HISTORISCHE GENREBILDER.
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wo er von den Schöffen der Stadt Jean Maillard und Paftourel empfangen wird"
(1821—23), trug ihm wenigltcns die Anerkennung ein, dafs er darin ein fiber-
rafchendes Verfländnifs der Vergangenheit bewiefen und den Localton der Zeit
nicht nur im Kofttim, fondcrn auch im Wcfen, Typus und Gebahren der Per-
foncn mit einer Richtigkeit getroffen, die fclbft Kenner entzückte. Unfer Ge-
fchmack fpürt überall in diefer hiftorifchen Genauigkeit eine gewiffe Steifheit,
die bei dem ernftcn Streben des Meiflers nach Stil und Gröfse nicht mehr als
natürlich ift. Das ift felbft bei feierlichen Auftritten der Fall, wie "Philipp V.
verleiht dem Marfchall Perwick den Orden des goldenen Vliefses« (1818). Sonft
vereinigen fleh gerade hier alle Theile der Compofition fehr gut zur Haupt-
handlung; denn die Perfonen lind mit berechnender Kunft gruppirt: rechts
die Grofswürdenträger der Krone, links die Königin auf dem Thron und der
Grofsinquifitor ftehend an ihrer Seite, endlich in der Mitte der König von Spanien,
der das fchwerc Halsband um den Nacken des Marfchalls legt, wahrend diefer
fleh beugt, es zu empfangen, und der Grofsmeifler des Ordens auf filberner Schale
den Degen darbietet. Und Gcrard rühmte die Wahrheit des Koflüms, der Ge-
bräuche, Gcfichtszüge, ja des Micnenfpicls jener Zeit. Dasfelbe darf man gewifs
auch von "Ludwig XIV. und Molicrew behaupten, das Ingres 1838 als Gefchenk
für das Theütre frangais gemalt hat. Nach dem Lever fitzt der König beim
Frühfttick vor dem Kamin, und der Dichter ift fein einziger Tifchgenoffe, während
die eintretenden und hch verbeugenden Hofleute, die fleh über die Gefellfchaft
des Poeten beklagt, befchämt vor den Schranken flehen. Die ariflokratifche
Tournure der Höflinge, das Gemifch verbindlicher Eleganz und überlegener
Hoheit in der Perfon desFürften, Moliercs befchcidencs Selbftbewufstfcin zwifchen
all dem ceremoniellen Wefcn find hübfeh charaktcrifirt, wenn auch die einförmige
Anordnung und Unficherheit in Stellung und Bewegung einzelner Figuren die
Merkzeichen des Alters verrathen.
Immer werden wir unter diefen Darflellungen, die dem Gcfchmack der roman-
tifchcn Schule näher flehen, denen den Vorzug geben, die mit wenig Figuren
ein möglich!! einfaches Gefchehen ausdrtickcn. Solch ein Beifpiel ilt Francesca
von Rimini, nach dem fünften Gcfang von Dante's Inferno. Das Bildchen hat
kaum mehr als einen Fufs im Geviert, aber darin find alle Wonnen und alle
Angfl der Liebe vereinigt. Der Maler erfafst den Augenblick, wie der wilde
Lancilotto Malatefla einen Vorhang im Hintergründe aufhebt und den Paolo
bei feiner Gemahlin tiberrafcht, wie er feine ganze Seele in einem Kufs auf die
glühende Wange feiner Geliebten aushaucht. Francesca, zitternd unter feinen
feurigen Lippen, hat felbft nicht mehr die Kraft zu widerflehen. Ihr feuchter
Blick ift auf den Boden geheftet, ihr Arm finkt herab und ihrer Hand entfällt
das Buch. Wer fympathifirte nicht mit den beiden fchönen Kindern, die von
Glück träumen und dem Grabe fo nah find!
