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JOHANN GOTTFRIED SCHADOW. 1788—1824.
gezeichnetEes Werk aber Anden wir in der in etwa halber Lebensgröfse in Kreide
gezeichneten Halbhgur der zehnjährigen Tochter des Münzdirektors Schlegel,
fpäteren Generalin von Paulsdorf, im Belitz der Frau Johanna Wolif in Berlin.
Die Schönheit des Kopfes und der wunderbare, fafl überirdifche Geiichtsausdruck
veranlafsten Schadow, das Bild Mignon zu nennen und es als Idealfigur zu charak-
teriiiren. Sogar Flügel fetzte er dem Kinde an, welche über die Schultern
hervorragen, während die Gewandung der Mode jener Zeit entfpricht, und eine
Laute in den Händen ruht. Weitere Befchreibung ift unthunlich. Der Realift
Schadow, der iich in keinem Strich verleugnet, verfchwindet ganz hinter dem
idealen Gehalt, der aus dem Bilde ipricht und es im harmonifchften Zufammen-
klange mit feinem realiilifchen Gepräge zu einem Höchften in der zeichnerifchen
Kunft macht.
An datirten Arbeiten folgt 1806 die Zeichnung zu dem Relief am PoEament
eines Luther-Denkmals, deüen Errichtung um jene Zeit von der Mansfelder
Lutherifchen Gefellfchaft in Eisleben angeregt war. Den Hintergrund bildet das
Portal der Schlofskirche zu Wittenberg. Luther, vom Volke umringt, läfst als
Auguftiner-Mönch die Thefen anheften; links eine Gruppe, welcher ein Kapuziner
vergeblich entgegenredet; darüber drei fchwebende Engel, deren einer die auf-
gefchlagene Bibel hält, von welcher der zweite den Schleier hebt; der dritte
trägt die Fackel des neuen Lichtes. Die Gruppe rechts, über welcher in fchwe-
benden Figuren die römische Kirche, das Mönchthum und Satan dargeltellt ilt,
bringt weniger fchlagend das behegte PapEthum zur Anfchauung. Die Relief-
KompoEtion als folche geht nur innerhalb des Portals mehr in die Tiefe, was
hier durch die PortalabEufung EiliEifch hinlänglich motivirt erfcheint, an den
Seitentheilen Eehen die Figuren nur in zwei nahe liegenden Plänen hintereinander.
In den Zeichnungen zu den 1809 auch in Gips ausgeführten und fpäter unterge-
gangenen Reliefs im Thronfaale des Schloffes zu Braunfchweig iE dagegen der
eine einzige Plan des antiken ReliefEils feEgehalten. Es End Huldigungen der
verfchiedenen Stände dargeEellt in deren Repräfentanten, welche an den Thron
vorüberziehen. Die EinzelEguren gehen in langer Reihe hintereinander, wobei
Ech z. B. in dem fechszehn Perfonen zählenden Zuge der Handwerker kaum
zweimal daffelbe Motiv der Beinstellung wiederholt; in folchem Mafse End die
Einzelmomente der Gehbewegung auf die einzelnen Figuren vertheilt. Für die
Geräthe tragenden Arme iE die gröfste Verfchiedenheit abfolut hergeEellt, ebenfo
für die Körperhaltung, und zwar mit grofser realiEifcher Beweglichkeit und Beto-
nung aller Details; die KoEiime aber End erfunden theils nach antiker, theils
nach mittelalterlicher, theils aus beiden gemifchter Tracht. So kommt man zu
keiner rechten Freude an der KompoEtion. Der ideale ReliefEil, angewandt auf
realiEifch bewegte Figuren, in einer Gewandung von völlig gemifchtem Charakter
giebt dem Ganzen gleichzeitig etwas Unruhiges und Steifes, das in feinen Gegen-
fätzen jede annehmliche Wirkung aufhebt.
Der 1811 gezeichnete Entwurf zur Apotheofe der Königin Luife, welche
von Feilner in Thon gebrannt im fogenannten KönigsEuhle der Kirche zu Paretz
zur Wand-Dekoration verwendet wurde, iE kompoEtionell noch weniger erträglich.
