstschau

ARCHITEKT FRANZ SINGER

KUNSTSCHAU—WIEN 1927

im Wesentlichen für Hoch und Niedrig, Reich
und Arm die gleiche ist, so sind wir im Begriffe,
auch unsere Wohn- und Lebenskultur zu nivel-
lieren ; wir werden sehr bald in der Hauptsache
auch die gleichen Wohnungen, den gleichen
Hausrat haben. Diese Ausgleichung muß nicht
auf der Grundlage einer geistlosen Massenpro-
duktion erfolgen; sie muß auch nicht zu einer
Nachahmung vornehmer Vorbilder in minder-
wertigem Material führen, wie dies den Auf-
stieg des Bürgertums im XIX Jahrhundert be-
zeichnet hat. Die Ausstellung der Kunstschau
sucht andere Wege. Zwar wird in einzelnen
Fällen versucht, die edle Form in wohlfeileren
Stoff zu übertragen, mehr wird aber getrachtet
durch Rationalisierung der Arbeit zum Ziele zu
kommen. Durch Einschachtelung und Kombinie-
rung der Möbel sucht Franz Singer, stark von
Bauhausideen beeinflußt, durch Unterteilung
eines Raums zu verschiedenen Benutzungs-
zwecken Walter Sobotka, durch völlige Be-
schränkung auf das unbedingt Notwendige
Franz Schuster, dem zur Verfügung stehen-
den Raum ein Maximum an Bequemlichkeit
und Wohnlichkeit abzugewinnen. Daß alle diese
— und ähnliche — Versuche auf Grund der

vielfachen Experimente vergangener Jahre un-
ternommen werden, ist ihr Vorzug und ihre
Neuheit; als eleganter Herabkömmling sucht die
Kunstschau das am Überschuß von gestern Ge-
lernte auf die Notdurft anzuwenden.

Damit löst sie sich aus ihrer bisher gesuchten
Isolierung und schüttet ihre künstlerische Be-
sonderheit in den großen Prozeß, aus dem der
Stilwille unserer Zeit hervorgeht. Wer die Ent-
wicklung in der Architektur fast aller Länder
in diesen letzten Jahren vergleichend ins Auge
faßt, wird gewahr, daß die neue Form keine
Utopie mehr ist; gerade zur Zeit, da wir am
stilschaffenden Beruf der Zeit verzweifeln woll-
ten, ist ihr Stil geprägt. Klar, durchsichtig und
so selbstverständlich, daß nichts über ihn zu
sagen ist; auch die Architektur in dieser Aus-
stellung trägt die unauffällige Uniform leben-
diger Gegenwart. Sie zeigt ihre Berechtigung
darin, daß sie kaum einer Besprechung bedarf.

Die Kunstschau 1927 steht an einer Scheide.
Ihre Zwiespältigkeit bezeugt ihren Verjüngungs-
willen; ihr altes und ihr neues Streben sind
trotz scheinbaren Gegensatzes eines: die An-
dacht zur künstlerischen Leistung soll nun das
Wirken ins Breite adeln....... hans tietzk.
 
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