Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Dohme, Robert
Kunst und Künstler des Mittelalters und der Neuzeit: Biographien u. Charakteristiken (4,2): Kunst und Künstler der ersten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts — Leipzig, 1886

DOI article:
Schmarsow, August: Jean-Auguste-Dominique Ingres: geb. zu Montauban 1780, gest. zu Paris 1867
DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.36324#0293
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
30

JEAN-AUGUSTE-DOMINiQUE INGRES.

blöfst windet dch der Leib in einer Pofe, wie man Heb in gähnender Langeweile
dreckt. Vielleicht ein unerfülltes heimliches Verlangen, vielleicht eine thörichte
Sehnfucht nach Freiheit bewegt die fchöne Creatur, die lebendig in das Grab
des Harems eingefchloffen id. Eine junge abyfdnifchc Sklavin, deren halbge-
öffnetes Kleid die Brud fehen läfst, bräunlich wie Bronze, kauert zu Füfsen der
weifsen Favoritin und fpielt ihr auf dem Tfchebcgour jene eintönigen wilden
Melodien, die den Schmerz einfehläfern wie ein Ammenfang. Im Hintergrund
fpaziert mit mürrifcher Gebärde ein fchwarzer Eunuch, das Ende der Krihs zu
bewachen. Alle Einzelheiten des Codüms und der Ausdattung dnd mit gewiffen-
hader Treue und Sorgfalt vollendet; es id unmöglich, das gcheimnifsvollc
Schweigen, die Erdrückung des Serails beffer zu geben; kein Sonnendrahl, kein
Stück vom Himmelsblau, kein Lufthauch in diefem wattirten feidenen Gemach
voll betäubender Wohlgcrüche, Avo fern von allen Blicken die Blüthe menfeh-
licher Schönheit wuchert. —
Aus der antiken Mythologie hat Ingres merkwürdig wenig Stoffe entlehnt,
um de als Vorwand für die Dardellung des Nackten zu benutzen, wie es doch
fond gefchah. Nach einem Gemälde "Jupiter und Thetis« (von 1811, im Mufeum
zuAix) fcheint er dicfeGegendände abdchtlich zu meiden, und als er 18$ i mit
"Jupiter und Antiopc« darauf zurückkam, war cs nicht mehr der Gefchmack der
Schule Davids, fondern fein Studium der italienifchen Renaiffancemeider, das ihn
dazu veranlafste. Beide Arbeiten haben übrigens geringen Werth und dnd
wenig bekannt geworden. Nur auf die Göttin der Liebe felbd müden wir noch
zurückkommen; aber de gehört weniger den Olympifchen als einer bedimmten
Reihe nackter Mädchendguren an. Dagegen verlangt hier zunächd ein Bildchen
Beachtung, das, eineEpifode aus Ariodo's Ratendem Roland fchildernd, dem Stoffe
wie dem Namen nach im Reiche der romantifchcn Poede zu fuchen wäre. Aller-
dings hat die "Befreiung Angelika's durch Rüdiger« fogar in Ingres' Dardellung
etwas von dem märchenhaften Zauber eines ritterlichen Abenteuers bekommen.
Ariods Phantade wirkt dchtlich bei ihm nach. Aber alle Theile, die den Reiz
der Dichtung wunderbar erhöhen, dnd beim Maler recht ungefchickt ausgefallen.
Der knabenhafte Held in feiner kodbaren Rüdung id allzu zierlich, der Hippo-
gryph, auf dem er reitet, winzig und fo unentfehieden in der Bewegung, dafs man
nicht weifs, ob er anfpringt, diegt oder dch fedkrallt zwifchen Felswand und
Meereswogen. Der Ritter fafst mit beiden Händen die Lanze, wie zu einem
mächtigen Stofs, aber die Spitze des langen Schaftes tadet undchcr und lahm
im Rachen des Ungeheuers, das gar nicht fo fürchterlich ausdeht, wie es follte.
Die Hauptfache bleibt die am Fclfcn fedgefchmicdete Maid, deren nackte Schön-
heit aus der nächtlichen Umgebung hervorlcuchtct. Das hat auch der Mcider
felbd gefühlt und diefe Gedalt noch einmal ausgeführt, indem er das walldfch-
artige Ungcthüm möglichd bei Seite drängt und von dem Befreier nur feinen
blitzenden Schild aus dem Dunkel hervorhebt. Bei der Schilderung der Ange-
lika greift auch der romantifche Dichter auf das Gebiet der klafdfehen Kund
über, indem er de mit einer Statue vergleicht:
dlwA/u zzwA -sAzA/zz /AAz c .sw A c<?.s-z
D <9 z/zzz/wzz Ehr zz/Vz^rA A jrzz/Arz AA/jAz'.
 
Annotationen