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Dohme, Robert
Kunst und Künstler des Mittelalters und der Neuzeit: Biographien u. Charakteristiken (2,3): Kunst und Künstler Italiens bis um die Mitte des achtzehnten Jahrhunderts — Leipzig, 1879

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Janitschek, Hubert: Jacopo Robusti gen. Tintoretto: geb. in Venedig 1518, gest. ebenda 1549
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https://doi.org/10.11588/diglit.36093#0332

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TINTORETTO.

bricht die Compohtion auseinander; faE ein Drittel des Bildraumes bleibt leer,
oder wird vielmehr ausgefüllt durch Wolken von häßlich dunkler Färbung, welche
den Berg umhüllend, deffen Spitze hervorragen laffen, auf welcher die Handlung
ihre Fortletzung und ihren Ablchluß findet. Moles kniet da, von weißem Licht-
Rhein umhoffen; Engel Fürzen in wilder Bewegung auf ihn zu, ihm die Geletzes-
tafeln zu überreichen. Alles Einzelne an diefem Werke reifst zur Bewunderung hin;
die Formen zeigen großartige Verhältniffe, aber eine frifche kräftige Naturempfindung
gab den Trägern diefer Formen eine freie, ungezwungene, dem Leben abgelaufchte
Haltung; dazu hat die Schönheit der Frauentypen keinen Vergleich mit den edelften
Frauengeftalten der venezianilchen Schule zu fcheuen. Was aber jede Totalwir-
kung völlig zerftört, iE die bizarre Compohtion, die das Auge durch die Leere,
die ihm auf fo weitem Raume entgegenftarrt, völlig außer Faffung bringt. Nicht
minder unglücklich iE die Compohtion des »jüngEen Gerichts«, obgleich hier
die Raumfchwierigkeit viel leichter zu überwinden gewelen wäre. Aber Tinto-
retto folgt einzig feiner zügellofen Phantahe, für die nichts verlockender war, als
die zahllofen niederEürzenden und aufwärtsErebenden Gerichteten in den wunder-
lichEen Verlchlingungen und Polen zu malen. So zerEört er das Verhältnifs,
welches zwilchen dem Richter und den zu Richtenden herrlchen fbll, fucht nur
Raum für diele zu gewinnen und poEirt den Weltrichter an das äußerEe obere
Ende des Bildes, wo er den Befchauenden kaum hchtbar wird. Dann thronen
die Cardinaltugenden; tiefer unten, auf Wolken gelagert, werden Reihen von
Heiligen hchtbar. Der weitere Theil, der nun folgt, oEenbart, welche lchöpfe-
rifche Kraft, welche glühende, aber auch durchaus feffellofe Phantahe Tintoretto
eigen. Die Ordnung der Natur iE aufgehoben, das Meer tritt aus leinen Ufern
und brauE als todbringende Fluth über die Erde weg. Alles, was noch lebt, zu
vertilgen. Aber die Todten erheben hch auch Ichon aus ihren Gräbern, die fo-
wohl, welche das Meer Verfehlungen, als jene, welche in der Erde gebettet,
die Einen noch als Gerippe, die Andern zum Theil, die Dritten Ichon ganz mit
Fleilch umkleidet. Die ErEandenen Ereben nach aufwärts, doch Viele werden
von IchwertbewaEneten Engeln in die Tiefe zurückgefchleudert, Andere dagegen
wieder werden von dielen zur Höhe emporgerillen. Rechts legelt Charon mit
reichbeladener Barke der Unterwelt zu. Am wüEeEen iE das Durcheinander in
der Tiefe, aber diele wildverlchlungenen Gruppen, diele IchÖnen üppig-frechen
nackten FrauengeEalten, in Kampf mit Engel und Teufel, üben doch eine wahr-
haft faszinirende Wirkung auf den Belchauer. Wie gefetzmäßig erlcheint ge-
genüber diefer Orgie einer zügellofen und von der Rehexion dennoch leicht
angekränkelten Phantahe alle naive Wildheit eines Luca Signorelli, wie he deffen
yjüngEes Gericht« im Dom von Orvieto oEenbart! Vor diefem Werke emphndet
man die Wahrheit in Vaßriß Ausruf über Tintoretto: il piu terribile cervello che
habbia havuto mai la pittura. Doch auch das behändere Urtheil, welches Vaßri
über das )>jüngRe Gericht« fällte, muß man beEätigen. DaEelbe lautet im Allge-
meinen: Tintoretto würde uns in feinem ))jüngEen Gerichte« ein ganz Eaunens-
werthes Werk gegeben haben, käme der Trefflichkeit, mit welcher die Verwirrung
und der Schrecken dieles Tages im Ganzen Ausdruck gefunden, die Sorgfalt der
Durchführung des Einzelnen gleich; fo aber erlcheint dies Werk bei dem erEen
Anblick zwar ganz bewundernswerth, bei näherer Prüfung aber geradezu wie zur
Poffe gemalt (dipinto da burla).
 
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