Die Francesca von Rimini verdient um fo mehr Aufmcrkfamkeit, als fie, mit
Ausnahme etwa der Stratonike, die einzige Liebesfcene ifl, die Ingres behandelt
hat. Mit der Stratonike aber treten wir auf antiken Boden, wo die Bedingungen
für das hiflorifche Sittenbild in mancher Hinficht anders werden. So wenig, wie
es unterer Anficht entfpricht, dies Werk und ähnliche der alten Welt entlehnte
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wo er von den Schöffen der Stadt Jean Maillard und Paftourel empfangen wird"
(1821—23), trug ihm wenigltcns die Anerkennung ein, dafs er darin ein fiber-
rafchendes Verfländnifs der Vergangenheit bewiefen und den Localton der Zeit
nicht nur im Kofttim, fondcrn auch im Wcfen, Typus und Gebahren der Per-
foncn mit einer Richtigkeit getroffen, die fclbft Kenner entzückte. Unfer Ge-
fchmack fpürt überall in diefer hiftorifchen Genauigkeit eine gewiffe Steifheit,
die bei dem ernftcn Streben des Meiflers nach Stil und Gröfse nicht mehr als
natürlich ift. Das ift felbft bei feierlichen Auftritten der Fall, wie "Philipp V.
verleiht dem Marfchall Perwick den Orden des goldenen Vliefses« (1818). Sonft
vereinigen fleh gerade hier alle Theile der Compofition fehr gut zur Haupt-
handlung; denn die Perfonen lind mit berechnender Kunft gruppirt: rechts
die Grofswürdenträger der Krone, links die Königin auf dem Thron und der
Grofsinquifitor ftehend an ihrer Seite, endlich in der Mitte der König von Spanien,
der das fchwerc Halsband um den Nacken des Marfchalls legt, wahrend diefer
fleh beugt, es zu empfangen, und der Grofsmeifler des Ordens auf filberner Schale
den Degen darbietet. Und Gcrard rühmte die Wahrheit des Koflüms, der Ge-
bräuche, Gcfichtszüge, ja des Micnenfpicls jener Zeit. Dasfelbe darf man gewifs
auch von "Ludwig XIV. und Molicrew behaupten, das Ingres 1838 als Gefchenk
für das Theütre frangais gemalt hat. Nach dem Lever fitzt der König beim
Frühfttick vor dem Kamin, und der Dichter ift fein einziger Tifchgenoffe, während
die eintretenden und hch verbeugenden Hofleute, die fleh über die Gefellfchaft
des Poeten beklagt, befchämt vor den Schranken flehen. Die ariflokratifche
Tournure der Höflinge, das Gemifch verbindlicher Eleganz und überlegener
Hoheit in der Perfon desFürften, Moliercs befchcidencs Selbftbewufstfcin zwifchen
all dem ceremoniellen Wefcn find hübfeh charaktcrifirt, wenn auch die einförmige
Anordnung und Unficherheit in Stellung und Bewegung einzelner Figuren die
Merkzeichen des Alters verrathen.
Immer werden wir unter diefen Darflellungen, die dem Gcfchmack der roman-
tifchcn Schule näher flehen, denen den Vorzug geben, die mit wenig Figuren
ein möglich!! einfaches Gefchehen ausdrtickcn. Solch ein Beifpiel ilt Francesca
von Rimini, nach dem fünften Gcfang von Dante's Inferno. Das Bildchen hat
kaum mehr als einen Fufs im Geviert, aber darin find alle Wonnen und alle
Angfl der Liebe vereinigt. Der Maler erfafst den Augenblick, wie der wilde
Lancilotto Malatefla einen Vorhang im Hintergründe aufhebt und den Paolo
bei feiner Gemahlin tiberrafcht, wie er feine ganze Seele in einem Kufs auf die
glühende Wange feiner Geliebten aushaucht. Francesca, zitternd unter feinen
feurigen Lippen, hat felbft nicht mehr die Kraft zu widerflehen. Ihr feuchter
Blick ift auf den Boden geheftet, ihr Arm finkt herab und ihrer Hand entfällt
das Buch. Wer fympathifirte nicht mit den beiden fchönen Kindern, die von
Glück träumen und dem Grabe fo nah find!
Die Francesca von Rimini verdient um fo mehr Aufmcrkfamkeit, als fie, mit
Ausnahme etwa der Stratonike, die einzige Liebesfcene ifl, die Ingres behandelt
hat. Mit der Stratonike aber treten wir auf antiken Boden, wo die Bedingungen
für das hiflorifche Sittenbild in mancher Hinficht anders werden. So wenig, wie
es unterer Anficht entfpricht, dies Werk und ähnliche der alten Welt entlehnte