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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 61.1927-1928

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Michel, Wilhelm: Zur Frage der Stilisierung
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https://doi.org/10.11588/diglit.9249#0256
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Zur Frage der »Stilisierung'«

Netzen unserer Subjektivität. Wir können aus
unserer Haut nicht heraus, und insofern steht,
rein formal genommen, ein Subjekt gleichbe-
rechtigt neben dem andern. Aber jenseits die-
ser formalen Gleichberechtigung kommt es doch
sehr darauf an, wie weit wir überhaupt dem
Lebendigen geöffnet sind, wie viele Beziehungen
wir zur Welt besitzen, wie tief unsere Stellung
zur Welt im Geistigen und im Religiösen ver-
ankert ist. Wenn ein Goethe die Welt der
Pflanzen oder der Kristalle anschaut, so scheinen
die von diesem Blick betroffenen Geschöpfe
vor Freude aufzujauchzen, so viel Leben und
Bedeutung wird in ihnen wach, so zahlreiche
Beziehungen leuchten auf, so tief finden sie sich
sowohl in ihrer Einzigkeit wie auch in ihren
Zusammenhängen begriffen. Aber vor dem
Blick eines kleinen Geistes bleiben sie stumm
liegen und scheinen ihm nur widerwillig etwas
von ihrem Leben zu zeigen. Schildert Van Eyck
einen Menschen, so findet er an ihm eine fast
bestürzende Summe von Beachtenswertem.
Nicht nur die große Gesamtform kehrt sich
mächtig heraus: er hat auch Beziehung zu allem
Detail, er arbeitet unermüdlich, nie in seiner
Frische erlahmend, an den kleinsten Zügen, und
alles ist ihm wichtig. Aber auch dieses Verfahren
ist nie Rezept. Das heißt: es kann nie aufgrund
einer Willkür und Absicht nachgeahmt werden.

Und hier liegt ein Irrtum, der von manchen
Archa'isten und vielleicht auch von gewissen
Anhängern der Neuen Sachlichkeit begangen
worden ist. Wenn nämlich Van Eyck diese
ausgedehnte und immer gleich frische Beziehung
zu allen möglichen Bestandteilen der Naturwirk-
lichkeit hat, so ist dies ein Ergebnis tiefster und
zwar religiös begründeter Weltverbundenheit.
Der Expressionist, der nur an sein Ich glaubt
und sich im übrigen einer entwürdigten Natur
gegenüber findet, kann hochfahrend über den
Reichtum der Gestalten hinweggehen: er muß
es sogar, weil er ja keine echte Beziehung zum
So-Sein der Dinge hat, weil er ja nur auf der
Willkür seines autonomen Ichs zu stehen glaubt.
Ist aber die Welt vom Schöpfer aus dem Nichts
ins Sein gerufen, hat er aus Weisheit und Absicht
diese Gestalt gebildet, so wird alles an ihr
wichtig. Da ist Detailschilderung ein Akt der
Anbetung, nicht ein Kramen in tauben Kleinig-
keiten. Und deshalb kann nie die Seh-Weise einer
religiös fundierten Zeit bloß als „Seh"-Weise
übernommen werden. Das Detail hat keinen
„Sinn" in einer Zeit, die keine geistige Begrün-
dung für dieses Detail kennt. Ja, nicht einmal
die Gestalt kann in einer solchen Zeit ihren
„Sinn" behalten, und insofern könnte man wohl
sagen, daß die abstrakte Malerei die eigent-
liche Malerei der Zeit ist, in der wir leben, w. m.

PROFESSOR MAX LAEUGER. >ELEFANTEN« FARBIGE KERAMIK
MAJOLIKA-MANUFAKTUR—KARLSRUHE
 
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