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Bayer, August von [Ill.]; Fickler, Carl Borromäus Alois [Ill.]
Denkmale der Kunst & Geschichte des Heimathlandes: Die Kirchen auf Reichenau: Pläne, Aufrisse, Ansicht und Karte — [Karlsruhe], 1856-1857

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https://doi.org/10.11588/diglit.12550#0003
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Veröffentlichung des badischen Alterlliinns-Vereins für 1856 und 1857.

Dir kirrpr|ra laute aitf IrajiPMii.

Von

C. B. A. Fickler.

Hine Wegstunde von der Stadt Constanz Hegt im Untersee, mit dessen
östlichem Ufer jezt durch einen Damm zusammenhängend, vom südlichen und
nördlichen und von der Landzunge der s. g. Bischofshöri durch eine Wasser-
strasse von der Breite einer Achtelsmeile getrennt, die Insel REICHENAU,
deren merkwürdige kirchliche Bauten den Gegenstand dieses Heftes bilden.

Wir glauben daher den Besizern desselben eine geschichtliche Einleitung
zu diesen Abbildungen schuldig zu sein.

Die l'/4 Stunde lange, '/2 Stunde breite Insel hat Grösse und Gestalt
seit der ersten Kunde von ihrem Bestehen nicht verändert; die Befestigung am
östlichen Zugange, der Burgstall „Schöpften", der steile Abfall des Ufers bei
Niederzell zu grosser Seetiefe sind dessen Zeugen.

Die erste Kunde vom Bestehen der Insel aber reichte, wenn wir den Ver-
muthungen einzelner Forscher beistimmen könnten, bis zum Jahr 15 v. Chr.
hinauf, in welchem Tiberius während einer Seesehlacht mit den Rhätern und Vin-
delikern eine Insel im Bodensee zum Hauptangriffspunkt nahm. WTenn wir aber
auch mit der Mehrzahl der Ausleger in jener Insel Lindau im Bregenzer See
zu erblicken gedrungen sind, so fehlt es uns doch nicht, selbst iür die ältesten
Zeiten geschichtlicher Kenntniss an Anhaltspunkten für die Kunde dieser
Gegend').

An den von dem tiefen Strombette des Rheines durchfurchten, mit Stau-
wasser bedeckten Niederungen, welche Strabo bezeichnend „Sümpfe des Rheines"
nennt, wohnte schon lange vor dieser Zeit, noch bevor die Bearbeitung der
Metalle ein Zeugniss höherer Cultur der Menschen ablegte, ein Jäger- und Fischer-
Volk, welches auf Pfählen im seichten Wasser sich und seine Geräthe und Waffen
von Steinen und Knochen, seine Vorräthe und Tauschmittel barg2). Durch
welche Wanderung und in welcher Zeit dasselbe von den Ursizen der Be-
wohner des östlichen Continentes der alten Welt nach Europa gekommen,
welchem grossen Stamme es angehört, wer mag's entscheiden?

Dass aber seine Nachfolger aus dem Zeitalter der Bearbeitung des
Kupfers und dem späteren Broncealter3) , einen der von den Alpen und dem
Jura bis zum Schwarzwald und der Rheinebeno verbreiteten Stämme der kel-
tischen Helvetier gebildet haben, ist theils aus Cäsar's Schilderung, theils aus
dem Namen „Helvetische Einöde" ersichtlich, welchen die theilweise von ihm
bewohnten Gegenden noch später führten.

Bald nach dem von Cäsar vereitelten Auszuge der Helvetier nach Westen
änderten sich die alten Verhältnisse dahin, dass wohl ein grosser Theil des
Landes der Bebauer entbehrte, an wohlgelcgencn Pläzen hingegen der römische
Veteran, gemengt mit den zurückgekehrten keltischen Stämmen die alten
Wohnsize wieder bevölkerte, befestigte, durch Strassen mit einander verband.

Hart an den Ufern des Untersees führte von Pfyn, der Grenze rhätischen
und gallischen Landes, eine solche Strasse über den Rhein bei Stein am Rhein,
wahrscheinlich dem alten Ganodurum. Römergräber bei Eschenz, bei Wagenhau-
sen, ja die alten Spuren des ehemaligen Brückenbaues geben dessen ein Zeugniss.

Beim Ausflusse des Rheines aus dem Obersee wurde spät erst — durch
Julian, oder Valcntinian — zum Schuze der vom Zusammensturze bedrohten
Römermacht gegen den Andrang der Alemannen der befestigte Ort Constanlia
erbaut4).

Zwischen beiden Punkten aber und unfern von dem unter Diocletians Re-
gierung wieder erbauten Vitodurum — dem heutigen Oberwintcrthur — lag auf
der Halbinsel, welche den Rheinausfluss bei Stein und den Zellersee beherrscht,
eine römische Warte, die heutige Schrotzburg, der Fundort römischer Münzen.