Dafür iE aber Schadow nur infofern verantwortlich, als er die Ausführung der
JOHANN GOTTFRIED SCHADOW. 1788—1824.
gezeichnetEes Werk aber Anden wir in der in etwa halber Lebensgröfse in Kreide
gezeichneten Halbhgur der zehnjährigen Tochter des Münzdirektors Schlegel,
fpäteren Generalin von Paulsdorf, im Belitz der Frau Johanna Wolif in Berlin.
Die Schönheit des Kopfes und der wunderbare, fafl überirdifche Geiichtsausdruck
veranlafsten Schadow, das Bild Mignon zu nennen und es als Idealfigur zu charak-
teriiiren. Sogar Flügel fetzte er dem Kinde an, welche über die Schultern
hervorragen, während die Gewandung der Mode jener Zeit entfpricht, und eine
Laute in den Händen ruht. Weitere Befchreibung ift unthunlich. Der Realift
Schadow, der iich in keinem Strich verleugnet, verfchwindet ganz hinter dem
idealen Gehalt, der aus dem Bilde ipricht und es im harmonifchften Zufammen-
klange mit feinem realiilifchen Gepräge zu einem Höchften in der zeichnerifchen
Kunft macht.
An datirten Arbeiten folgt 1806 die Zeichnung zu dem Relief am PoEament
eines Luther-Denkmals, deüen Errichtung um jene Zeit von der Mansfelder
Lutherifchen Gefellfchaft in Eisleben angeregt war. Den Hintergrund bildet das
Portal der Schlofskirche zu Wittenberg. Luther, vom Volke umringt, läfst als
Auguftiner-Mönch die Thefen anheften; links eine Gruppe, welcher ein Kapuziner
vergeblich entgegenredet; darüber drei fchwebende Engel, deren einer die auf-
gefchlagene Bibel hält, von welcher der zweite den Schleier hebt; der dritte
trägt die Fackel des neuen Lichtes. Die Gruppe rechts, über welcher in fchwe-
benden Figuren die römische Kirche, das Mönchthum und Satan dargeltellt ilt,
bringt weniger fchlagend das behegte PapEthum zur Anfchauung. Die Relief-
KompoEtion als folche geht nur innerhalb des Portals mehr in die Tiefe, was
hier durch die PortalabEufung EiliEifch hinlänglich motivirt erfcheint, an den
Seitentheilen Eehen die Figuren nur in zwei nahe liegenden Plänen hintereinander.
In den Zeichnungen zu den 1809 auch in Gips ausgeführten und fpäter unterge-
gangenen Reliefs im Thronfaale des Schloffes zu Braunfchweig iE dagegen der
eine einzige Plan des antiken ReliefEils feEgehalten. Es End Huldigungen der
verfchiedenen Stände dargeEellt in deren Repräfentanten, welche an den Thron
vorüberziehen. Die EinzelEguren gehen in langer Reihe hintereinander, wobei
Ech z. B. in dem fechszehn Perfonen zählenden Zuge der Handwerker kaum
zweimal daffelbe Motiv der Beinstellung wiederholt; in folchem Mafse End die
Einzelmomente der Gehbewegung auf die einzelnen Figuren vertheilt. Für die
Geräthe tragenden Arme iE die gröfste Verfchiedenheit abfolut hergeEellt, ebenfo
für die Körperhaltung, und zwar mit grofser realiEifcher Beweglichkeit und Beto-
nung aller Details; die KoEiime aber End erfunden theils nach antiker, theils
nach mittelalterlicher, theils aus beiden gemifchter Tracht. So kommt man zu
keiner rechten Freude an der KompoEtion. Der ideale ReliefEil, angewandt auf
realiEifch bewegte Figuren, in einer Gewandung von völlig gemifchtem Charakter
giebt dem Ganzen gleichzeitig etwas Unruhiges und Steifes, das in feinen Gegen-
fätzen jede annehmliche Wirkung aufhebt.
Der 1811 gezeichnete Entwurf zur Apotheofe der Königin Luife, welche
von Feilner in Thon gebrannt im fogenannten KönigsEuhle der Kirche zu Paretz
zur Wand-Dekoration verwendet wurde, iE kompoEtionell noch weniger erträglich.
Dafür iE aber Schadow nur infofern verantwortlich, als er die Ausführung der