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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 61.1927-1928

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Schmitz, Oscar A. H.: Das Hässliche in der Kunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.9249#0128
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Das Häßliche in der Kunst

GEORGES BBAQUE. »STILLEBEN MIT FRUCHTEN UND MUSIK«

wird, und deren Fadheit noch widerwärtiger
ist, als alle Bitternis der Wirklichkeit. Diese
Kunst ist darum lügnerisch und gemein, weil
sie die Tragik des Lebens wegschwindeln will,
die darin liegt, daß das Gute eben nicht belohnt
wird, sondern an der Unvollkommenheit der
Welt persönlich immer leiden muß, während es
in der Idee vielleicht siegt.

Wie gesagt, mit jener Kitschäslhetik hat der
Naturalismus auch deren erhabene Ahnin, die
klassische Ästhetik, verworfen. Die Kunst un-
serer Tage nun, die schon vor dem Krieg als
„Expressionismus" begann und sich heute in
unübersehbaren Einzelströmungen zerstreut,

überbietet zwar den Naturalismus
oft noch in der Bevorzugung des
Häßlichen, aber sie ist doch etwas
wesentlich anderes. Keineswegs will
sie einfach die Welt darstellen, wie
sie ist, nämlich als äußere Gegeben-
heit, auch nicht in der impressioni-
stischen Abart, „regardee ä travers
d'un temperament", sondern sie will
etwas tieferes ausdrücken. Indem
nun der heutige Künstler wieder et-
was dem Leben Jenseitiges darstellt,
zeigt er sich doch der Klassik ver-
wandter, als dem Naturalismus, aber,
was er ausdrücken will, ist etwas
ganz anderes, gewiß nicht das Wahre,
Schöne und Gute. Dies erscheint
ihm nicht, wie den Pia tonikern, als
dem Leben innewohnende, nur un-
vollkommen ausgedrückte Idee, son-
dern als willkürliche „bürgerliche
Konstruktion" ähnlich der von Prie-
stern angeblich zu politischen Zwek-
ken erdachten Religion. — Was aber
drückt diese moderne Häßlichkeit*)
aus? Jedenfalls, so weit sie echt ist,
wie z. B. bei Kokoschka, dem weit-
aus Bedeutendsten dieser Richtung,
ein inneres Erleben, dem die in der
Natur vorgefundenen Bildelemente
nur Ausdrucksmittel sind. Tatsäch-
lich ist das hier zum Ausdruck Kom-
mende häßlich in einem bisher außer
der primitiven Wildenkunst nicht ge-
sehenen Maß, dennoch ist aber auch
eine Kulturverbundenheit nicht zu
leugnen. Freilich, die klassische
Überlieferung wird, wie wir schon
sahen, abgelehnt, aber man sieht
in der Form unverkennbare Anleh-
nungen an Gotisches, ja Romani-
sches, und auch die oft blutrünstige
Häßlichkeit hat eine Beziehung dort-
hin. Kein Zufall, daß gleichzeitig Mathias Grüne-
wald eine Auferstehung erlebte.

Trotzdem ist der Unterschied zwischen der
modernen Häßlichkeit in der Kunst und der
gotischen etwa so groß, wie der zwischen bürger-
licher Kitschästhetik und Klassik, nur daß die
Verirrung hier nicht in flachem, sondern in über-
spitztem Denken, nicht in läppischem, sondern
zersetzendem Fühlen liegt. Paradox gesprochen:
diese moderne Häßlichkeit ist ein saftiger Teufels-

*) Ausdrücklich sei betont, daß hier nicht von der
modernen Kunst überhaupt, sondern nur von einem
gewissen Häßlichkeilsfanatismus innerhalb ihres
Rahmens die Rede ist..................
 
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