Dass aber die von flachen Ufern umrandete nur wenig über den Spiegel
des Sees sich erhebende Insel, welche jezt den Namen Reichenau trägt, damals
von römisch-keltischer Bevölkerung bewohnt gewesen sei, oder auch nur zu
einem Wachposten gedient habe, muss billig bezweifelt werden. Zwar wurde
der ausländisch klingende Name der Burgruine »Schopfein11 am südlich gelege-
nen Theilc der Insel für diese Ansicht in Anspruch genommen. Aber abgesehen
davon, dass nicht einmal die alte Schreibung desselben sicher ist, indem z. B-

im XV. Jahrhundert Scopula, Schoppula, Soffla, im XVIH. Schopfa und
Schoppata5) geschrieben wird, so scheint uns der Name eher mit Schopf (caput
insulae) zusammen zu hängen. Auch deutet weder Mörtel noch Steinwerk
der Ruine auf römisches Bauwerk, sondern scheint eher dem XIII. Jahrhundert
anzugehören. Endlich wurden unseres Wissens nie Alterthümer römischer Pe-
riode auf der Insel gefunden.

Auch die erste bestimmte Nachricht über die Insel bezeichnet uns die-
selbe als einen nicht nur unbewohnten, sondern auch unbewohnbaren Plaz.

Diese stammt freilich aus einer Zeit, als sämmtliche in frühern Einfällen der
Alemannen, im III. Jahrhundert n. Chr., grossentheils zerstörten, später wieder
aufgebauten und zu Ende des IV. Jahrhunderts völligem Ruine preisgegebenen
römischen Niederlassungen fast spurlos von der deutschen Erde verschwunden
waren.

Auch die Eroberer des Landes waren ihrem Schicksale erlegen, sie, die
trozigen Alemannen, waren nach der Schlacht bei Zülpich 496 ihrer Länder bis
zu den Höhen des Schwarzwaldes beraubt worden und auch jener Ueberrest,
welcher durch Dietrich den Ostgothenkönig einen Schein der Freiheit gerettet
hatte, war seit 536, freilich mit günstigeren Bedingungen, den Söhnen Chlodwigs
Preis gegeben worden.

Schon längst hatten die vor dem gözendienerischen wilden Volke flüch-
tigen christlichen Anwohner des Sees die Zufluchtsstätten der Heidenhöhlen bei
Ueberlingen verlassen, warteten christliche Priester der milderen Lehre, hatte
ein Bischof zu Constanz seinen Siz, blühte das Kloster St. Gallen, als, wahr-
scheinlich aus Schottland, Pirmin nach dem durch Karl Martel's starke Hand
regierten Frankenreiche kam, wo er die Stelle eines Chorbischofs bekleidete.

Sei es dass er durch einen Priester, Namens Sindlas, eingeladen wurde,
sei es dass ein vornehmer Alemanne ihm zu einer klösterlichen Niederlassung
die nach dem Eigenthümcr später benannte Insel antrug, sei es endlich dass
die beiden alemannischen Fürsten Bcrhtold und Nebi, aus dem alten Herzogs-
geschlechte Alemanniens, den Major domus bewogen, die Insel als Krongut dem
irischen Sendboten des Christenthums zu schenken; genug um 724 gründete
Pirmin auf der Insel —■ Owa — eine klösterliche Niederlassung0).

Die Absicht des Gründers und derjenigen, welche ihn zur Gründung be-
wogen, war wohl, wenigstens mittelbar, dahin gerichtet, das Ansehen des
römischen Bischofs gemeinschaftlich mit den Anordnungen des neuen Erzbi-
schofes für Deutschland, Bonifatius, zu stüzen und zu heben und manchen Un-
zuständigkeiten in Verwaltung ihres Hirtenamtes von Seiten der Bischöfe von
Constanz und ihrer Pfarrer zu begegnen ;).

Die von Pirmin aufgeführten Gebäulichkciten auf der nach den Angaben
der ältesten Legende erst von ihm bewohnbar gemachten Insel können jeden-
falls nur so geringe gewesen sein, dass sie keine Spur ihres Daseins hinterliessen.

Denn nicht nur wurde Pirmin schon im dritten Jahre seines Aufenthaltes
(727) von Thiotbolt — Theudebald —, dem Herzog von Alcmannien, vertrieben,
sondern es scheint auch die ganze Stiftung desselben in's Stocken gerathen zu
sein. Und gerade eben der Versuch Heddo's oder Otto's I, eines Schülers
des inzwischen nach Hornbach — bei Zweibrücken — zurückgezogenen Pirmin,
während der Waltung Landfrieds8), die klösterliche Gemeinschaft zu Reichenau
wieder aufzurichten, scheint die Veranlassung gewesen zu sein, welche ihm die
Vertreibung nach Urania zuzog (732).

Erst nachdem der Bluttag zu Canstatt aufs Neue die Unabhängigkeit
Alemanniens in den Grundvcstcn erschüttert (746) und wahrscheinlich Thiotbolt
seinen Kampf gegen den fränkischen Major domus mit dem Leben gebüsst hatte,
gelang es Heddo wieder auf der Au festen Fuss zu fassen. Er wurde aber
schon nach zwei Jahren an das Bisthum Strassburg gerufen und starb als Stifter
von Schuttern und Ettenheim Münster 779.

Während der Verbannung Hcddo's scheint aber die klösterliche Niederlassung
auf der Au sich nicht gedeihlich behauptet zuhaben, denn Hermann der Lahme
bezeichnet zwar h'cba's zweijährige Waltung als jene, welche auf Heddo's folgte.
 
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