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OVERBECK: ÖLBILDER.
Augen nieder und überläßt willenlos ihre rechte Hand der Gefährtin, die he in
ihren beiden Hände faffend, auf dem Schofse hält. Das dunkle Haar der Italia
ih mit dem Lorbeerkranze gefchmückt, das blonde der Germania mit dem
Myrthenkranze. Leicht öffnet diefe den Mund, um den eindringlichen Blick mit
guten Worten zu begleiten. Auch die Tracht ih verfchieden. Gar feltfam aber
und den Charakter des Bildes durch ihre fymbolifche Bedeutung in das Allegorifche
hinüberziehend ih die Landfchaft: links hat he italienifchen Charakter und zeigt
eine Kloherkirche in Bafilikaform; rechts ih he deutfcher Natur und weih eine
Burghadt auf, welche von der gothifchen Kirche überragt wird: diefe wurde
damals für das Deutfchthuin als charakterihifch angefehen. Es mag wohl kaum
wieder Vorkommen, dafs um der fymbolifchen Aufgabe willen die Landfchaft auf
demfelben Bilde doppelten und zwar national unterfchiedenen Charakter trägt.
Es zeigt recht deutlich, bis zu welchem Grade in der Kunh jener Tage das geihige
Element das Uebergewicht hatte und wie die äufsere Erfcheinung ohne Rückhcht
auf die reale Wahrfcheinlichkeit hch dem Gedanken unterordnen mufste, den
bildlich zum Ausdruck zu bringen als die bedeutendhe Aufgabe der Malerei galt.
Die Richtung des Meihers ging jedoch allmählich immer entfchiedener und
ausfchliefslicher auf religiöfe Gegenhände und in Verbindung damit auf eine
möglichh hreng hilihrende Kompofitions weife, fo dafs fchon die Form auf den
Ernh und das Bedeutungsvolle des gleichfam unter einem höheren Gefetze
behenden Gegenhandes hinweifen mufste. Als befonders charakterihifch hierfür
heben wir aus dem Jahre 1822 die jetzt in der Kunhhalle zu Karlsruhe befindliche
Erweckung des Lazarus hervor, ein kleines Bild, das hch auch durch eine ver-
hältnifsmäfsig kräftige kolorihifche Wirkung auszeichnet. Wir werden in die
Felfenhöhle felbh hereingeführt, die hch über das Grab wie ein Rahmen wölbt,
fo dafs der Hintergrund den Eingang und durch diefen die Landfchaft zeigt.
Chrihus heht mit ausgebreiteten Armen hinter dem im Vordergründe befindlichen
Grabe; aus diefem erhebt hch mit gefalteten Händen die Leichengehalt des
Lazarus. Rechts find befonders die Frauen vereinigt, die alle von dem Anblick
des Aufwachenden erfüllt find, in mannigfaltiger Abhufung der Stimmung; den
harren Schreck zeigt ein Mann mit weit vortretenden Augen. Links theilt hch
die Wirkung: zwei Perfonen fchauen betend auf, zwei auf Chrihus, zwei auf
Lazarus. Ein Pharifäer wendet hch verächtlich zurückfchauend zum Weggehen.
Gute Charakterihik der Köpfe, ergreifender Ernh der Darhellung bei aller Ein-
fachheit der Mittel, Sorgfalt in der Farbenhimmug und Beobachtung der Natur,
wie in der noch die Spuren der Erde zeigenden abgetretenen nackten Fufsfohle
des links knieenden Mannes, während die hackte Fufsfohle der rechts knieenden
Frau den Gebrauch fowohl als den Verbrauch weit weniger zeigt, Iahen das
Bild als ein befonders gelungenes erfcheinen.
Weniger ih dies bei dem Bilde der neuen Pinakothek in München der Fall,
der heiligen Familie mit Johannes und dem Lamm, von 1825, das jedoch in
anderer Beziehung den Meiher gut charakterihrt. Er tritt hier geradezu, wenn
auch nicht in Wettkampf mit Raffael, fo doch in deffen Fufshapfen, und zwar
in die Spuren des Raffael der horentinifchen Zeit. Will man gegen diefe
Schöpfung gerecht fein, fo muis man he nicht nach dem weniger gelungenen
OVERBECK: ÖLBILDER.
Augen nieder und überläßt willenlos ihre rechte Hand der Gefährtin, die he in
ihren beiden Hände faffend, auf dem Schofse hält. Das dunkle Haar der Italia
ih mit dem Lorbeerkranze gefchmückt, das blonde der Germania mit dem
Myrthenkranze. Leicht öffnet diefe den Mund, um den eindringlichen Blick mit
guten Worten zu begleiten. Auch die Tracht ih verfchieden. Gar feltfam aber
und den Charakter des Bildes durch ihre fymbolifche Bedeutung in das Allegorifche
hinüberziehend ih die Landfchaft: links hat he italienifchen Charakter und zeigt
eine Kloherkirche in Bafilikaform; rechts ih he deutfcher Natur und weih eine
Burghadt auf, welche von der gothifchen Kirche überragt wird: diefe wurde
damals für das Deutfchthuin als charakterihifch angefehen. Es mag wohl kaum
wieder Vorkommen, dafs um der fymbolifchen Aufgabe willen die Landfchaft auf
demfelben Bilde doppelten und zwar national unterfchiedenen Charakter trägt.
Es zeigt recht deutlich, bis zu welchem Grade in der Kunh jener Tage das geihige
Element das Uebergewicht hatte und wie die äufsere Erfcheinung ohne Rückhcht
auf die reale Wahrfcheinlichkeit hch dem Gedanken unterordnen mufste, den
bildlich zum Ausdruck zu bringen als die bedeutendhe Aufgabe der Malerei galt.
Die Richtung des Meihers ging jedoch allmählich immer entfchiedener und
ausfchliefslicher auf religiöfe Gegenhände und in Verbindung damit auf eine
möglichh hreng hilihrende Kompofitions weife, fo dafs fchon die Form auf den
Ernh und das Bedeutungsvolle des gleichfam unter einem höheren Gefetze
behenden Gegenhandes hinweifen mufste. Als befonders charakterihifch hierfür
heben wir aus dem Jahre 1822 die jetzt in der Kunhhalle zu Karlsruhe befindliche
Erweckung des Lazarus hervor, ein kleines Bild, das hch auch durch eine ver-
hältnifsmäfsig kräftige kolorihifche Wirkung auszeichnet. Wir werden in die
Felfenhöhle felbh hereingeführt, die hch über das Grab wie ein Rahmen wölbt,
fo dafs der Hintergrund den Eingang und durch diefen die Landfchaft zeigt.
Chrihus heht mit ausgebreiteten Armen hinter dem im Vordergründe befindlichen
Grabe; aus diefem erhebt hch mit gefalteten Händen die Leichengehalt des
Lazarus. Rechts find befonders die Frauen vereinigt, die alle von dem Anblick
des Aufwachenden erfüllt find, in mannigfaltiger Abhufung der Stimmung; den
harren Schreck zeigt ein Mann mit weit vortretenden Augen. Links theilt hch
die Wirkung: zwei Perfonen fchauen betend auf, zwei auf Chrihus, zwei auf
Lazarus. Ein Pharifäer wendet hch verächtlich zurückfchauend zum Weggehen.
Gute Charakterihik der Köpfe, ergreifender Ernh der Darhellung bei aller Ein-
fachheit der Mittel, Sorgfalt in der Farbenhimmug und Beobachtung der Natur,
wie in der noch die Spuren der Erde zeigenden abgetretenen nackten Fufsfohle
des links knieenden Mannes, während die hackte Fufsfohle der rechts knieenden
Frau den Gebrauch fowohl als den Verbrauch weit weniger zeigt, Iahen das
Bild als ein befonders gelungenes erfcheinen.
Weniger ih dies bei dem Bilde der neuen Pinakothek in München der Fall,
der heiligen Familie mit Johannes und dem Lamm, von 1825, das jedoch in
anderer Beziehung den Meiher gut charakterihrt. Er tritt hier geradezu, wenn
auch nicht in Wettkampf mit Raffael, fo doch in deffen Fufshapfen, und zwar
in die Spuren des Raffael der horentinifchen Zeit. Will man gegen diefe
Schöpfung gerecht fein, fo muis man he nicht nach dem weniger gelungenen